Mit Ausbreitung des Coronavirus wurde aus dem Ausstellungstitel „Hoffnung“ – letzter Teil der Trilogie „Glaube – Liebe – Hoffnung“ der Mettinger Draiflessen Collection – ganz unvermittelt Programm: Nachdem der pandemiebedingte Lockdown bereits die öffentliche Vernissage am 22. März vereitelt hatte, hoffte das Museumsteam darauf, seine Türen wenigstens noch vor der Finissage am 21. Juni öffnen zu dürfen. Der Wunsch ging in Erfüllung: Seit dem 3. Juni ist das Haus für Besucher wieder zugänglich.
Bisher kannten wir uns nur aus dem Internet. Nach wochenlangem Online-Dating, während dem ich durchaus Gefallen an meinem digitalen Gegenüber gefunden hatte, drängte nun der nächste Schritt: eine reale Begegnung in der analogen Wirklichkeit. Als Treffpunkt kam natürlich nur einer infrage – die Draiflessen Collection in Mettingen. Allerdings war die Überraschung dann doch größer als gedacht. Und das nicht nur, weil mein Mann mich begleitete. Wer vom Zwei- ins Dreidimensionale, von der Mittel- in die Unmittelbarkeit wechselt, der steht plötzlich vor der Herausforderung, zu früh vertraut Geglaubtes oder zu reibungslos in das eigene Weltbild Eingepasstes neu entdecken und in seiner bis dato nicht geahnten Vielfalt neu erfassen und deuten zu müssen, oder vielleicht besser: zu dürfen.
Keine Frage, Kuratorin Andrea Kambartel und ihre Mitstreiter haben das Beste aus einer vertrackten und so noch nie da gewesenen Situation gemacht – der bundesweit angeordneten Schließung aller Museen – und beherzt in die digitale Werkzeugkiste gegriffen. Frei nach dem Motto „Wenn der Betrachter nicht zum Kunstwerk darf, dann kommt das Kunstwerk zum Betrachter“ sind sie der Corona-Pandemie und den mit ihr verbundenen Einschränkungen mit selbst konzipierten „Digitals“ begegnet, haben virtuelle Rundgänge, Online-Führungen und die Gesprächsreihe #7TageHoffnung produziert und ins Netz gestellt – verteilt auf die Homepage des Museums (www.draiflessen.com) und dessen Social-Media-Kanäle (Facebook: @DraiflessenCollection; Instagram: @draiflessencollection). Auch der Soundtrack, der den Besucher zur Auseinandersetzung mit dem Thema Hoffnung inspirieren soll und die Aussagen der zehn gezeigten Objekte aus dem 20. und 21. Jahrhundert – einige davon mehrteilig – flankiert, kann online abgerufen werden. Ein Blog mit Kommentaren und Gedanken rundet das Angebot ab.
So stehen dem Kunstfreund jede Menge Menge Informationen rund um die Uhr zur Verfügung: das Wichtigste über das Leben und Werk eines jeden Künstlers, ausführliche Beschreibungen und Interpretationen der ausgestellten Kunstwerke sowie Wissenswertes zum kulturhistorischen, politischen und biografischen Hintergrund. Zu Wort kommen in den Digitals neben den Ausstellungsmachern auch Künstler, Autoren, Mitarbeiter und Fachleute aus verschiedenen Bereichen. Und weil sowohl der hölzerne Schlitten von Joseph Beuys wie auch der Cyborg W9 von Lee Bul, der sächsische Ikarus von Wolfgang Mattheuer und all die anderen Objekte in Mettingen bislang unerreichbar hinter verschlossenen Türen harrten, habe auch ich – am Schreibtisch sitzend und auf den Bildschirm starrend – zum ersten Mal auf digitalen Wegen statt auf eigenen Füßen eine Draiflessen-Ausstellung erkundet. Unabhängig von vorgegebenen Öffnungszeiten, wann, wo, wie lange und so oft ich wollte – völlig selbstbestimmt und kostenlos.
Kunst – zum (Be-)Greifen nah
Im Laufe dieser elektronisch verlebten Wochen habe ich meine Ausstellungs-Favoriten gewählt, allen voran Michael Buthes „Hoffnung“ (1982), die aus dem vergoldeten Holzboden eines alten Weinfasses besteht, umgeben von einem filigranen Kranz aus Straußenfedern. Im Internet wirkten die derben Planken auf mich allerdings eher wie mit Jute überzogen. Umso erpichter war ich darauf, die Arbeit jetzt endlich mit eigenen Augen sehen zu dürfen. Mit Schutzmaske, desinfizierten Händen und dem gebührenden Sicherheitsabstand zum Aufsichtspersonal – andere Besucher außer meinem Mann und mir sind an diesem Vormittag nicht im Museum – stehe, hocke, beuge ich mich nun vor Buthes massivem Sonnenrund: So prächtig und kraftvoll schimmert und strahlt das Gold, als zöge es mich unwiderstehlich in sein Zentrum hinein. Die Wucht dieses Werkes ist irritierend und beinahe körperlich zu spüren; die Wirkung des robusten Originals um ein Vielfaches intensiver als dessen virtuelles Abbild. Bin ich hoffnungslos altmodisch in meiner Art Kunst zu betrachten, oder ergeht es einem Digital Native wohl ähnlich?
Mindestens genau so fasziniert bin ich von Philippe Vandenbergs „Die Spur führt über den Berg“ (1995). Die schlicht gehaltene Kohlezeichnung, die sich im Internet wie ein gefälliges Postkartenmotiv präsentiert, ist zum einen viel größer als erwartet und verströmt zum anderen als analoges Sinnesereignis einen derart vitalen Charme, dass man meint, die kleine Lokomotive im Hintergrund würde im nächsten Augenblick tatsächlich näher heranrauschen und über den absurd steilen Berg einfach hinwegschnaufen. Und so wächst sich im Laufe dieses Museumsbesuchs meine online so vielversprechend angebändelte Beziehung zur Ausstellung „Hoffnung“ von Exponat zu Exponat zu einer geerdeten Begeisterung aus.
Noch bis zum 21. Juni gibt es in der Draiflessen Collection betörend materielle Kunstwerke rund um das Thema Hoffnung zu erleben: Exponate aus Holz und Kunststoff, aus Filz, Fett und Schnur, aus Topfdeckeln und Tischtüchern, aus Ölfarbe und Kohle, auf Papier und auf Leinwand. Um mögliche Wartezeiten zu vermeiden – es dürfen maximal zwölf Personen gleichzeitig die Ausstellung „Hoffnung“ betreten, bittet das Museumsteam um vorherige Anmeldung, telefonisch unter 05452 91683500, per E-Mail über info@draiflessen. com oder über das auf der Homepage installierte Anmeldeverfahren. Zum Besuch der Ausstellung ist ein Mundschutz erforderlich, die vorgeschriebenen Hygiene- und Abstandsregeln sind zu beachten. Öffnungszeiten: mittwochs bis sonntags von 11 bis 17 Uhr. Führungen vor Ort finden nicht statt, stattdessen stehen sämtliche Digitals jederzeit und kostenfrei zur Verfügung. Die aktuellen Termine des Online-Begleitprogramms können ebenfalls über die Homepage und die Social-Media-Kanäle abgefragt werden.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 10. Juni 2020)