Das Thermometer zeigt plus drei Grad bei leichtem Nieselregen. Unterhalb der grauen Wolkendecke aber leuchten hölzerne Sterne. Für einen dieser Himmelskörper ist der neunjährige Marlon verantwortlich. Gemeinsam mit seinen Mitstreiterinnen Diana und Merle trägt er das Symbol der Sternsinger durch die Bauerschaft Halen. Von Haustür zu Haustür. Fünf Tage lang wird gesungen, gesammelt und gesegnet. Statt einer laminierten Goldkrone streife ich mir mein wollenes Käppi über – und begleite die drei Viertklässler, die unterwegs sind im Auftrag des Herrn.
Nur so tun als ob…
Astronomen? Könige? Heilige? Merle und Diana winken ab: „Wir tun ja nur so, als ob“, entgegnen sie amüsiert und drücken sich ihren glitzernden Kopfschmuck fester um die Ohren. Ziemlich windig ist es an diesem Vormittag. Kaum, dass die Heiligen drei Könige ihr Basislager, Merles Elternhaus im Zuschlag, verlassen haben, lassen die Böen ihre bunten Umhänge wild flattern. Ausreichend gesegnete Kreide in die Jackentasche gestopft. Die verplombte Sammelbüchse der St.-Margaretha-Gemeinde für die Mission von Pater Arnold in Paraguay nicht vergessen. Und natürlich: An den Baumwollbeutel für die eigene Wegzehrung denken. Marlon-Melchior schultert den zitronengelben Sperrholzstern und sagt: „Eigentlich sind wir ja eher so eine Art Schauspielertruppe.“ Caspar und Balthasar nicken zustimmend. „Als Könige verkleidet unterwegs, um für arme Kinder zu sammeln“, benennen sie denn auch den Kern ihrer Mission. 51 Kinder im Alter von fünf bis 13 Jahren seien in der vergangenen Woche im Pfarrbezirk Halen, Wersen, Alt-Lotte und Westerkappeln als Sternsinger unterwegs gewesen, erläutert Organisator Werner Ramatschi von der katholischen Kirchengemeinde St. Margaretha.
Der Hauch des Ungewissen
„Wir kommen daher aus dem Morgenland…“ – „Madita, guck mal: Die Sterntaler sind da!“ Irgendwie hat Marlon doch Recht: Eine gewisse schauspielerische Professionalität ist gefragt, wenn man immer wieder aufs Neue auf ein zumeist völlig fremdes und somit schwer einzuschätzendes Publikum trifft – auf dessen wohlwollende Unterstützung man ja schließlich baut. So folgt der Auftritt der Sternsinger einem immer gleichen und vielfach geprobten Schema: Gesang, Gedicht, Segensspruch, Bitte um Spenden, Danksagung. – Soweit die Theorie. Im wirklichen Leben erwartet uns jedoch hinter jeder Tür der unwiderstehliche Hauch des Ungewissen: oftmals kleines Abenteuer und große Freude zugleich. Zum Beispiel die nette Seniorin, die uns mit einem glühenden „Da seid ihr ja endlich“ begrüßt, sich dann andächtig auf ihren Rollator stützt und mit feuchten Augen das „Gloria“ mitschmettert. Oder der junge Vater, der ob unseres unangemeldeten Auftauchens ganz begeistert die gesamte Familie – Kinder, Ehefrau, Schwiegereltern und Untermieter – zusammentrommelt, damit auch nur ja niemand unser kleines Gastspiel verpasst. Unvergesslich auch die sehr liebenswerte und sehr überrumpelte Dame, die nach unserem Vortrag hektisch in ihrer Wohnung verschwindet und erst eine ganze Weile später mit zwei Händen voller Münzen und dem entschuldigenden Kommentar „Aber in die Dose werfen müsst ihr das schon selber“ wieder auftaucht.
Warum ein Sternsinger werden?
Ich bin überrascht, wie viele Halener den Sternsingern zuhören. Geduldig, interessiert und aufgeschlossen. Außer Hartgeld werden auch jede Menge aufgerollte Scheine in die Sammelbüchse gefriemelt: grüne, rote, sogar blaue. Nur wenige Türen bleiben verschlossen. „Bei manchen Häusern merkt man, dass trotzdem jemand zuhause ist“, sagt Merle. „Aber die haben wohl keine Lust – das ist dann eben so.“ Derlei Ignoranz schmälert die Motivation der Heiligen drei Könige keineswegs. Auf meine Frage, mit welchen Argumenten sie andere Kinder davon überzeugen würden, sich im nächsten Jahr an der Sternsingeraktion zu beteiligen, antworten die Drei wie aus der Pistole geschossen: „Weil es so viel Spaß macht und nie langweilig wird!“ – „Weil wir damit Pater Arnold und den armen Kindern helfen!“ Diana hebt den Zeigefinger für das Schlusswort: „Und wer dann immer noch nicht will, dem sage ich: Es springen für Jeden Berge von Süßigkeiten dabei heraus!“
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 06.01.2015; Westfälische Nachrichten, 06.01.2015)