Andy Warhol. Jackson Pollock. Yves Klein. Als meine Freundin Susanne noch in Köln gewohnt hat, sind wir regelmäßig ins Museum Ludwig gegangen. Denn obwohl wir, was das Hintergrundwissen angeht, allenfalls enthusiastische Amateure sind, macht uns „Kunstgucken“ doch viel Spaß. Durch ihren Umzug nach München haben sich die Koordinaten unserer gemeinsamen Leidenschaft in die Pinakothek der Moderne verlagert: Sigmar Polke. Joseph Beuys. Dan Flavin. Wenn mich Susanne demnächst mal wieder in der heimatlichen Provinz besuchen kommt, werde auch ich mit einem neuen, spannenden Kulturort aufwarten können. Mein persönlicher Favorit liegt seit dem vergangenen Wochenende in Fahrradreichweite: Im Ortskern von Mettingen lud die 2009 von der Unternehmerfamilie Brenninkmeijer gegründete Draiflessen Collection erstmals zu einem Tag des offenen Hauses ein.
Kein Ort für Spontanität?
Nicht, dass die 890 Quadratmeter große Ausstellungsfläche bis dahin für Besucher unzugänglich gewesen wäre. Aber schauen konnte eben nur, wer sich vorher telefonisch angemeldet hatte. Ganz offiziell also. Nicht unbedingt ein Ort für den spontanen Kunstgenuss. Dazu dieser hohe Zaun und das dichte Gebüsch, die das Gebäude von der Umgebung abzuschirmen scheinen und für Passanten kaum einen Blick auf dessen modern geschwungene Architektur zulassen. Nein, irgendwie habe ich mich bisher nicht getraut und immer einen Bogen um das distanziert wirkende, unterkühlte kleine Museum gemacht.
Einer Fehleinschätzung erlegen …
Doch wie ich mich jetzt – in einem Pulk vorfreudiger Kunstinteressierter vom Grundschul- bis zum Seniorenalter – dem Gebäude nähere, wird mir klar, dass ich über all die Jahre einer kompletten Fehleinschätzung erlegen war: Das ist gar kein „kleines Museum“! Und auch die Beschreibung „unterkühlt“ trifft seine Ausstrahlung keineswegs. Vielmehr überaus „elegant“ schmiegt sich die Draiflessen Collection in die westfälische Dorfkulisse. Der Bau strahlt ruhiges Selbstbewusstsein und einladende Offenheit gleichermaßen aus. Hinter der – gegenüber dem Gelände leicht abgesenkten – gläsernen Eingangsfront empfängt uns ein weitläufiges Foyer und verbreitet das Flair von erlesenem Understatement. Museumsshop. Kaffeebar. Museumspädagogische Ecke. Alles da. Und noch so hübsch.
Die Kunst des Aufbewahrens
An der einen Raumseite stimmt eine fast 15 Meter breite Video-Installation die Besucher auf das Thema der aktuellen Sonderausstellung ein – „Die Kunst des Aufbewahrens“: Vor einer Mauer aus virtuellen Archivkartons, die Stoß auf Stoß in ein Regal aus purem Licht gestapelten sind und per Bewegungsmelder dem Betrachter ihren Inhalt offenbaren, diskutiert angeregt eine Gruppe Kulturgenießer. Unter ihnen Raimund Beckmann, der als Leiter des Westerbecker Kulturhofs nicht nur ein Kunstfreund, sondern zudem ein ausgewiesener Experte und leidenschaftlicher Sammler ist. Auch er, verrät er, habe bisher den Aufwand gescheut und nutze den Tag des offenen Hauses zu einer ersten Kontaktaufnahme. Als renommierter Architekturprofessor hat der Westerkappelner einen geschulten Blick fürs Ästhetische: „Ich bin sehr beeindruckt“, schwärmt er, „allein für diese faszinierende Installation, die den Zuschauer zum Akteur macht, hat sich die Reise schon gelohnt.“
„Die Menschen aus der Region ansprechen“
Aber natürlich hält das gastliche Haus für seine Besucher heute noch viel mehr bereit: Passend zum Ausstellungsthema „Sammeln. Entdecken. Dokumentieren. Bewahren“, in dessen Mittelpunkt die familieneigene Sammlung und die Tücken des Archivierens schlechthin stehen, haben Museumspädagogin Tanja Revermann und ihre Mitstreiterin Silke Meyer-auf der Heidt die pädagogische Ecke in eine konservatorische Werkstatt verwandelt, in der es jede Menge zu tun und zu erkunden gibt. Kuratorin Barbara Segelken und ihre Kolleginnen führen derweil bis zum Feierabend insgesamt 1555 Personen durch das Gebäude, beantworten Fragen und erläutern das Konzept der Schau.
„Überwältigt von der Resonanz“
„Wir sind überwältigt von der Resonanz“, kann Barbara Segelken den Ansturm noch immer nicht ganz fassen. Das Ziel des Tages, die Menschen aus der Region stärker anzusprechen und ihnen die Draiflessen Collection wirkungsvoll zu präsentieren, dürften die Macher erreicht haben. Die nächste Sonderausstellung behandelt das Thema „Phänomen Familienunternehmen“ und wird voraussichtlich am 10. Juli eröffnet. Auch zu ihr, kündigt Draiflessen-Mitarbeiterin Tanja Kemmer an, werde es wohl einen Tag des offenen Hauses geben. Meine Freundin Susanne wird begeistert sein.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 03.02.2016; Westfälische Nachrichten, 03.02.2016)