Warum man in Krisenzeiten lieber Mineralwasser statt Alkohol trinken sollte, was einen Single Malt von einem Blend unterscheidet und dass der Geschmack von flüssigem Rauch nicht jedermanns Sache ist, erfahre ich bei den Whiskyfreunden Tecklenburger Land.
Das nennt man dann wohl einen scharfen Abgang… Als das Brennen in meiner Kehle langsam nachlässt und ich mich röchelnd von meinem Hustenanfall erhole, grinst Lukas Schulenkorf mich amüsiert an: „Slàinte mhath – auf die Gesundheit!“, prostet er mir mit einem alten schottischen Trinkspruch zu. Nun ist die Katze also aus dem Sack: Ich habe keine Ahnung vom Whiskytrinken. Doch weil der markante Brand mit dem charaktervollen Image von einer zeitlosen Fangemeinde umgeben ist, wollte auch ich mir das sagenumwobene Geschmackserlebnis nicht länger entgehen lassen. Das Blind-Tasting, zu dem der Begründer der Whiskyfreunde Tecklenburger Land zweimal im Jahr nach Mettingen einlädt, bietet auch Nichtkennern die Gelegenheit, sich dem hochprozentigen Getränk riechend, kauend, schmeckend und nachspürend anzunähern. Für den erfahrenen Whiskyfreund besteht der Reiz der Blindverkostung darin, einen unvoreingenommenen Geschmackseindruck zu erhalten und durch diesen auf den Herkunftsort und möglicherweise sogar auf die Destillerie des jeweiligen Whiskys zu schließen.
„Auf gar keinen Fall sollte man Whisky trinken, wenn man schlechte Laune hat“, mahnt Lukas Schulenkorf zu Achtsamkeit und bewusstem Genuss. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr, als die Kitas geschlossen waren, er und seine Frau Petra sich zuhause um ihren Nachwuchs kümmern mussten und die allgemeine Ratlosigkeit nicht selten in allgemeine Anspannung mündete, habe er keinen einzigen Tropfen Whisky zu sich genommen. Und auch während des aktuellen Teil-Lockdowns greift er zu Mineralwasser. „Am meisten Spaß macht es ohnehin, seinen Whisky in gemütlicher Runde zu genießen“, beschreibt der 39-jährige Mettinger, was ihn an seinem Hobby besonders reizt. Zusammensitzen, sich viel Zeit lassen, mit netten Menschen gute Gespräche führen – und dabei auch gerne über das, was man da in seinen Gläsern hat, ein wenig – oder auch ein wenig mehr – fachsimpeln.
Fast wie in einem Chemielabor
Genau diese Atmosphäre herrschte denn auch beim letzten Tasting, das Schulenkorf vor dem November-Lockdown organisiert hat. An diesem Abend ist die Runde eher klein – zu sechst sitzen wir um den Esszimmertisch herum, dessen Dekoration zwischen rustikalem Landhausstil und Chemielabor schwankt: Neben einer Phalanx tulpenförmiger Gläser (Nosing-Glas) zur fachgerechten Verkostung, kleinen Trichtern und mehreren Pipetten finden sich Wassergläser, eine Etagere voller Zartbitterschokolade, diverse kleine Fläschchen zum Abfüllen von Proben (Samples) sowie mit deftigem Käse, Salami und selbst gebackenem Brot belegte Holzbrettchen. Außerdem verteilt der Gastgeber die vorbereiteten Protokollbögen, auf denen Aroma, Geschmack und Abgang der jeweils verkosteten Whiskysorte notiert werden können.
Während Schulenkorf die zweite Flasche öffnet, erklärt mir mein Gegenüber Tom Werner, was ein Whisky-Novize beim ersten Tasting beachten sollte. „Vor dem ersten Schluck sollte man dem Whisky genug Zeit lassen, seine Aromen freizusetzen“, rät er. Angesichts der Vielfalt der flüchtigen Duftstoffe, von denen einige früher, andere später abgegeben würden, könne man zwischendurch immer wieder eine Nase voll Whiskybukett schnuppern, um erste Eindrücke zu erheischen. Ist der Geruch eher holzig oder erdig? Welche Erinnerungen löst er aus? Auch die Farbe des Getränks regt zu persönlichen Assoziationen an – ist sie mild wie ein Frühlingsmorgen oder schwer und rötlich wie die Abendsonne?
Was passiert zwischen Gaumen und Zunge?
Nun ist es an der Zeit für den ersten Schluck, wobei dieser möglichst winzig bemessen sein sollte. Denn die Flüssigkeit wird nicht unbedacht heruntergestürzt, sondern mit Muße zunächst auf der Zunge hin und her bewegt. „So, als wollte man den Whisky mit der Zunge in den Gaumen einmassieren“, beschreibt Werner den Vorgang. Hierbei passieren zwei Dinge: Zum einen erkundet die Zunge den Geschmack des Whiskys – dabei kann sie allerdings nur zwischen den Qualitäten süß, sauer, salzig, bitter und umami (herzhaft-wohlschmeckend) – unterscheiden. Zum anderen löst der Speichel weitere Aromastoffe aus dem Whisky heraus. Diese Aromen können allerdings nicht als Geschmack von der Zunge wahrgenommen werden. Stattdessen gelangen sie beim Schlucken durch den Rachenraum in die Nasenhöhle, wo sie das dort befindliche Geruchszentrum zu allerlei Eindrücken inspirieren. „Das ist es, was mich am Whisky am meisten fasziniert“, schwärmt Werner, „diese unglaubliche Aromenvielfalt.“
Schulenkorf ist bekennender Purist und genießt seinen Whisky ohne Eis oder Wasser. Bei seinen Tastings bevorzugt er Scotch Whisky, in der Regel werden Single Malts verkostet, also solche Sorten, die aus einer einzigen Brennerei stammen und deren Geschmack mit jeder Abfüllung variieren kann. Blended Whiskys, also Verschnitte aus unterschiedlichen Sorten, die sich durch ihren konstanten Geschmack auszeichnen, kommen bei den Whiskyfreunden Tecklenburger Land selten bis gar nicht auf den Tisch. „Ich mag an einem guten Whisky das, was ich auch an meinen Freunden schätze: Ecken und Kanten“, sagt Schulenkorf. Bei der Zusammenstellung der Sorten orientiert er sich zum einen am Geschmack seiner Mitstreiter, zum anderen holt er sich Anregungen beim Fachhändler seines Vertrauens.
Mit Vorsicht und Selbstdisziplin
Inzwischen sind die Gläser wieder gefüllt und das nächste Geschmacksexperiment steht an, diesmal mit deutlich mehr Vorsicht. Bedächtig inhaliere ich den Duft des flüssigen Probanden. Sofort schießt mir eine beißende Schärfe in die Nase. Dahinter taucht eine leicht rauchige Note auf. Ein Hauch von Gras ist auch dabei. Nach einer kurzen Phase des inneren und äußeren Sammelns dann schließlich ein behutsames Nippen. Wieder dieses Brennen, das ich mit eiserner Selbstdisziplin ertrage. In meinen Augenwinkeln bilden sich erste Tränen. Jetzt nur nicht unterkriegen und langsam die Zunge in der Mundhöhle kreisen lassen, die Speichelbildung setzt ein – und tatsächlich: Das Brennen lässt nach und weicht dem erlösenden Eindruck beständig verwässernder Milde. Abschlucken – und dabei bloß kein Aroma verpassen. Während die Experten neben mir längst die angenehm fruchtige Note diskutieren, die der Whisky seiner Lagerung in zuvor zur Herstellung von Sherry genutzten Eichenfässern verdankt, erzählt mir der Tropfen eine andere Geschichte: Whiskytrinken ist nicht jedermanns Sache. Doch wer das Privileg hatte, in einer Runde auskunftsfreudiger Kenner und unter kundiger Anleitung seinen ersten Schluck zu verkosten, der wird – auch bei künftiger Abstinenz – die Faszination für ihn wohl nie so ganz verlieren.
Wann die Whiskyfreunde Tecklenburger Land zu ihrem nächsten Blind-Tasting einladen, erfahren Interessierte über deren Facebook-Gruppe.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 11. November 2020)