Übungsleiterin Martina Oberholthaus hält mir ihr Smartphone entgegen. „Das sind die Fortgeschrittenen“, sagt sie – und der Stolz in ihrer Stimme ist schwerlich zu überhören, „damit sie sich mal eine Vorstellung machen können.“ Ich kneife die Augen zusammen, beuge mich über das Display und bestaune sprachlos die durch die Aufzeichnung wirbelnden Gestalten: Schwungvoll werden die „Flyer“ von der „Base“ – allesamt durchtrainierte Mädchen zwischen acht und 16 Jahren – nicht nur elegant in die Höhe gehoben, sonder anschließend – „Ready-one-two!“ – tollkühn durch die Luft katapultiert und: sicher wieder aufgefangen. Das Video reicht aus, um mein Herz vor Aufregung schneller schlagen zu lassen. Kein Wunder, dass die zwanzigköpfige, vor Enthusiasmus strotzende Truppe das Lotter Publikum vor den Heimspielen der Sportfreunde regelmäßig von den Sitzen reißt. „Das Cheerleading besteht neben dem Tanz zu einem großen Teil aus Akrobatik“, sagt Martina Oberholthaus und steckt das Smartphone zurück in die Tasche. Ehrlich gesagt, habe ich beim Stichwort Cheerleader allerdings statt an atemberaubende Stunts eher an die hübschen bunten Puschel gedacht…
„Bitte die Hebefigur!“
Wie gut, dass ich in weiser Einschätzung meines eher begrenzten motorischen Potenzials die Anfänger-Gruppe aufgesucht habe. In der Ecke der Sporthalle entdecke ich sehr zu meiner Beruhigung einen Stoffsack voller silbrig-blau schimmernder Pompons. Doch während ich sehnsüchtig auf die Puschel starre, steht meinen jungen Mitstreiterinnen der Sinn nach etwas anderem: „Bitte, Martina, machen wir heute mit der Hebefigur weiter?“, säuseln Leonie (8 Jahre), Lilith (8), Aisha (8), Evelina(9) und Nila (7). Die Begeisterung, möglichst bald die nächste Herausforderung auf dem langen Weg zum ersten öffentlichen Auftritt zu meistern, funkelt den Mädchen in den Augen. Keine Frage, dass hier über kurz oder lang jede der hoch motivierten Nachwuchs-Jublerinnen den Sprung ins Performance-Team im Visier hat. Doch vor die Akrobatik hat Martina Oberholthaus das Aufwärmen und die Wiederholung der bereits einstudierten Tanzschritte gestellt. „Die Choreografien entwerfen Trainerin Andrea Mindrup und ich gemeinsam“, erklärt sie und gibt den Mädchen den Einsatz.
Ansteckende Agilität
„Es ist gar nicht so leicht, sich die Schrittfolgen zu merken“, gibt die Übungsleiterin zu bedenken und nickt ihren Mädchen anerkennend zu. Armbewegungen, Körperspannung, Ausfallschritte – die kleinen Cheerleader stehen ihren Vorbildern, was die tänzerischen Grundlagen angeht, in nichts nach. Und was die Begeisterung für ihren Sport betrifft, erst recht nicht: völlig unmöglich, neben so viel ansteckender Agilität ruhig stehen zu bleiben. Schließlich ist es soweit: Leonie und Lilith stellen sich einander gegenüber. Nila, die kleinste im Team, bereitet sich vor, konzentriert sich – hinter ihr postiert sich Evelina zur Hilfestellung, vor ihr Aisha zur Absicherung: „Ready-one-two!“ Zwei kräftige Hüpfer – und schon ruhen Nilas Füße in den Händen der „Base“, die sie sachte ein Stückchen anheben. Fünf Cheerleader-Gesichter strahlen um die Wette.
Das Rauschen der Pompons
Zum krönenden Abschluss gibt’s die komplette Choreografie diesmal mit Musik – und mit Puscheln! Als die Mädchen beginnen, die bauschigen Pompons rhythmisch zu schwenken, erinnert mich das Geräusch der strubbeligen Plastikbommel an einen riesigen Schwarm wilder Tauben, der sich auf rauschenden Flügeln in die Lüfte erhebt. Ein Gefühl von Gänsehaut breitet sich aus … endlich dritte Liga.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 01.06.2016; Westfälische Nachrichten, 01.06.2016)