„Wer Brieftauben hält“, sagt Dieter Diekmann und betrachtet stolz den gurrenden, silbergrauen Täuberich, den er behutsam in seinen Händen hält, „der will auch mit den Tauben reisen.“ Sprich: Seine Vögel per Transport-Lkw zu einem der zertifizierten, bis zu 600 Kilometer entfernten „Auflassorte“ bringen, von wo aus die sportlichen Tiere dann schnurstracks in die heimatlichen Gefilde zurückkehren. Diekmann setzt den wachsam um sich zwinkernden Täuberich, der die schlichte Bezeichnung „Nummer 61“ trägt und in diesem Jahr als bestes von 373 jährigen Männchen beurteilt worden ist, auf dem Stallboden zwischen seinen Artgenossen ab und nickt zufrieden. Rund hundert Brieftauben tummeln sich – streng getrennt nach Männchen und Weibchen – derzeit im Schlag des gelernten Kraftwerksmeisters. Im Frühling, wenn die Brutsaison neuerlich beginnt, werden es wieder mehr.
Zweifacher Regionalmeister
Der Vorsitzende des Brieftaubenvereins „07720 Reiselust Westerkappeln“ lässt seinen Blick über die hölzernen Sitzregale, auf denen einige der Tiere neugierig verweilen, schweifen und fährt fort: „Und wer mit seinen Tauben reist“, sagt er, „der will natürlich auch gut reisen.“ Sprich: schnell. „Eine durchtrainierte Taube fliegt bei günstigen Windverhältnissen um die 1500 Meter pro Minute“, erklärt der 63-Jährige. „Die Spitzengeschwindigkeit liegt um 2000 Meter pro Minute.“ Wenn es gut läuft, düsen Dieter Diekmanns geflügelte Freizeitpartner also mit mehr als 90 Stundenkilometern in Richtung Breitengrad: 52°18‘55,2‘‘, Längengrad: 07°52‘08,7‘‘. Dort wird das Eintreffen der allesamt mit einem Sender versehenen Individuen dann automatisch erfasst und die jeweilige Reisegeschwindigkeit ermittelt. Neben diversen anderen Auszeichnungen zeugen auch zwei Titel als Regionalmeister davon, dass es bei Diekmann und seinen Brieftauben durchaus öfter durchaus gut läuft.
Was zeichnet eine gute Taube aus?
„Eine umsichtige Zucht ist alles“, betont der Westerkappelner. Aber hin und wieder muss auch er „frisches Blut“ zukaufen, um seinen Bestand robust zu halten. Während chinesische Taubenenthusiasten bei internationalen Auktionen auch schon mal sechsstellige Summen für eine einzelne Brieftaube der Königsklasse hinblättern, ersteht Diekmann seine Neuzugänge allerdings deutlich günstiger – eher im zwei- als im dreistelligen Euro-Bereich, und vor allem: am liebsten direkt beim Züchter seines Vertrauens. „Ich muss so ein Tier in der Hand halten, bevor ich mich dafür entscheide, es zu kaufen“, setzt der Vereinsvorsitzende auf unmittelbaren Kontakt. Was macht für ihn eine gute Taube aus? „Ein korrekter Körperbau, eine ausgeprägte Muskulatur, kräftige Flügel“, zählt der Fachmann auf, „auch ein Blick auf die Eltern lohnt sich – und natürlich muss ich die Taube leiden mögen.“
Goßvater Hermann als Vereinsgründer
Neben einer soliden Zuchtstrategie und dem Füttern von hochwertigen Körnermischungen ist das regelmäßige Training der Tiere eine der Voraussetzungen für den späteren Wettkampferfolg. Doch wie trainiert man eine Brieftaube? Wegscheuchen? Anlocken? Auf Kommandos dressieren? Dieter Diekmann schüttelt gelassen den Kopf. „Die meisten Brieftauben sind von Natur aus gern in der Luft und fliegen von sich aus“, beschreibt er. Ist der Himmel blau und kein Greifvogel in Sicht, entlässt er seine silbergraue Vogelschar täglich vor- und nachmittags in die Freiheit. Dann drehen die Tauben gemächlich ihre Runden über Diekmanns Lieblingsplatz und signalisieren durch ihr Zurückkehren, dass auch sie ihr Zuhause zu schätzen wissen. Die Leidenschaft für die „Rennpferde der Lüfte“ hat Dieter Diekmann übrigens von seinem Großvater Hermann übernommen. Der hat seinerzeit die „07720 Reiselust Westerkappeln“ mit gegründet, deren Vorsitzender sein Enkel heute ist – und die im Jahr 2016 ihr 60-jähriges Bestehen feiert.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 30.12. 2015; Westfälische Nachrichten, 30.12. 2015)