Der Weihnachtsmann trägt blau-gelbe Turnschuhe, einen Pferdeschwanz, na klar: ziemlich viele Pakete im Arm – und ist in dieser Variante: eine Weihnachtsfrau. Bis gegen 14 Uhr am Heiligen Abend spurtet Sabrina Wienkämper – genau wie ihre 24 Kollegen vom Zustellservice der Deutschen Post, die für den Bereich Lotte und Westerkappeln zuständig sind – durch die Straßen, um dafür zu sorgen, dass auch das letzte Geschenkpäckchen noch rechtzeitig seinen Platz unter dem Tannenbaum findet.
Das Packen will gelernt sein
Wie soll das da alles reinpassen, frage ich mich, als ich die Weihnachtsfrau ein paar Tage vor der großen Bescherung auf ihrer Tour begleite. Gegen 8 Uhr früh hat Sabrina Wienkämper schon mal angefangen, einen Teil der rund 200 Päckchen und Pakete, die sie im Laufe der nächsten acht Stunden ausliefern wird, einzuscannen und in den gelben Bulli zu verladen. Flache Schachteln. Sperrige Kartons: Der Berg aus vielformatigem Allerlei bis maximal 31,5 Kilo pro Stück will und will nicht kleiner werden. Ein schneller Blick auf den Adressaten – und schon landet das nächste Paket in den Tiefen des Transporters: Die einen hochkant in die Lücken geschoben, die anderen sorgsam übereinander geschichtet. Da steckt doch ein ausgeklügeltes System dahinter, oder? „Mehr als zehn Jahre Erfahrung“, sagt die 29-jährige Wersenerin und schmunzelt.
Wenn nur der Hund zuhause ist
In der heißen Phase – wenn sich die Zahl der Briefe mehr als verdoppelt und fast viermal so viele Pakete versendet werden wie außerhalb der Weihnachtszeit – richtet die Post zusätzliche Bezirke ein: auch für den Bereich Lotte und Westerkappeln. Für einen davon ist Sabrina Wienkämper zuständig. Den Scanner geschnappt. Aus dem Bulli springen. Heckklappe öffnen. Ein kurzer Moment der Besinnung, in dem die Zustellerin die Sortierung gedanklich überfliegt. Dann ein gezielter Griff in den Wust aus Pappquadern. Auch ich darf tragen helfen. Wir streben zum Klingelknopf: nichts. Noch ein Versuch – aber außer eines empört kläffenden Hundes ist keiner zuhause. Schade, denke ich und sehe gerade noch, wie Sabrina Wienkämper – die dreimal in der Woche Leichtathletik betreibt, einmal zum Tanzen und einmal pro Woche zum Reiten geht – forschen Schrittes hinter der Hausecke verschwindet. „Dieser Kunde hat einen Ablagevertrag abgeschlossen“, erklärt sie. Wir dürfen unsere Gaben also an einem vereinbarten Ort zurück lassen. Neuerliches Scannen des Barcodes. Der Mini-Drucker am Gürtel von Sabrina Wienkämper spuckt eine Benachrichtigung aus, die wir in den Briefkasten werfen. Weiter geht es. „Am schönsten ist es zu beobachten, wie sich der Frachtraum langsam leert“, sagt die Wersenerin und lenkt den Diesel rückwärts in die nächste Einfahrt. „Wenn ich am Ende der Tour alle Pakete da abgeben oder hinterlegen konnte, wo sie hin gehören, bin ich zufrieden.“
Gutes Gedächtnis statt langer Listen
Mit vollen Armen wanken wir offenen und geschlossenen Türen entgegen. Oft werden wir freudig begrüßt und herzlich verabschiedet. Wir geben überdimensionale Kartons bei hilfsbereiten Nachbarn ab. Scannen Barcode um Barcode. Was nicht ausgeliefert werden kann, nehmen wir wieder mit zurück zum „Zustellstützpunkt“, von wo aus es an eine der drei Postagenturen in Lotte, Wersen oder Westerkappeln weiter geleitet wird. Gegen Mittag ist es lichter geworden im Laderaum unseres Schlittens. Nur noch ein paar Schachteln rutschen in jeder Kurve sanft über die Bodenplatte. Sabrina Wienkämper tritt auf die Bremse: „Zwei davon sind hier für Hausnummer 17.“ Und da erst fällt mir auf, dass wir die ganze Zeit ohne jedes Verzeichnis ausgekommen sind. Woher um alles in der Welt hat die Weihnachtsfrau gewusst, an welchem Haus sie anhalten musste? Sind am Ende doch höhere Mächte bei der Paketzustellung zum Heiligen Abend im Spiel? Die Zustellerin schüttelt den Kopf. „Weil ich so viele Familiennamen aus Lotte und Westerkappeln kenne, präge ich mir beim Beladen einfach die Anzahl und die Form der Pakete dazu ein.“ Die Form und die Zusammengehörigkeit von 200 Paketen samt Empfänger?! Sie lacht ob meiner Verblüffung. Sich stattdessen alle Posten in der richtigen Reihenfolge ausdrucken zu lassen – „Das wäre mir viel zu langweilig.“ Ausführliche Merklisten und handgeschriebene Wunschzettel – die überlässt Sabrina Wienkämper dann doch lieber dem echten Weihnachtsmann.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 24.12. 2014; Westfälische Nachrichten, 24.12. 2014)