Warum der Große Brachvogel auf gute Nachbarschaft schwört, wie Mäuse das Überleben von Bodenbrütern sichern und was für eine Rolle ein Elektrozaun für eine Kiebitzkolonie spielt – all das erfahre ich auf einem Rundgang mit Robert Tüllinghoff durch das Naturschutzgebiet Vogelpohl in der Wersener Heide.
Jenseits der viel befahrenen Hauptstraßen und nicht einmal angebunden an einen asphaltierten Nebenweg, so richtig abgeschieden also, liegt das Naturschutzgebiet Haler Feld-Vogelpohl irgendwo im Nirgendwo am nördlichen Rand der Bauerschaft Halen im Grenzbereich der Gemeinden Lotte und Westerkappeln. Die kargen Heide- und nährstoffarmen Grünlandflächen des ehemaligen Truppenübungsplatzes gehören zum Nationalen Naturerbe der Wersener Heide. Wer sich hierher verirrt, trägt in der Regel Wanderschuhe an den Füßen und einen Feldstecher um den Hals.
Markanter Himmelsstürmer
Während ich vor lauter Gezwitscher und Gezirpe, das die weitläufige Wiesenlandschaft durchdringt, gar nicht weiß, auf was ich zuerst achten soll, hat Robert Tüllinghoff sich längst orientiert. „Da oben steigt eine Feldlerche auf“, deutet der stellvertretende Leiter der Biologischen Station Kreis Steinfurt in Tecklenburg in den morgenblauen Maihimmel und schaut gebannt durch sein Fernglas. Mit zusammengekniffenen Augen erkenne auch ich den kleinen Punkt, der wie eine winzige Rakete steil dem Firmament entgegen flattert, dabei ununterbrochen seinen zwitschernden Gesang vorträgt, um sich nach einigen Minuten urplötzlich wie ein Stein zurück zur Erde fallen zu lassen. Als Bodenbrüter nutzt der markante Himmelsstürmer die extensiv bewirtschafteten Flächen des Vogelpohls, um zwischen Pfeifengras und Scharbockskraut, Geflecktem Knabenkraut und Lungenenzian seine Küken großzuziehen.
Wie die Feldlerche sind auch Heidelerche, Wiesenpieper, Schwarzkehlchen, Bekassine, Kiebitz, Uferschnepfe, Krick- und Knäkente oder der Große Brachvogel – allesamt ebenfalls Bodenbrüter – gut beraten, ihre Nester oder Nistmulden auf einer der unter Naturschutz stehenden Feuchtwiesen im Kreisgebiet anzulegen. Denn hier sorgen Tüllinghoff und seine Kollegen dafür, dass die Flächen erst dann von den Vertragslandwirten gemäht werden, wenn die Küken der Bodenbrüter flügge geworden sind. „Da stehen wir in ständigem Kontakt miteinander“, beschreibt der Diplom-Biologe und studierte Landwirt in Personalunion das gute Verhältnis zu den Flächennutzern.
Vielfältiges Mosaik an Flächen
Nicht ohne Grund hat sich die 1996 gegründete Biologische Station den Namenszusatz „Kooperations-zentrum Naturschutz und Landwirtschaft“ gegeben: Lässt sich eine vom Menschen geprägte Kulturlandschaft wie die offenen Grünflächen des Vogelpohls doch nur durch eine entsprechende Bewirtschaftung erhalten, sonst würde sie über Kurz oder Lang verwalden. Weil derzeit keine Beweidung durch Rinder oder Schafe im Haler Feld-Vogelpohl erfolgt, was Tüllinghoff sehr bedauert, werden die Wiesen ein- bis zweimal im Jahr gemäht. Als Richtwert für die erste Mahd gilt der 15. Juni – aber je nachdem, ob eine Wiese noch bebrütet werde oder bereits frei sei, könne der Termin um ein paar Tage vor- oder aber auch um ein paar Wochen nach hinten verlegt werden. „Der Große Brachvogel brütet allein 28 Tage lang“, berichtet Tüllinghoff, „und es dauert weitere 35 Tage, bis die Küken flügge sind.“ Da sei eine Fläche schnell mehr als zweieinhalb Monate belegt. Doch die Landwirte reagierten darauf sehr flexibel. „Es ist schön zu sehen, wie die verschiedenen Betriebe ganz unterschiedliche Lösungen für die Bewirtschaftung gefunden haben“, zollt Tüllinghoff den Nutzern Respekt. Auf diese Weise entstehe zudem ein vielfältiges Mosaik an Flächen, die ihren Bewohnern – neben den Bodenbrütern auch diverse Insekten (Großes Grünes Heupferd, Sumpfschrecke, Hirschkäfer), Amphibien (Laubfrosch) und Reptilen (Schlingnatter) – vielerlei Rückzugsmöglichkeiten böten.
Während sich also die Landwirtschaft auf die Bedürfnisse der Bodenbrüter eingestellt hat, macht den Vögeln etwas ganz anderes zu schaffen: „Besonders in solchen Jahren, in denen es wenig Mäuse gibt, sind Bodenbrüter einem erheblichen Druck durch Fressfeinde ausgesetzt“, erläutert Tüllinghoff. Kameraaufnahmen hätten gezeigt, dass neben Greifvögeln, Mardern und Wildschweinen vor allem Füchse sich die Küken von Brachvogel, Kiebitz und Co. schmecken lassen. „Dabei muss man allerdings sagen, dass Füchse die Gelege nicht gezielt aufsuchen“, beschreibt er die Auswertung der Aufnahmen, „sondern eher zufällig darauf stoßen. Wenn sie vorher einer Maus begegnen, nehmen sie lieber die.“ Eine stärkere Bejagung der Füchse – wie beispielsweise am Dümmer – sei im Vogelschutzgebiet Düsterdieker Niederung, zu der auch der Vogelpohl zählt, wegen der umliegenden Waldbereiche ohnehin wenig erfolgversprechend.
Da nütze es schon eher, die oft in Form von Kolonien angeordneten Gelege von Uferschnepfe oder Kiebitz großflächig mit einem Elektrozaun zu sichern. Das habe man in den vergangenen und auch in diesem Jahr unter anderem in der Düsterdieker Niederung ausprobiert – „und es scheint ganz gut zu klappen“, berichtet Tüllinghoff.
Die Natur überrascht ihn noch immer
Auf seinen Beobachtungsgängen habe er auch schon erlebt, dass sich nicht nur Brachvögel gegenseitig vor Fressfeinden warnten und gemeinsam gegen sie angingen – „auch Uferschnepfen und Brachvögel besuchen einander und tun sich bei Gefahr zusammen“, erzählt der Biologe und freut sich über jede Überraschung, die die Natur auch für ihn noch immer bereithält, „es ist schon faszinierend, was es da an Zusammenhängen gibt.“ Um auch anderen Menschen diese Faszination zu vermitteln, bietet die Biologische Station regelmäßig Führungen durch die Naturschutzgebiete des Kreises an. Informationen hierzu finden sich auf www.biologische-station-st.de, weitere Tipps für Ausflüge gibt es auf www.natourismus-st.de. Hobby-Ornithologen legt Tüllinghoff das Internetportal ornitho.de ans Herz, mit dem sich Vogelbeobachtungen einfach und komfortabel melden lassen.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 20. Mai 2020)