Zum Schluss – das muss einfach sein – mache ich noch schnell ein Foto von Erwin Peterman und seinen Tulpen. Der freundliche Mann aus Lemselo, Region Twente, Niederlande, ist immer noch damit beschäftigt, seinen Blumenstand auf dem Wochenmarkt in Mettingen aufzubauen.
Ausflug ins Paralleluniversum
Während bei den anderen Händlern die Waren längst über den Tresen gehen, schleppt Peterman vasenweise bunte, Blatt gewordene Frühlingsfrische aus seinem Lkw. Weil er sich so viel Zeit genommen hat für ein Gespräch mit mir, weil er mir schwer begeistert von seiner Tochter Lorena erzählt hat, die ein echtes Ass im Mountainbiking ist, von seinen Stammkunden, die er zwar nicht mit Namen kennt, deren Gesichter ihn aber oft in Gedanken bis ins heimische Lemselo begleiten, ist er in Verzug geraten. „Noch schnell ein Foto machen?“, wiederholt Erwin Peterman in seinem breiten, holländischen Akzent und tut wesentlich empörter, als er in Wirklichkeit ist. „Warum muss denn bei euch bloß immer alles so schnell gehen?“, schmunzelt er: „Lass dir doch einfach Zeit und bleib locker.“ Ich gebe zu: Die Aufforderung, langsam und mit Bedacht zu arbeiten, habe ich schon viel zu lange nicht mehr gehört. Sie könnte zugleich als Credo über dem kleinen Wochenmarkt schweben, der wohl manchem, auf Effizienz geeichten Kunden, einen pädagogisch wertvollen Ausflug in ein komplett entschleunigtes Paralleluniversum gewährt.
„Hochwertiges und vielfältiges Angebot“
Drei rote Paprika. Ein Bund Radieschen. Fünf Möhren. Ein Sträußchen glatte Petersilie – nein, doch lieber die krause. Sieben Tomaten und eine Handvoll Feldsalat. „So recht?“, fragt Christel Piper-Stoy und versenkt das gesunde Allerlei in den mitgebrachten Flechtkorb der Kundin, die noch einmal gewissenhaft die Auslage sichtet. „Ach, dann geben sie mir bitte noch eine Zitrone und zwei rote Beete.“ Am Bioland-Stand von Klaus Jaschinski aus Ibbenbüren, der seit mehr als 30 Jahren auf dem Mettinger Wochenmarkt vertreten ist, herrscht reger Betrieb. „Ich komme jeden Donnerstag hierher, um frisches Obst und Gemüse zu besorgen“, erklärt eine grau melierte Dame, die sich geduldig in die Warteschlange eingereiht hat: „Eine gesunde Ernährung ist mir wichtig, und ein so hochwertiges und vielfältiges Angebot wie hier, gibt es hier in den Geschäften vor Ort einfach nicht.“ Während Christel Piper-Stoy, die zwei Jahrzehnte lang einen eigenen Bioladen betrieben hat und in ihrer Freizeit nichts lieber tut, als sich mit ihren beiden Rauhaardackeln zu beschäftigen – während sich also Christel Piper-Stoy aufmerksam um die nächste Kundin kümmert, entspinnt sich unter den Wartenden eine muntere Unterhaltung. Die rustikale Atmosphäre zwischen witterungsbeständigen Plastikplanen und Heizstrahlern animiert zu kommunikativer Offenheit. Eilig scheint es hier keiner zu haben.
Viel westfälischer geht es nicht
Grünes Käppi, grüner Wollpullover, grüne Weste, grüne Hose – kommt mir Franz Fischer entgegen gestiefelt. Viel westfälischer geht es nicht. An seinem Stand wird Platt gesprochen. Gehandelt werden: Kartoffeln. Selbst angebaut und selbst geerntet – frisch aus der Nachbargemeinde Recke. Wie lange er schon zu den Wochenmärkten in der Umgebung fährt, weiß er auch nicht mehr so genau. „Zwei Jahre will ich das aber noch durchhalten“, verrät Fischer und nickt entschlossen: „Dann bin ich 85.“ Ich betrachte den wettergegerbten, lebhaft gestikulierenden Landwirt vor mir und staune. Fischer nickt vergnügt und lässt seiner Gesprächigkeit die Zügel schießen. Die Nachfolge auf seinem Familienbetrieb, erzählt der Senior sichtlich zufrieden, die sei gesichert: Sein Sohn ist mit im Boot, einer der Enkel liebäugele auch bereits mit dem Landleben – und vielleicht ja sogar mit dem Kartoffelanbau.
„Wir sind keine Aushilfen, sondern Fachleute“
„Ein funktionierender Wochenmarkt zeichnet sich durch eine lebendige Wechselbeziehung zwischen den Anbietern und den Kunden aus“, beschreibt Obst- und Gemüsehändler Frank Schmieding aus Osnabrück die gewachsenen Strukturen des Mettinger Marktes. „Wir sind hier alle keine Aushilfen, die zufällig für ein paar Stunden die Stände betreuen, sondern können als Fachleute über unser komplettes Angebot Auskunft geben.“ Wunschlos glücklich ist Schmieding dennoch nicht: „Gerade das Marketing in den kleineren Gemeinden sollte das besondere Flair eines guten Wochenmarktes stärker in die Öffentlichkeit tragen und zur Aufwertung des eigenen Ortes nutzen.“ Oder, wie es Erwin Peterman, der noch immer Kübel um Kübel voller duftender Tulpen aus den Tiefen seines Lkw hervor zaubert, formuliert: „So ein Markt hält ein ganzes Dorf in Bewegung – und das ist doch gut, oder?“
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 02.2015)