Wer den Lieblingsplatz von Daniel Hoffstädt besucht, darf gerne die Augen schließen – so lässt sich der Detailreichtum der Landschaft noch besser erkennen. Klingende Farben formen sich zu einer vibrierenden Topografie: Bilden wolkenhohe Räume aus grenzenloser Transparenz. Verwandeln sich in ruhig schwingende Ebenen. Türmen sich auf zu einer Brandung aus leuchtenden Wellen. Wo sich schwebende Frequenzen zu harmonischen Klängen bündeln, wo aus nüchternen Sinuskurven berauschende Musik entsteht – da beginnen für den 28-jährigen Westerkappelner die wohltemperierten Gefilde des musikalischen Genusses.
Ein breiter Weg ins Land der Harmonien
Die Mutter Musikschulleiterin. Der Vater Kirchenmusiker. Im Hause Hoffstädt waren die Wege ins verwunschene Land der Harmonien schon von je her breit angelegt und gut ausgebaut. Wie andere Jungen und Mädchen mit dem Dreirad über den Hof, sauste der vierjährige Daniel auf den selbsterzeugten Melodien von Glockenspiel und Blockflöte bereits in frühester Kindheit oft, gerne und vor allem: mit spielerischer Leichtigkeit zu seinem Lieblingsplatz. „Mit sechs Jahren habe ich dann Einzelunterricht am Klavier bekommen“, erinnert er sich. „Chopin, Schumann – die Werke der großen Komponisten waren ja ständig bei uns im Wohnzimmer präsent. Und irgendwann“, sagt Hoffstädt, „wollte ich das alles auch spielen können.“
„Eine Ausbildung zum Cembalo- und Klavierbauer – das ist es“
Als er einige Jahre später als Schüler ein Praktikum bei einem Osnabrücker Musikhaus absolvierte, habe er sofort gewusst: Eine Ausbildung zum Cembalo- und Klavierbauer – das ist es. „Von meinen Eltern habe ich wohl ein recht gutes Gehör abgestaubt“, schmunzelt der musikalische Weltenbummler: „Es fällt mir leicht, in die Musik einzutauchen und in die Töne hinein zu gehen.“ Aber wie sieht die Welt aus, die sich ihm hinter den Klängen in Dur und Moll, hinter den Terzen und Quarten eröffnet? Der 28-Jährige lächelt und deutet auf das wuchtige Ibach Piano von Hobbymusikerin Christel Barkau. Die Reise hinter die Noten zu beschreiben, erfordere einige Vorkenntnisse, sagt er und öffnet die Klappe des betagten Instruments: Baujahr 1909, ein echter Oldtimer für die Fahrt zum Lieblingsplatz des selbständigen Klavierstimmers.
Ein exzellentes Gehör und umfangreiches Fachwissen
Er holt seine Stimmgabel aus dem Koffer – Kammerton A1, 440 Hertz, den Stimmhammer, die Dämpfungskeile aus weichem Gummi – und beugt sich über die Eingeweide des Ibach: rund 240 Saiten, die meisten von ihnen zu dritt zu einem Chor gebündelt, der dann von einem der insgesamt 85 Hammerköpfchen angeschlagen wird – also einen Ton repräsentiert. „Wobei ein Ton genau genommen ein Klang ist, der aus einem Grundton und mehreren Obertönen besteht – die man auch tatsächlich heraushören kann“, erklärt Hoffstädt und schiebt behutsam den Gummikeil zwischen die Saiten. „Jeder Chor muss ineinander und alle Chöre zueinander stimmen.“ Die alles entscheidende Frage: Wie hört sich eigentlich eine richtige, eine gute Stimmung an? Um das zu erkennen, verfügt Daniel Hoffstädt neben einem exzellenten Gehör auch über umfangreiches Fachwissen: Er weiß um die verschiedenen historischen Stimmsysteme, die die Instrumente vergangener Jahrhunderte ganz anders erklingen ließen als heute. Er weiß um das pythagoreische Komma und um die Hypothesen von Johann Sebastian Bach zur wohltemperierten Stimmung. „Eigentlich verstimme ich das Klavier, wenn ich es stimme“, beschreibt er augenzwinkernd seine Profession, während er den Stimmhammer auf einen der Wirbel setzt und behutsam eine stählerne Saite spannt: „Aber ich verstimme es genau richtig – das ist das Geheimnis.“
Je stimmiger die Harmonien, desto prächtiger das Bild
Nach einer guten Stunde ist der hölzerne Ibach-Oldtimer bereit für einen Ausflug ins Land der reinen Oktaven: Daniel Hoffstädt setzt sich auf den Klavierhocker, greift in die Tasten – der Vorhang der Frequenzen öffnet sich, die Sinnesreise beginnt. „Wer weiß, was alles nötig ist, um wohltemperierte, komplexe Stimmungen zu erzeugen, der nimmt die Musik dann möglicherweise auch anders wahr“, vermutet er. „Als Klavierbauer erkenne ich feinste Nuancen und spüre, wie sich die Schwebungen zueinander bewegen.“ Und je stimmiger die Harmonien, desto schärfer, prächtiger und intensiver das Bild, das der Musiker mit seinen Melodien malt. „Ganz egal ob Klassik oder Jazz, elektronisch oder rockig – wenn Musik gut gemacht ist“, sagt Daniel Hoffstädt, „dann kann man sich vollständig in sie zurück ziehen – und gelangt durch sie an wunderbare akustische Orte.“
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 22.10.2014; Westfälische Nachrichten, 22.10.2014)