Ein Stückchen Advent – handgemacht

„Gefällt er ihnen so?“ Floristin Ulrike Schröer aus Wersen sorgt dafür, dass jeder Kunde genau den Adventskranz bekommt, den er sich wünscht. Foto: Ulrike HavermeyerOLYMPUS DIGITAL CAMERA
„Gefällt er ihnen so?“ Floristin Ulrike Schröer aus Wersen sorgt dafür, dass jeder Kunde genau den Adventskranz bekommt, den er sich wünscht. Foto: Ulrike Havermeyer

Ruck zuck ist wieder Weihnachten. Während bei den Nachbarn schon die LED-Sterne in den Fenstern leuchten, herrscht bei uns noch nüchterner Alltag. Um mich in die richtige Weihnachtsstimmung zu bringen, beschließe ich, den diesjährigen Adventskranz selber zu binden. Aber: Wie geht das eigentlich? Eine von denen, die dieses filigrane Handwerk beherrschen, ist Floristin Ulrike Schröer aus Wersen.

Mein Sohn schüttelt verständnislos den Kopf. Warum ich mir denn unbedingt in einer Gärtnerei, die auch noch im Nachbarort liege, von einer Frau, die ich gar nicht kennte, erklären lassen wolle, wie man einen Adventskranz bindet: „Guck dir das doch auf Youtube an.“ Er fuhrwerkt auf der Tastatur meines Laptops herum – der Bildschirm füllt sich mit Tannengrün. Zweidimensionale Hände durchstöbern die Äste. Eine monotone Lautsprecherstimme bellt mir grammatisch verkürzte Bastelanleitungen ins Ohr, während eine verschwommene Gestalt mit Buchsbaumzweigen vor der Kamera herumwedelt.

Alteingesessener Familienbetrieb

Ich verdrehe genervt die Augen. Doch auch die folgenden drei Videos, die der digitale Ureinwohner mir schmackhaft zu machen versucht, überzeugen mich nicht. Diese Vielfalt ist mir viel zu anstrengend, stelle ich fest und mache mich kurzerhand auf den Weg nach Wersen zur Gärtnerei Schröer. In der Werkstatt des alteingesessenen Familienbetriebs wartet – zwischen Strohsternen und Holzengeln, glitzernden Kugeln und goldenen Walnüssen – Floristin Ulrike Schröer auf mich. Gut gelaunt und voller Optimismus erklärt sie sich bereit, mich in die Kunst des Kränzens einzuweisen.

„Blautanne piekst entsetzlich“

Schritt eins: die Materialauswahl. „Wo wird ihr Adventskranz denn überwiegend stehen?“, erkundigt sich Ulrike Schröer: „Draußen oder in der Wohnung? Eher in einem kühlen Flur oder im warmen Wohnzimmer?“ Je nach Temperatur und Feuchtigkeit der Umgebung, wählt die Fachfrau das entsprechende Grün aus: „Blautanne piekst zwar entsetzlich“, erklärt sie, „eignet sich aber gut für den Außenbereich.“ Weil unser Adventskranz seinen Platz jedoch auf dem Küchentisch erhalten wird, brauchen wir uns mit der sperrigen Blautanne nicht herumzuschlagen – und auch die ihrem Namen alle Ehre machende Stechpalme kommt nicht zum Einsatz. Wir bevorzugen einen ganz und gar handzahmen Tischgenossen. „Da hätten wir zum Beispiel die satt-grüne Nordmanntanne oder die eher graue Nobilis, die so gut wie gar nicht nadelt“, schlägt Ulrike Schröer vor. „Man kann auch Kiefer verwenden, Muschelzypresse sieht auch sehr hübsch aus, vielleicht etwas Blue Star?“ Damit wären wir bei der nächsten Frage.

Kreativät statt steriler Strenge

Schritt zwei: uni oder mix? Die Adventskränze meiner Kindertage waren in puristischer Tradition aus jeweils nur einem Material gebunden: Die preisgünstige Variante aus Fichte begann erfahrungsgemäß ab dem zweiten Advent zu nadeln, die kostspieligere Ausführung aus Korea-Tanne behielt in der Regel bis knapp über den dritten Sonntag hinaus ihre Nadeln bei sich. „Auch die heutigen Kränze halten meistens nicht länger als vier Wochen durch“, sagt Ulrike Schröer. „Aber die junge Generation mag es schon ein bisschen frecher als früher“, schätzt sie den Mut zur Kreativität: „Statt steriler Strenge darf der Adventskranz schon mal etwas unkonventionell gemischt sein.“ Das Binden mit unterschiedlichen Sorten dauere zwar länger, merkt sie an: „Ist dafür aber interessanter – und macht auch uns mehr Spaß.“ Das klingt überzeugend. Also: gemixt, bitte.

Wunderbarer Weihnachtsduft

Schritt drei: Es geht los. Eine Viertelstunde später sitzen wir vor vier strubbeligen und wunderbar nach Weihnachten duftenden Häufchen aus: Nordmanntanne, Nobilis, Muschelzypresse und Blue Star. Ulrike Schröer hat die Äste in kleine Segmente von etwa zehn Zentimeter Länge geschnitten. „Wir verwenden wenn möglich den kompletten Zweig“, erklärt sie. Auch in der Floristik achte man auf umweltschonendes und nachhaltiges Arbeiten. Damit der Kranz eine stabile Form erhält, wird das Grün um einen sogenannten „Strohrömer“ drapiert und befestigt. Das Mittel der Wahl dafür: Rosendraht.
Am Anfang schlingt meine Lehrerin den Draht mehrere Male von unten nach oben und von innen nach außen um den Römer. Dann legt sie büschelweise das Grün an – ebenfalls von innen nach außen – und zurrt es immer wieder mit dem Draht schön fest. „Das Strammziehen ist wichtig, damit sich der Kranz nicht löst, sobald die Zweige etwas trocknen“, erklärt die Floristin. Neben der Fingerfertigkeit kommt nun auch jede Menge Gestaltungsfreude und Liebe zum Detail ins Spiel. Hier ein Büschelchen Blue Star. Da ein Zweiglein Nobilis. Auf dem Gesicht von Ulrike Schröer breitet sich ein zufriedenes Lächeln aus. Das kuschelige Fundament für die ersten beiden Adventskerzen ist gebunden. „Jetzt sind sie dran!“ fordert sie mich auf. Wie war das? Von innen nach außen… ich lege die grünen Puschel übereinander, nebeneinander, ziehe stramm, greife erneut in die frischen, duftigen Zweige. Gar nicht so schwer. Aus dem gelben Strohrömer wird langsam aber sicher ein Weihnachtsbote. „Gefällt er ihnen so?“, fragt Ulrike Schröer. Und ob! – nicke ich begeistert.

Ach ja: die Dekoration …

Schritt vier: Der Kranz ist fertig – die Adventszeit kann kommen. „Je kühler der Kranz steht, desto länger hält er“, gibt Ulrike Schröer mir mit auf den Weg. „Wer sich die Mühe machen will, kann ihn über Nacht aus dem Warmen heraus und in ein kühleres Zimmer stellen. Gut tut es dem Grün natürlich auch, wenn man es hin und wieder mit Wasser befeuchtet – schön vorsichtig, damit die Dekoration nicht leidet.“ Stimmt ja überhaupt: die Dekoration! Na, um die können sich nachher die Kinder kümmern, beschließe ich. Anregungen im Internet gibt es dafür ja bestimmt reichlich…

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 27.11.2015; Westfälische Nachrichten, 27.11.2015)