Ein Dutzend Hindernisse, die Steilsprünge 1,40 Meter hoch, die Oxer bis zu 1,40 Meter breit, trennen die Teilnehmer der Zeitspringprüfung Klasse S beim Mettinger Pfingstturnier von einem möglichen Sieg. Einer der Starter ist Guido Werges aus Wersen.
Gerlinde macht keinen großen Wirbel um ihr Talent. Grund dazu hätte die zehnjährige Stute allemal: In der hiesigen Reiterszene ist die athletische Vierbeinerin keine Unbekannte, sondern eine gefürchtete Mitbewerberin, wenn es um die ganz großen Aufgaben geht: die Springprüfungen der schweren Klasse (S-Springen). Den großen Preis von Rulle hat Gerlinde in diesem Jahr mit ihrem Reiter Guido Werges schon gewonnen – und hier, beim Mettinger Pfingstturnier, wollen die beiden neuerlich versuchen, der Konkurrenz die Hinterhufe zu zeigen. „Gerlinde ist nur ihr Spitzname“, korrigiert mich Guido Werges und streicht seiner sportlichen Kollegin ritterlich die Mähne in Form. Man merkt dem 46-jährigen Wersener an, wie stolz er auf das von ihm selbst gezogene und eigenhändig ausgebildete Tier ist – und wie bedacht darauf, dass man seiner Stute mit dem gebührenden Respekt begegnet.
Das Glück der Erde
„Dollar’s Girl ist ein sehr lernwilliges und immer arbeitsbereites Tier“, lobt der gelernte Kfz-Mechaniker und Karosseriebauer seine Braune, die daraufhin für einen Moment ihre feinen Öhrchen in Richtung der freundlichen Worte spitzt. Mit sieben Jahren hat Guido Werges zum ersten Mal an einem Reitwettbewerb teilgenommen – und dabei das Glück der Erde für sich entdeckt. Seitdem hat er so manche goldene Schleife aus dem Parcours mit nach Hause gebracht. „Im Durchschnitt fahre ich zweimal im Monat zum Turnier“, sagt er, sitzt auf und lenkt Dollar’s Girl ganz entspannt am langen Zügel auf den Abreiteplatz, auf dem sich die ersten Paare des anstehenden S-Springens bereits auf die Herausforderung vorbereiten.
Schwierig, aber fair
Während Ross und Reiter im leichten Trab ihre Runden drehen, nutze ich die Gelegenheit und sehe Parcourschef Wilhelm Meinbresse aus Vechta über die Schulter oder besser gesagt: auf das Maßband. Er und sein Team sind verantwortlich dafür, dass der Stangenwald aus bunten Hindernissen fair aufgebaut und angemessenen schwierig ist. „Beim Zeitspringen kommt es darauf an, den Parcours möglichst schnell zu absolvieren“, erklärt er. „Fällt eine Stange, kostet das den Reiter vier Strafsekunden.“ Insgesamt hat Meinbresse den Startern zwölf Sprünge in den Weg gebaut.
Verschlungene Wege
Vor Beginn der Prüfung dürfen die Reiter den Parcours zu Fuß abschreiten. An der Seite von Guido Werges stiefel ich über das sandige Geläuf. Zwar sind die Hindernisse sauber durchnummeriert, aber Wilhelm Meinbresse hat nicht ohne Grund dafür gesorgt, dass die Wege von Sprung zu Sprung verschlungen sind. „Jeder soll die Möglichkeit haben, die für sich schnellste Linienführung zu finden“, betont er. Darin liegt schließlich der Reiz des Wettbewerbs. Die Konzentration steht Guido Werges ins Gesicht geschrieben. Denn je nachdem, für welchen Kurs er sich entscheidet, werden die Weichen in Richtung Sieg oder Niederlage bereits jetzt gestellt. „Ich bin eigentlich kein schneller Reiter“, sagt er, „aber Dollar’s Girl ist sehr wendig.“ Das bedeutet, dass die beiden die Kurven betont eng nehmen können und Werges im Zweifel den kürzeren Weg wählt.
Gold für Gerlinde
Noch ein paar Probesprünge auf dem Abreitplatz, dann rufen die Wertungsrichter das Paar aus Wersen in den Parcours. Guido Werges checkt aus den Augenwinkeln schnell noch einmal den geplanten Streckenverlauf. Gerlinde wartet bloß auf sein Zeichen, dass es endlich losgeht. Steilsprung – Oxer – Kombination: Das Mettinger Publikum ist fachkundig und hält den Atem an. So schnell, so geschickt und so harmonisch wie die beiden Routiniers hat bisher noch kein Team die Hindernisse überwunden – und, um es vorwegzunehmen, wird es auch nicht mehr. Guido Werges und sein begabter Vierbeiner können ihrer Sammlung eine weitere goldene Siegesschleife hinzufügen. Glücklich tätschelt der Reiter Gerlinde den schweißnassen Hals und wirft mir einen gespielt strengen Blick zu: „Gerlinde ist nur ihr Spitzname!“, gibt er nachdrücklich zu Protokoll. Seine Sorge ist allerdings völlig unbegründet: Wer die Siegerlisten dieser Saison studiert hat, dem dürfte sich der richtige Name seiner Stute „Dollar’s Girl“ längst eingeprägt haben.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 18.05.2016)