„Du gehst zum Yoga?“, erkundigt sich mein Sohn interessiert: „Dann viel Spaß beim Entspannen!“ Der Gute – es gehört nicht zu seinem jugendlichen Weltbild, dass auch Frauen jenseits der vierzig noch an flotteren Formen der Bewegung Spaß haben könnten. Ich beispielsweise versuche mich heute am „Latin Move“, zu dem der SC Halen jeden Freitagabend von 18.45 bis 19.45 Uhr einlädt. Der einzige Pferdefuß an der Sache: Ich weiß beim besten Willen nicht, was „Latin Move“ eigentlich ist …
Einfach Mitmachen
„Mach einfach mal mit“, fordert mich Übungsleiterin Petra Kasiou auf und dirigiert mich in die Formation ihrer Mädels. Der erste Teil der Stunde gehöre der Wiederholung der beim vergangenen Mal neu gelernten Schrittfolgen, erklärt mir die 49-jährige Osnabrückerin, die seit gut zwei Jahren die bewegungsfreudige Truppe trainiert. Im zweiten Abschnitt studiert sie mit den Tänzerinnen neue Choreografie-Elemente ein. Und zum Schluss wird schlichtweg abgetanzt. „Wir machen das ja schließlich zum Spaß“, betont Heidi (48 Jahre) aus Halen. „Jeder entscheidet hier selbst, wobei er mitmachen will, und wobei nicht.“ Wer eine Pause braucht oder aufgrund körperlicher Einschränkungen bei einem schwierigeren „Move“ aussetzen muss, nimmt einfach auf der Bank Platz.
Eingeschliffene Schrittfolgen
Bevor Petra Kasiou den CD-Player anwirft, verrät sie mir noch einen der Clous am Latin Move: „Zu jedem Lied gehört eine feste Choreografie.“ Soll heißen, dass ich mich bloß nicht aus der Ruhe bringen lassen soll, wenn meine routinierten Kolleginnen zu den für sie längst vertrauten Songs mit den dazu eingeschliffenen Schrittfolgen scheinbar mühelos loslegen und ich zunächst wohl noch etwas ratlos daneben stehe. „Einfach mitmachen“, nickt mir die Übungsleiterin aufmunternd zu. Und dann startet sie die Musik… Hüften beginnen zu federn, die Arme fließen förmlich um die Körper, die Formation wiegt sich in einem für mich atemberaubenden Tempo von links nach rechts, von vorne nach hinten durch die Turnhalle.
Von Hip Hop bis Funk
Wenn mein Mann und ich Tanzen gehen, dann scheitern wir in aller Regel schon am langsamen Walzer. Uns zu Salsa- oder Rumbarhythmen zu bewegen, liegt weit jenseits unserer koordinatorischen Möglichkeiten. Ich hätte das alles also irgendwie voraussehen können. Doch als ich staunend betrachte, wie Omi und Enkelin, Freundinnen und Nachbarinnen, Arbeits- und Vereinskolleginnen nicht nur ihre Füße, sondern ihre gesamten Körper zu den Beats von Hip Hop bis Funk schwingen – voller Ästhetik, Sinnlichkeit und Energie, da wird mir schlagartig bewusst, dass mein Sohn vollkommen Recht hat: Ich bin eindeutig der Yoga-Typ.
Jede Geste, jede Drehung sitzt
Und so entspanne ich mich schließlich doch noch: Gänzlich in meiner Mitte ruhend, schaue ich von der Bank aus zu, mit welcher Professionalität die Tänzerinnen ihrer Leidenschaft nachgehen: Jede Geste, jede Drehung sitzt. Faszinierend. Die meisten Choreografien hat sich Petra Kasiou, die 15 Jahre lang bei der Osnabrücker Tanzschule Hull aktiv war und an diversen Turnieren teilgenommen hat, selbst ausgedacht. Das Ergebnis: Ein Dutzend Frauen in perfekter Synchronisation. „Das kommt dabei raus, wenn Männer nicht gerne tanzen“, bringt Barbara (62) den Reiz des Latin Move auf den Punkt – und wischt sich schmunzelnd die Schweißtropfen von ihrer Stirn.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 11.05.2016; Westfälische nachrichten, 11.05.2016)