Der Hundemarkt ist wie leer gefegt. Kaum erscheint eine Anzeige online, sind die Welpen auch schon vergeben. In Zeiten von Homeoffice und Homeschooling, in denen das eigene Zuhause wegen der Corona-Pandemie wieder zum Lebensmittelpunkt wird, haben auch wir uns auf die Suche nach einem Vierbeiner gemacht – und sind fündig geworden.
Schnell ein paar Zeilen in den PC gehämmert, bevor die nadelspitzen Hundezähnchen neuerlich meine Fesselgelenke traktieren. Noch döst Tinka – eng an meinen linken Fuß geschmiegt – friedlich unter dem Schreibtisch vor sich hin und wirkt mit ihrem maulwurfartigen Flauschfell und den zarten Flokati-Öhrchen wie ein willenloses Plüschtier – aber wehe, wenn sie erwacht. Seit einer guten Woche sorgt ein ungestümer Welpe für reichlich Aufruhr in unserem – vormals – so gemütlich zu seiner innerer Ruhe gefundenen Familienrudel.
Sally findet die Entscheidung, ausgerechnet einen Wildfang wie Tinka (Golden Retriever/Australien Shepherd-Mix) in unsere – über mittlerweile neuneinhalb Jahre zu bequemster Harmonie herangereifte – Mensch-Hund-Gemeinschaft aufzunehmen, einfach schrecklich. Wie und wo soll sie denn jetzt bitteschön ungestört ein Schläfchen halten?, scheint sich unsere betagte Retriever-Hündin zu fragen. Dauernd hechtet dieser rebellische Springinsfeld durch ihr Revier, stibitzt hier einen Kauknochen, belagert da den Wohnzimmerteppich – und das Schlimmste: verlangt wie ein frisch geschlüpftes Menschenjunges ständig nach Aufmerksamkeit.
Zwar geben Frauchen und Herrchen und deren fast erwachsener Nachwuchs sich alle Mühe, um das neue Familienmitglied zu bespaßen und mit sanfter Konsequenz in das bewährte Zweibeiner-Vierbeiner-Team zu integrieren, ab kommender Woche geht es in die Welpenschule – aber am Ende bleibe es ja doch an ihr hängen, besagt Sallys vorwurfsvoller Blick, den Grünschnabel in seine Schranken und auf den unteren Platz in der Gruppenrangfolge zu verweisen. Mit bedrohlich nach oben gezogenen Lefzen und einem missmutigen „Grrrrr!“ wendet sich die alte Griesgrämin den pädagogischen Herausforderungen einer seniorengerechten Rudelbildung zu.
Schrille Schreie am Arbeitsplatz
Denn mittlerweile hat Tinka ihre Ruhephase an ihrem Lieblingsplatz unter dem Schreibtisch auch schon wieder beendet, hat mit einem beiläufigen Schnapp in Frauchens Haxen selbiger ein paar schrille Schreie entlockt und kapriolt nun unverdrossen, den Schalk unübersehbar im Nacken, auf den großen schwarzen Hund zu, der sich so wunderbar zuverlässig als knurrender Quell kurzweiligen Zeitvertreibs erweist. Seit Sally den temperamentvollen Neuankömmling bei ihrer ersten Begegnung wie Kerberos, der dreiköpfige Höllenhund höchstpersönlich, angeblafft hat, ist Tinka – mit tollkühnem Selbstbewusstsein und unerschütterlicher Fröhlichkeit gesegnet – von der Grande Dame der gepflegten Abneigung schwer begeistert.
Wenn sich unser drolliger Welpe wie mit einer perfekten Judorolle aus dem tapsigen Galopp heraus vorwärts über die Schulter drehend auf den Rücken wirft, um sich „Mama Wolf“ symbolisch unterzuordnen, sieht, wer genau hinschaut, wie ein breites Grinsen Tinkas vermeintlich so unschuldige Gesichtszüge umspielt. Fast meint man, ein provozierendes Kichern zu hören. Von Angst kann jedenfalls keine Rede sein, und selbst die Tage des Respekts scheinen gezählt.
Remmidemmi im Zwei-Stunden-Takt
Mir bleibt gerade noch Zeit genug, die Datei zu speichern – denn jetzt ist auch mein Einsatz und mit ihm ein schnelles Handeln gefragt: Genau wie damals Sallys Kindheit, unterliegt auch Tinkas Welpenleben einem unbestechlichen Rhythmus: Nach jedem Schläfchen ist unverzügliches Gassi Gehen angesagt, sonst müssen Allzweckreiniger und Wischmop ran. Also: Geschirr anlegen, die Treppe heruntertragen (Welpen sollten, bevor ihre Knochen stark genug dafür sind, keine Stufen hinauf- oder hinuntersteigen) und dann nichts wie Richtung Garten geflitzt.
Tatsächlich hockt die Kleine sich von Tag zu Tag – und von Nacht zu Nacht – immer selbstverständlicher in die Rabatten. Nach diesem geschäftlichen Teil ist dann (zum Glück nur tagsüber) ausgiebiges Toben, Rennen und Raufen angesagt, was mein Mann und ich gerne – so denn anwesend – an Tochter oder Sohn delegieren. Ständig übernächtigt vom Frondienst der Hundeerziehung sind wir Ü-50er nämlich mittlerweile davon überzeugt dass, was die Flausen im Kopf und den sportlichen Umgang mit ihnen angeht, menschliche und tierische Jungspunde vom Energieniveau her einfach dichter beieinander liegen.
Kehren die zwei- und vierbeinigen Rabauken schließlich erschöpft und zufrieden in die Wohnung zurück, mampft Tinka ihren frisch gefüllten Futternapf begierig leer – obwohl eigentlich kein Grund zur Eile besteht, denn „Mama Wolf“ haben wir vorsorglich mit einem Leckerli ins Nebenzimmer verfrachtet. Keine zehn Minuten später verabschiedet sich unser Welpe dann in der Regel mit einem herzhaften Gähnen in seine nächste Ruhephase. Wer sich diesem zwei- bis dreistündigen Turnus unterwirft, so unsere Erfahrung, sollte das Thema „Stubenreinheit“ früher oder später in den Griff bekommen. Und noch eine gute Nachricht: Die Zeitintervalle vergrößern sich, je älter der Hund wird.
Träumend der Welt entrückt
Mit gerademal elf Wochen befindet sich unser jüngstes Familienmitglied allerdings zurzeit noch in der Heavy Rotation, was Pinkeln, Spielen und Schlafen angeht. So ist mein Text denn gerade mal um fünf Absätze gewachsen, als sich der süße Frechdachs auch schon wieder wohlig zwischen meine Füße gekuschelt hat. Die kleinen Pfötchen zucken, das Mäulchen saugt heftig schmatzend die in einem süßen Hundetraum fließende Muttermilch ein. Keine zwei Meter entfernt beobachtet Sally – diesmal mehr interessiert als argwöhnisch – das putzige Gebaren ihres Schützlings wider Willen. Vielleicht irre ich mich, aber ich könnte schwören, dass beim Anblick der weltentrückten Tinka ein wohlwollendes Schmunzeln über die Lefzen von „Mama Wolf“ gehuscht ist.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 03. Juni 2020)