Ja, ich esse Fleisch. Nicht oft. Nicht viel. Gerne regional produziert und am liebsten vom hiesigen Metzger fachgerecht verarbeitet. Das Töten überlasse ich – feige? – den Anderen und stelle mir die vermutlich eher hässlichen Details auch nur ungern vor: Zu blutig und zu qualvoll – in meiner Fantasie. Noch nie habe ich einem künftigen Braten kurz vor oder gar unmittelbar bei seinem Ableben zugesehen. Das wird sich in den nächsten Stunden wohl ändern, denn ich begleite die Jägerschaft aus Lotte-Büren bei ihrer Jagd auf Hasen, Kaninchen und Co..
Jenseits aller verklärten Waidmannsromantik
Nein, Axel Schoppmeier und Frank Westermann, Stefan Gründel, Horst Wessel und Franz Heidemann wirken nicht eben wie kaltblütige Killer oder prunksüchtige Trophäensammler. Sie stilisieren sich auch nicht als ökologisch beseelte Naturschützer. Die Fünf sehen entspannt aus, wie sie da auf dem etwas abgelegenen Parkplatz hantieren, die Hunde aus den Kofferräumen ihrer Fahrzeuge locken – ernüchtert und jenseits aller verklärten Waidmannsromantik. Ihr Handwerk, das Erlegen von Wildtieren, steht zunehmend unter öffentlichem Beschuss. „Tierschutzwidrig und ökologisch unverträglich“ seien die aktuellen Jagdpraktiken, werfen Tier- und Naturschutzverbände den Grünröcken vor und verweisen unter anderem auf das Aufstellen von Totschlagfallen, das Erlegen wildernder Hunde und streunender Katzen sowie die Hundeausbildung an lebenden Beutetieren. Voraussichtlich im kommenden Jahr soll in Nordrhein-Westfalen die derzeit heftig diskutierte Novellierung des Landesjagdgesetzes in Kraft treten. Ärgerlich? Frank Westermann zuckt mit den Schultern. „Dann dürften wir zum Beispiel statt derzeit rund hundert Arten nur noch 27 bejagen.“
Die Nase immer knapp über der Ackerkrume
Axel Schoppmeier lässt seine zehnjährige Deutsch-Drahthaar-Dame Mary von der Leine. Gemeinsam mit ihren vierbeinigen Kollegen Atze, Aska und Timo macht sich die Hündin daran, das vor uns liegende Feld zu durchstöbern. Die Nase immer knapp über der Ackerkrume, fliegt sie über das aufgekeimte Getreide. Schoppmeier lässt seinen Blick über das Gelände schweifen – die Trasse der Autobahn teilt große, intensiv bewirtschaftete, rechtwinkelige Äcker in mittelgroße, intensiv bewirtschaftete, rechtwinklige Äcker. Hauptstraßen. Nebenstraßen. Entwässerungsgräben. Wohnbebauung. Naherholung. Gewerbe. Mit Wildblumen und Kräutern bestandene Randstreifen? Zwischen den Parzellen mäandernde, artenreiche Hecken? Ein Stück Natur, sich selbst überlassen? Fehlanzeige. Die Landschaft scheint nahezu bis auf den letzten Quadratmeter durchgeplant. „Wild“, orakelt Schoppmeier, „gibt es vor allem da, wo es noch einigermaßen wild ist.“ Wenn das so weitergehe, sterbe die Niederwildjagd ohnehin aus. Ob also künftig statt hundert Arten nur noch 27 dem Jagdrecht unterlägen, sei angesichts dieser Entwicklung fast schon egal.
„Hund steht vor!“
„Hund steht vor!“ Wie eingefroren ist Mary mitten in einem ausgedehnten Brombeergebüsch erstarrt, das vor uns in einem Kiefernwäldchen liegt. „Wahrscheinlich Kaninchen“, flüstert Schoppmeier mir zu. An seine Fersen geheftet, pirsche ich durchs Unterholz. Stolpere über leere Bierflaschen. Getränkedosen. Einen einsamen Skater-Stiefel. Über Stapel mit ominösem Inhalt gefüllter gelber Säcke. Über einen viele Meter langen Wall aus illegal hierher gebrachter Gartenabfälle. Schoppmeier bemerkt meine Verwirrung. „Es gibt auch heute noch Menschen, die den Wald als Müllhalde betrachten“, sagt er mit unüberhörbar verbittertem Unterton. Aus den Augenwinkeln registriere ich eine blitzschnelle Bewegung. Dann bebt die Erde – und meine Wahrnehmung setzt für ein paar Sekunden aus. „Waidmannsheil!“, ruft Stefan Gründel vom Waldrand herüber. „Waidmannsdank“, antwortet Schoppmeier, senkt die Flinte und atmet erleichtert auf: ein sauberer Schuss. „Apport, Mary – bring‘ s her!“ So schnell kann man sich also als Kaninchen in Richtung Tiefkühltruhe bewegen, denke ich. Oder besser: bewegt werden.
„Das Schießen ist ja gar nicht das Wichtigste“
Die Gruppe streicht weiter durchs Revier. Wir stapfen durch Pfützen. Steigen über Stacheldrahtzäune. Springen beherzt über Entwässerungsgräben. Kämpfen uns durch Brombeer- und Brennnesselgestrüpp, das uns bis zu den Achselhöhlen reicht und rutschen über lehmig-feuchte Äcker. „Das Schießen ist ja gar nicht das Wichtigste“, sagt Schoppmeier. „Draußen sein. Sich bewegen. Mal an nichts anderes denken. Abschalten.“ Mary schmiegt sich an sein Bein und sieht ihn aus treuen Hundeaugen an. Treffender, scheint ihr Blick zu sagen, hätte sie die gemeinsame Leidenschaft von sich und ihrem Herrchen auch nicht formulieren können.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 26.11.20115; Westfälische Nachrichten, 26.11.2015)