Schon ihr hochfrequentes, aggressives Fauchen gebietet Respekt. Gar nicht erst zu sprechen von der beeindruckenden Phalanx aus messerscharfen Zähnen, die das kleine Monster – gut sichtbar und jederzeit zum Zubeißen bereit – angriffslustig bleckt. Mit mehr als drei Pferdestärken bei einem Eigengewicht von nur rund fünf Kilogramm, frisst sich die Kettensäge durch das Holz. Ein echtes Raubtier! Und auch ebenso schwer zu bändigen. Wer ein derart aufbrausendes Werkzeug in die Hände nimmt, ist gut beraten, vorher einen „Kettensägenführerschein“ zu erwerben. Wir haben den künftigen Domteuren dabei auf ihre – zehn! – Finger geschaut.
Schon so manchen Totholzstapel aufgeschichtet
Als Mitglied der Arbeitsgruppe (AG) Naturschutzjugend der Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Tecklenburger Land (ANTL) hat Jule Janke aus Büren schon so manchen Ast geschleppt und so manchen Totholzstapel aufschichten geholfen. Seit dem Jahr 2007, als sie in die fünfte Klasse gekommen ist, engagiert sich die Studentin für den Erhalt der Kulturlandschaft: Steinkauzröhren bauen, Streuobstwiesen pflegen – oder eben: Kopfweiden schneiteln. Bisher durfte sie dabei allerdings nur ihre eigene Muskelkraft einsetzen und zur Bügelsäge greifen. Doch das wird sich nun wohl ändern: Nach alter AG-Tradition hat Koordinator Friedhelm Scheel die Bürenerin, die im vergangenen Jahr ihren 18. Geburtstag gefeiert und damit das für den Erwerb des Säge-Zertifikats geforderte Mindestalter erreicht hat, zum „Grundlehrgang Motorsäge“ bei der Deula in Freren angemeldet.
„Ziel dieses Lehrgangs ist es, dass jeder von euch nachher selbständig einen Baum fällen und aufarbeiten kann“, erklärt Deula-Ausbilder Bernd Sur den angehenden Kettensägern. Außer Jule nehmen dieses Mal nur Männer teil – darunter auch ihr AG-Kollege Steffen Sparenberg aus Mettingen. „Im vergangenen Jahr war die Naturschutzjugend mit drei Frauen vertreten“, bemerkt Friedhelm Scheel nicht ohne Stolz. Sowohl die Teilnahme am Kurs wie auch jeweils eine komplette persönliche Schnittschutzausrüstung finanziert die AG ihren volljährigen Mitgliedern mit Hilfe von Sponsoren. „Im Gegenzug können wir dann ab sofort noch mehr beim Naturschutz mit anpacken“, sagt Jule.
„Das sieht klasse aus, Jule!“
Vor den Baum hat Bernd Sur allerdings die Theorie gestellt: Aber Jule, die angehende Maschinenbauingenieurin, und Steffen, der künftige Grundschullehrer, lernen nicht nur, wie eine Kettensäge aufgebaut ist und wie sich Unfälle mit ihr vermeiden lassen – sie müssen auch selber ran: Kette reinigen, Kette – richtig herum! – auf die Führungsnut des Schwertes friemeln und vorschriftsmäßig spannen. Anschließend die feinen Hobelzähnchen schärfen. Mit ruhigen Bewegungen zieht Jule die Rundfeile über das Metall. „Das sieht klasse aus, Jule“, freut sich Friedhelm Scheel, als er ihr über die Schulter blickt und sie bei der sicheren Handhabung des Werkzeugs beobachtet. Die rot lackierten Fingernägel der 18-Jährigen bilden dabei einen aparten Kontrast zu der ölverschmierten Sägekette.
Von Fällkerbsohle und Fällkerbdach
Den Kopf in den Nacken gelegt, starren die Kettensäge-Aspiranten ein paar Stunden später ehrfürchtig zu den strubbeligen Kronen der gut 15 Meter hohen Kiefern hinauf, die am Rande der Gemeinde Freren einen kleinen Nadelforst bilden. Theoretisch könnte jeder von ihnen problemlos einen dieser Bäume fällen. Im sicheren Schulungsraum hat Bernd Sur ihnen vorhin genau erklärt, worauf es dabei ankommt: Die Fällkerbsohle möglichst bodennah in den Stamm treiben. Dann folgt der Schnitt für das Fällkerbdach – und schließlich ist auf der gegenüberliegenden Seite der Fällschnitt so anzusetzen, dass der Baum über eine Bruchleiste sicher gelenkt zu Boden geht. Soweit die Theorie. Aber wie sieht es in der Praxis aus?
Ein hölzerner Kandidat zum Niederstrecken
Bernd Sur hat jeden seiner Schüler aufgefordert, sich einen hölzernen Kandidaten zum Niederstrecken auszuwählen. „Hilfs-Ausbilder“ Friedhelm Scheel stiefelt neugierig hinter Jule über das moosbewachsene Terrain. „Ich denke, wir nehmen diesen hier“, beschließt die junge Frau und stellt ihre Kettensäge neben einer schlanken Kiefer ab. Aufmerksam sondiert sie das Gelände. Wohin soll die Kiefer fallen? Da Jules Wunschbaum ebenmäßig geformt scheint, gibt sein Wuchs keine bevorzugte Richtung an. Nachdem die Studentin das Brombeer-Gestrüpp um den Stamm herum entfernt hat, erläutert sie, wo sie den Kerbschnitt anzusetzen gedenkt. Scheel nickt zustimmend. Schnittschutzhandschuhe überstreifen. Motorsäge starten. Das Visier herunterklappen – und los geht es. Souverän führt Jule das Schwert ihrer Säge durch den Holzkörper: Fällkerbsohle. Fällkerbdach.
Ein Wunschbaum mit eigenen Plänen
Bevor sie jedoch mit dem finalen Fällschnitt beginnt, kniet Bernd Sur sich vor den Stamm und kontrolliert gewissenhaft Jules Vorbereitungen. „Sehr gut“, urteilt der Fachmann. „Dann zeig mal, was du drauf hast.“ Die junge Frau lässt die Kettensäge aufheulen. Späne wirbeln durch die Luft. Eine Naturschützerin in voller Aktion! Die Kiefer wankt. Knirscht. „Baum fällt!“ ruft Jule, zieht die Säge aus dem Holz und lässt die Kettenbremse einrasten. Aber die Kiefer hat andere Pläne. Wie in Zeitlupe dreht sie sich ächzend über die halbe Bruchleiste zur Seite und verfängt sich dann im Geäst ihrer Nachbarin. Jule sieht Bernd Sur fragend an. „So etwas wirst du noch häufiger erleben“, versichert er der Debütantin. Denn nicht nur das Raubtier Kettensäge gilt es zu beherrschen, auch die Beute Baum verhält sich oft unberechenbar und kann zur Gefahr werden. Der Deula-Mitarbeiter drückt der Studentin einen langstieligen Fällheber als Hebel in die Hand, mit dem sie der widerspenstigen Kiefer entschlossen den entscheidenden Schubser versetzt. „Baum fällt!“, ruft Jule etwas außer Atem. Und dieses Mal fällt er auch wirklich.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 20.01.2016; Westfälische Nachrichten, 20.01.2016)