Dass der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in diesem Jahr erstmals zum Insektenzählen aufruft, kommt mir sehr gelegen: Haben wir doch das vernachlässigte Rosenbeet in unserem Garten just vor ein paar Wochen zu einem bunten Blühstreifen umgestaltet, in und über dem es jetzt emsig sirrt und brummt. Zwar kann ich gerademal eine Handvoll der kleinen Krabbeltiere voneinander unterscheiden – aber wer nicht wagt, der nicht dazulernt. Also: Lupe, Fotoapparat und Schreibzeug geschnappt – und ab nach draußen.
Lange zu warten brauche ich nicht an diesem lauen, windstillen Augustnachmittag. Der Himmel ist leicht bedeckt, aber das scheint den agilen Sechsbeinern nichts auszumachen: Mit schwungvoller Eleganz lässt sich ein pelziges, geflügeltes Etwas mitten auf eine knallrote Klatschmohnblüte plumpsen, die sich daraufhin unter dem Gewicht des pummeligen Besuchers bedenklich gen Boden neigt. „Klarer Fall: eine Hummel“, fühle ich mich auf sicherem Terrain. Bleibt nur die Frage: welche Art?
33.000 heimische Insektenarten
Der Nabu scheint zu ahnen, dass die unglaubliche Vielfalt der Insekten die Teilnehmer der neuen Aktion „Zählen, was zählt“ vor eine nicht zu unterschätzende Herausforderung stellen dürfte – rund 33.000 Arten sollen allein bei uns heimisch sein, weltweit sind bisher mehr als eine Million Arten Kerbtiere wissenschaftlich beschrieben worden. Daher konzentrieren sich die Organisatoren bei den angesetzten zwei Beobachtungszeiträumen des Insektensommers auf jeweils acht „Top-Insekten“ die jeder, der mitmacht, sich vorher einprägen kann und auf die er dann ein besonderes Augenmerk richten soll.
Während bei der ersten Zählung im Frühsommer unter anderem die Steinhummel im Fokus stand, ist es bei der zweiten Zählung, die sich vom 31. Juli bis zum 9. August 2020 erstreckt (Nachmeldungen sind bis zum 16. August möglich), die Ackerhummel. Ganz langsam friemel ich das Smartphone aus der Hosentasche, öffne die kostenlos vom Nabu zur Verfügung gestellte Bestimmungs-App und vergleiche die Fotos auf dem Display mit dem drolligen Hautflügler, der da direkt vor meiner Nase von Blüte zu Blüte brumselt. Und, na wer sagt’s denn: Es handelt sich tatsächlich um die gesuchte Ackerhummel – Volltreffer!
Stunde der Gartenvögel als Vorbild
Schon seit 15 Jahren lädt der Nabu Naturfreunde und solche, die es werden wollen, an jedem zweiten Wochenende im Mai zu einer groß angelegten, bundesweiten Vogel-Zähl-Aktion ein. Mithilfe der Öffentlichkeit will die Umweltorganisation auf diese Weise die Entwicklung der heimischen Brutvogelbestände möglichst flächendeckend dokumentieren. Dass das Beobachten von Meise, Zaunkönig und Co. zusätzlich auch noch Spaß macht und die Fernglasträger für das Leben und die Nöte ihrer gefiederten Nachbarn und den Zustand ihrer Lebensräume sensibilisiert, ist ganz sicher mehr als ein willkommener Nebeneffekt. In diesem Jahr haben sich laut Angaben des Nabu fast 160.000 Personen an der „Stunde der Gartenvögel“ beteiligt und Daten von rund 3,2 Millionen Vögeln gemeldet.
Ob sich ähnlich viele Naturfreunde auch für die Insekten begeistern und zählenderweise engagieren werden? Zu wünschen wäre es, denn „Insekten sind für das Gleichgewicht aller Ökosysteme unentbehrlich“, schreibt der Nabu auf seiner Website, „doch in den letzten Jahren gehen ihre Bestände dramatisch zurück.“ Mit der Zähl- und Meldeaktion versucht die Organisation nun, „eine kontinuierliche Erfassung der Insekten zu etablieren“ und appelliert an alle Interessierten, mitzuhelfen und Daten zur Artenvielfalt und Häufigkeit der Insekten zu sammeln und zu melden. Nach welchen Kriterien gezählt wird und wie die Daten anschließend zum Nabu weitergeleitet werden, ist auf www.nabu.de zu erfahren. Dort findet sich auch jede Menge Informationsmaterial rund um die Krabbeltiere.
Wieder etwas dazugelernt
Nachdem ich eine Stunde lang unser Wildblumenbeet observiert habe, bin ich um einige sechsbeinige Bekanntschaften – oder zumindest: Begegnungen – reicher. Zwar sind mir keine weiteren Top-Insekten von der Nabu-Liste ins Visier geraten – weder der Siebenpunkt-Marienkäfer noch die Streifenwanze, aber neben etlichen Honigbienen, die vor allem die Kornblumen aufsuchten, diversen Ameisen, noch mehr Blattläusen und vier gleichzeitig über das Blütenmeer flatternden Kohlweißlingen hat mich besonders eine Horde kleiner, schmaler, vorne türkis, hinten violett schillernder Käfer fasziniert, die sich am benachbarten Totholzstapel herumtrieb. Bei der anschließenden Recherche habe ich dann allerdings erfahren, dass es sich keineswegs um Käfer, sondern um parasitär lebende Goldwespen handelt. Wieder was dazugelernt.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 08. August 2020)