Schwerelos scheint das hölzerne Luftschiff neben dem Atelier über der Landschaft zu schweben. In rund drei Metern Höhe ist der schlichte Korpus aus derber Eiche vor Anker gegangen – oder, besser gesagt: gönnt sich auf seinen stelzengleich ins Gras gefingerten Ruderstangen eine Verschnaufpause. Jederzeit wieder zur Abfahrt bereit? Monika Hamann, die Traumkapitänin, die Weitgereiste, die sich in ihrem Leben schon über so viele Grenzen hinweg gesetzt hat, legt den Kopf in den Nacken und blickt lächelnd zu ihrem Kunstwerk hinauf: „Ziemlich sicher“, sagt sie, „dass Osnabrück nur eine Station ist.“
Blick ins Bordbuch
Bis vor enigen Jahren, gesteht die aus Jena stammende Bildhauerin, habe sie nicht einmal gewusst, dass es Osnabrück überhaupt gibt. Kein Wunder – denn wem sie einen Blick ins Bordbuch ihres Lebens gestattet, ahnt, dass die Friedensstadt wohl eher zu den Provinzanlegestellen ihrer außergewöhnlichen Biografie zählen dürfte: Moskau, Berlin, Rom – um nur einige der kulturellen Häfen zu nennen, in denen Monika Hamann Halt gemacht und kreativen Proviant für ihre weitere Fahrt an Bord genommen hat.
Begonnen hat die eigenwillige Weltbürgerin ihre Reise in Jena. Als Kind der DDR war für die heute 67-Jährige der Berufsweg von der Staatsführung vorgegeben: „Nach dem Abitur hat unsere komplette Schulklasse eine Ausbildung als Werkzeugmacher absolviert“, erzählt Monika Hamann: „Eine gute Basis.“ Es folgte ein Studium in Heiligendamm zur Industriedesignerin und Innenarchitektin, danach eine Anstellung in der Metallbildhauerwerkstatt von Achim Kühn in Ostberlin. Doch Staatsaufträge zu erfüllen – Brunnen, Windspiele oder Giebelfiguren zu entwerfen, genügte dem kreativen Geist nicht. In ihrem Inneren rumorten unabhängige Ideen. Der Drang, etwas Eigenes zu schaffen. Monika Hamann sagt: „Schon damals habe ich mich nach einem Freiraum gesehnt.“
Von Ost nach West
Ihr geistiges Fernweh mündete in einem weiteren Studium. Diesmal zur Bildhauerin. Diesmal an der Kunsthochschule in Ostberlin. Als Meisterschülerin durfte Monika Hamann mit Erlaubnis des Staates auch Kunstausstellungen im kapitalistischen Westteil der Stadt besuchen. „Eines Tages“, erzählt sie mit ruhiger Stimme, „bin ich einfach dageblieben.“ Mitgenommen hat sie nur ihre Stoffrolle mit dem Holzschnitzwerkzeug. Monika Hamann setzte Segel.
Abwechslungsreiches Abenteuer
Die Reise durch die lang ersehnte künstlerische Freiheit erweist sich bis heute als abwechslungsreiches Abenteuer. Nach einer Gastprofessur an der Hochschule der Künste in Westberlin erhielt Monika Hamann ein Stipendium für einen mehrjährigen Aufenthalt im italienischen Künstlerparadies Olevano Romano. „Als ich eines Nachmittags auf der Piazza saß, hörte ich am Nebentisch, dass die Mauer gefallen war“, erinnert sie sich. Das neue Berlin aus seinem Dornröschenschlaf wachküssen und mitgestalten zu helfen – diesem Reiz konnte die Architektin nicht wiederstehen. Zehn Jahre lang entwarf sie Hotels für den Aufbau Ost. Doch so ein Luftschiff im Kopf – das lässt sich nicht auf ewig vertäuen. Das Bedürfnis nach Freiraum nahm neuerlich überhand.
„Hier bleibt mir genug Freiheit“
Ein Angebot des Künstlers Volker-Johannes Trieb, der nach einer Unterstützung für die Arbeit in seinem Atelier suchte, führte sie 2001 nach Osnabrück. „Hier bleibt mir genug Freiheit, um auch selbst wieder künstlerisch tätig zu sein“, freut sie sich. In ihrem eigenen Atelier auf dem Gelände der Gartenbaufirma Dukat in Belm-Vehrte meißelt und schnitzt, knetet, gießt und malt die vielfach ausgezeichnete Künstlerin ihre Vorstellungen vom Zusammenleben der Menschen und von der Harmonie der Formen in Stein und Holz, Gips, Keramik und Bronze oder auf die Leinwand. Ein Besuch lohnt sich: Die Vielfalt des Werks von Monika Hamann spiegelt die Spannbreite der Eindrücke einer ungewöhnlichen Reise auf faszinierende Weise wider. Und das Luftschiff? Beim letzten Besuch des Kunstwerks hatten die Ruderblätter zumindest noch keine Wurzeln geschlagen…
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 09.04.2016)