Obwohl ich zu den meisten Terminen, über die ich schreibe, auch meine Kamera mitnehme, gebe ich zu: Ich kann gar nicht Fotografieren. Über ambitioniertes Knipsen bin ich nie hinausgekommen. Wird ein Besuch bei Profi-Fotograf Diethelm Schäfer das ändern?
„Lies dir die Gebrauchsanweisung durch.“ Mit diesen Worten hat mein Mann mir meine erste digitale Spiegelreflexkamera geschenkt und mir dazu die schlappe 147 Seiten umfassende Anleitung in die Hand gedrückt. Jedes Telefonbuch ist spannender… Zum Glück stieß ich bereits auf Seite vier der im quälenden Fachjargon formulierten Lektüre auf den entscheidenden Satz: „Im Modus AUTO fotografieren Sie mit den automatisch von der Kamera gewählten optimalen Einstellungen.“ Zufrieden klappte ich das Büchlein zu und drehte das Stellrad des Apparates in die entsprechende Position. Seitdem habe ich es nicht mehr bewegt.
Höchstens ein paar Zufallstreffer
Nicht, dass ich kein Interesse an professionellen Aufnahmen hätte. Im Gegenteil: Ausgefallene Perspektiven, markante Porträts und virtuose Effekte – technisch durchdacht und sauber umgesetzt: Ich erkenne ein gutes Foto durchaus. Bloß selber machen kann ich keins. Manchmal gelingt zwar selbst mir ein brauchbarer Zufallstreffer. Doch um ein anspruchsvolles Bild zuverlässig zu planen, sind die Kamera und ich uns über all die Jahre nicht wirklich nah genug gekommen. Hin und wieder scheint meine Olympus mich gar vorwurfsvoll anzulinsen: An ihr, gibt sie mir zu verstehen, liege es jedenfalls nicht, dass wir so weit hinter unseren Möglichkeiten zurückblieben.
Das Mantra der Erfahrung
Vielleicht hilft mir ja der VHS-Kurs „Raffinessen der Motivgestaltung. Tipps und Tricks für Fotofreunde“ dabei, endlich die eklatantesten meiner Wissenslücken auf diesem Gebiet zu schließen. Dozent Diethelm Schäfer, Zeichner, Lyriker und Fotograf, hat ein Auge dafür, seine Umwelt aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu betrachten und ein Händchen, diese Eindrücke auch fachmännisch in Wort und Bild zu fixieren. „Ein gutes Foto zu machen“, sagt er, „erfordert genug Zeit, einen freien Kopf, eine geschärfte, wache Wahrnehmung und ausreichend Konzentration.“ Ich lasse das Mantra seiner Erfahrung auf mich wirken. Nicht nur, weil er in seiner Einleitung weder Verschlusszeiten noch Blendenöffnungen erwähnt, spricht mich seine Herangehensweise sofort an.
„Bitte keine Urlaubsbilder!“
Schäfer lotst die Kursteilnehmer in Richtung Kirchplatz. Die erste Aufgabe: eine Aufnahme des Gotteshauses. „Achtet darauf, dass es keine Urlaubsbilder werden“, appelliert er an unsere Kreativität: „Sucht nach ungewöhnlichen Standorten.“ Während Kai-Uwe aus Ibbenbüren hinter einer Reihe Mülltonnen hockt und aus der Froschperspektive sein Glück versucht, nehme ich ein paar knospende Äste als Vordergrund ins Visier. Ob das derbe Mauerwerk des Gebäudes, so, wie ich es gerne hätte, im Hintergrund verschwimmt, entscheidet nun allerdings allein meine Kamera. Mir ist schon klar, wie einschränkend sich die für mich obligatorische AUTO-Funktion auf das Ergebnis auswirkt, doch mit lästigen Technikfragen will ich die kostbare Seminarzeit nicht verschwenden. Dafür sind die Gestaltungsratschläge unseres Lehrers viel zu spannend.
Ungewöhnliche Kompositionen
Als wir am Ende der Exkursion unsere visuelle Ausbeute betrachten, bin ich erstaunt. Die ungewöhnlichen Kompositionen, zu denen Diethelm Schäfer uns inspiriert hat, können sich sehen lassen. Die Spiegelung eines Fahrradreifens auf regennassem Asphalt. Eine Paillettenkugel vor der abendlichen Beleuchtung eines Supermarktes. Und obwohl das Mauerwerk meiner Kirche nicht wie gehofft verschwimmt, ist die Aufnahme an sich doch recht hübsch geworden. Gehobene Knipserei, würde ich sagen. Wer mehr will, da sind mein Mann, die Olympus und nun auch ich uns einig: der muss wohl doch die Gebrauchsanweisung lesen…
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 20.04.2016; Westfälische Nachrichten, 20.04.2016)