Viermal in der Woche lädt Birgid Hoffeld kreative Geister – und solche, die es werden wollen – in ihre offene Kunstwerkstatt an der Bramscher Straße nach Westerkappeln ein. Mit ein bisschen Geduld und der richtigen Anleitung sollte hier doch auch jemand wie ich, die der künstlerischen Sparte eher unerfahren gegenüber steht, etwas Brauchbares zustande bringen. Oder?
Der Schaffenskraft freien Lauf lassen
Marianne bastelt sich einen pummeligen Engel. Gudrun und Kornelia können beim Anblick der dickbäuchigen Vorlage aus Pappmaschee ein amüsiertes Schmunzeln nicht unterdrücken – und entscheiden sich ebenfalls für den fröhlichen Himmelsboten. Brigitte, die 62-jährige Tankstellenbesitzerin aus Lengerich, arbeitet schon seit Monaten mit Hingabe an ihrer Nana – und braucht nur noch hier und da ein paar Tipps von Birgid Hoffeld. Regelmäßig öffnet die freischaffende Künstlerin ihre „Farbspirale“ in Westerkappeln, um gemeinsam mit Gleichgesinnten zu malen, zu kleben, zu spachteln, zu pinseln, zu formen – kurzum: der jeweils eigenen Schaffenskraft freien Lauf zu lassen. Bei Medi hakt es allerdings gerade ein bisschen. Sie weiß nicht so recht, ob ein pinkfarbener Rabe als Geschenk für ihre Tochter das Passende ist. Also richtet sie die Handycam auf das bunte Original und beschließt, erst dann kreativ tätig zu werden, wenn sie grünes Licht von ihrem Nachwuchs erhält.
Deko-Eulen und geflügelte Zebraschweine
Weil ich, was das handwerkliche Geschick angeht, zwar voller Enthusiasmus, aber nicht eben die hellste Kerze im Leuchter bin, habe ich meine Tochter Emma im Schlepptau, in deren ästhetisches Gespür ich deutlich mehr Vertrauen setze als in mein eigenes. Doch auch bei uns ziert sich die Muse beharrlich, ihre Lippen zu schürzen. Dabei können wir uns, seit wir Birgid Hoffelds Atelier betreten haben, an den vielen Anregungen kaum satt sehen: Derbe Stelen, auf denen filigrane Gestalten ausgelassen posieren. Mit einem glitzernden Gefieder aus Mosaiksteinchen verfremdete Deko-Eulen. Geflügelte Zebraschweine. Grell geschminkte Giraffen mit Klimper-Wimpern. Und an der Wand: ein Verkehrschaos aus Modellautos und Acryl. Keine Frage – Birgid Hoffeld bezeichnet sich nicht ohne Grund als vielseitig: Neben ihrer Spezialität – wonnig gerundete Nanas aus Pappmachee à la Niki de Saint Phalle, fertigt sie auch Objekte aus Holz, Glas, Gips, Ton und verschiedenen Modelliermassen, entwirft großformatige Acrylbilder und stellt Collagen her.
Mit jedem Klecks wächst die Begeisterung
Inspiration in Hülle und Fülle. Emma und ich beschließen, die Zeit in der Kunstwerkstatt zu nutzen, um eine nette Kleinigkeit, etwas Unverwechselbares, Individuelles und am besten auch noch Nützliches zu fabrizieren – und das möglichst in nur drei Stunden. Zugegeben – unser Ziel ist hoch gesteckt. Doch zum Glück hat Birgid Hoffeld reichlich Erfahrung darin, dem kreativen Potenzial ihrer Besucher eine Richtung zu geben: Die Workshops und Kursangebote der Westerkappelnerin sind weit über die Region hinaus bekannt und gefragt. „Wie wäre es denn mit einem hübsch gestalteten Untersetzer aus Glas?“, regt sie an – und lotst uns in die Ecke mit den zerbrechlichen Schönheiten. Emma atmet beim Anblick der bunt glänzenden Fliesen erleichtert auf: endlich eine Entscheidung! Nachdem uns Birgid Hoffeld mit einem quadratischen Rohling und jeder Menge Farbfläschchen voller „flüssigem Glas“ versorgt hat, kann die Arbeit beginnen. Während meine Tochter und ich mit wachsender Begeisterung rote Tupfer an blaue Linien klecksen – wir haben uns kurzerhand auf ein abstraktes Muster geeinigt, nehmen auch die drei drallen Engel unserer Mitstreiterinnen Form an: Sieben Schichten aus klein gerissenem Papier kleistern Marianne, Gudrun und Kornelia – in eine vergnügte Unterhaltung vertieft – auf die bauchigen Luftballone, um die Körper zu fixieren. Auch Brigitte sieht zufrieden aus: Sie verpasst ihrer Nana heute eine opulente Badekappe aus Biopappe. Mit Rüschen und allem Zipp und Zapp. Und sogar unser Glasuntersetzer, finden zumindest Emma und ich, kann sich sehen lassen.
Wenn sich die Muse ziert …
Nur zwischen Medi und dem pinken Raben hat es an diesem Abend nicht so richtig gefunkt. „Meine Tochter hat wohl wegen der schlechten Internetverbindung noch immer nicht geantwortet“, blickt die Rentnerin achselzuckend auf das Display ihres Handys und schenkt dem wie vorwurfsvoll vor sich hin starrenden Plastikvogel ein tröstendes Lächeln. „Dann werde ich eben erst nächste Woche kreativ“, sagt sie entschlossen – und reicht ihren Freundinnen eine weitere Handvoll selbstlos zerrissene Zeitungsfetzen an.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 21.10. 2015; Westfälische Nachrichten, 21.10. 2015)