Wer eine Pferdekutsche sicher durch den Verkehr lenken will, benötigt dafür ein offizielles Fahrabzeichen. An einem Lehrgang des Ibbenbürener Fahrlehrers Harald Gilke nehmen auch Karin Thomas aus Büren und Barbara Wietheger aus Westerkappeln teil.
Können Haflinger Lächeln?
Lara äugt neugierig über den Holzverschlag: Aha, die neuen Schüler sind da, scheint der Haflinger mit kundigem Blick zu erwägen und mustert interessiert die drei Frauen, die sich da vor seiner Box auf der Stallgasse unterhalten. Ist das Vorfreude, die da in den Augen der gutmütigen Stute glitzert? Können Haflinger lächeln? Lara ist ein Fahrpferd. Ein erfahrenes zumal. Und als ein solches hat sie die Ruhe weg. Ein idealer Charakterzug für ein solides Lehrpferd, um grünschnäbelige Zweibeiner schnell und völlig zu Recht Vertrauen fassen zu lassen. Und so dauert es denn auch nicht lange, bis Barbara Wietheger – Landwirtin und Pferdebesitzerin aus Westerkappeln, Karin Thomas – geprüfte Wanderreitführerin aus Lotte-Büren sowie Masina Ewering aus Schapen im Emsland der milchkaffeebraunen Fellnase verzückt die lockige Mähne kraulen: „Feines Mädchen.“ Wäre Lara eine Katze – sie würde jetzt wohlig zu schnurren beginnen.
Warum Lara nur zuschauen darf …
Aber an diesem ersten Tag des Lehrgangs zum Erwerb des „Kleinen Fahrabzeichens“ für Einsteiger (FA 5) der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) muss Lara sich mit der Rolle des Zaungastes begnügen. Denn den Unterricht übernimmt heute ihr Chef Harald Gilke – seines Zeichens nicht nur FN-Fahrlehrer und der Betreiber des Fahrstalls „Goldbusch“ in Ibbenbüren, sondern zudem auch noch Turniersportler, Ausbilder, Trainer, Richter und Parcours-Chef in Personalunion. Und die theoretischen Grundlagen des Fahrens, da würden ihm wohl selbst seine Vierbeiner zustimmen, lassen sich nun einmal besser in Menschensprache vermitteln …
Die Weisheiten des Benno von Achenbach
Wer mit dem Fahrsport liebäugelt, erklärt Gilke den angehenden Kutscherinnen, kommt an Benno von Achenbach nicht vorbei. Der 1861 in Düsseldorf geborene Sohn eines Landschaftsmalers und spätere Leiter des Kaiserlichen Marstalls unter Wilhelm II. begründete 1922 eine nach ihm benannte Fahrlehre, die bis heute als das Maß aller Dinge im internationalen Fahrsport gilt. „Das Achenbach-System gründet sich auf drei Säulen“, erläutert Harald Gilke: „Auf Sicherheit, Zweckmäßigkeit und auf dem Anspruch, dass das Fahren immer pferdeschonend erfolgen muss.“ Eine Einstellung, die nicht nur Haflingerstute Lara und ihren
Kollegen Albert, Allegro und Samson angenehm in den gespitzten Ohren klingen dürfte, sondern die auch den Lehrgangs-Teilnehmerinnen einleuchtet. Denn Tierschutz, sind sich die drei Pferdefreundinnen einig, sollte beim Umgang mit einem Lebewesen stets die oberste Priorität besitzen. „Indem sie sich fortbilden und Wissen erwerben über die richtige Haltung von Pferden, über deren korrekte Ernährung, Pflege und das vorschriftsmäßige Fahren“, betont Gilke, „praktizieren sie bereits Tierschutz – weil sie sich in Zukunft richtig verhalten werden.“ Erleichtertes Durchatmen – die erste Lektion sitzt.
Die Kunst, das Leben zu verlangsamen
Doch weitere Herausforderungen kündigen sich an: Wie wird das Pferd angeschirrt und vor die Wagonette gespannt? Wie werden die Leinen verschnallt? Und als Krönung: Wie lenkt und beherrscht der Grünschnabel sein Gespann – im Schritt wie auch im Trab? Fünf weitere Samstage werden nötig sein, bis Barbara Wietheger, Karin Thomas und Masina Ewering nicht nur die theoretischen Grundlagen des Freizeitfahrens verinnerlicht, sondern sich auch auf dem Kutschbock zu handfesten Leinenkünstlerinnen gemausert haben werden – und ihr Wissen dann in einer Abschlussprüfung unter Beweis stellen. In der nächsten Unterrichtseinheit werden sich auch Lara und ihre Stallgenossen ins Geschehen einklinken. Die erfahrenen Haflinger scheinen längst zu ahnen, dass sie nicht nur als Anschauungsobjekte und Trainingspartner zum Zuge kommen, sondern auch als professionelle Wunscherfüller: „Mit Pferd und Kutsche im Schritt durch die Landschaft zu zuckeln und dadurch das Leben auf angenehme Weise zu verlangsamen“, sinniert Karin Thomas, „das ist schon immer mein Traum gewesen.“ Na dann mal: Ran an die Achenbach-Leinen!
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 24.02.2016; Westfälische Nachrichten, 24.02.2016)