Es pfeift und zischt, rumpelt und dröhnt, als ich das Bergbaumuseum in Ibbenbüren betrete. Von erinnerungsseliger Ruhe keine Spur. Stattdessen ist Ärmel-Hochkrempeln und Mitmachen angesagt: Wer vorübergehend in die Rolle eines Kumpels schlüpfen möchte, bekommt hier reichlich Gelegenheit. Mit einem Tag der offenen Tür – der noch vor den Einschränkungen durch die Ausbreitung des Coronavirus stattfand – wollte das Museum die Saison eröffnen. Doch die wird in diesem Jahr wohl nicht wie geplant im Mai, sondern deutlich später beginnen.
Ob riesiger Dampfhaspel, druckluftbetriebener Abbauhammer oder martialisch anmutender Kreiselkipper zum Leeren von Loren: In der ehemaligen Turbinenhalle des alten Kraftwerks an der Osnabrücker Straße sorgen ausrangierte, zum Teil denkmalgeschützte, zum Teil aber auch bis zum letzten Bergbautag im Einsatz gestandene Maschinen und Werkzeuge für didaktisch wertvollen Krach. Und faszinieren jedes Jahr Tausende von Besuchern aller Generationen.
Mit lärmender Vergegenwärtigung und beeindruckenden Unter-Tage-Kulissen hält das ehrenamtliche Team um Museumsgründer Hans Röhrs und Museumsleiter Christian Israel die mehr als 500-jährige Geschichte des regionalen Steinkohlebergbaus lebendig. Doch nach Schließung der Zeche im August 2018 ist mittlerweile auch die Zukunft des 1990 eröffneten Werksmuseums der RAG Anthrazit Ibbenbüren ungewiss.
Was genau Christian Israel den beiden frisch rekrutierten Haspelfahrern – einem interessierten Mädchen und seinem Vater – dort oben auf dem über hundert Jahre alten und für eine Zugkraft von 30 Tonnen ausgelegten Lastenaufzug gerade erklärt, können wir anderen nicht verstehen. Denn gleich nebenan experimentieren ein paar neugierige Kinder mit dem druckluftbetriebenen Abbauhammer herum – was prinzipiell zwar durchaus erwünscht ist, aber nicht unbedingt leise vonstatten geht: „Rattattattattat!!!“
„Kein Wunder, dass die alten Bergarbeiter immer so schwerhörig waren“, brüllt ein Besucher in der Reihe hinter mir seinem Begleiter zu, während Israel von seiner Empore aus die eifrigen Presslufthammerschwinger um Ruhe ersucht. Seine Stimme dringt jedoch gar nicht erst bis zu ihnen durch. Der Museumschef grinst. Denn am Ende birgt auch diese Authentizität des Geschehens die Chance, „Nicht-Püttianern“ zu vermitteln, wie es früher unter Tage zugegangen ist.
Nachdem der ehrenamtliche Museumschef, der zuvor 23 Jahre als Bergbauingenieur in Ibbenbüren tätig war, mithilfe mehrerer Kinder und Jugendlicher, die sich außer als Haspelfahrer auch als Maschinisten und Anschläger betätigen, den nicht nur unter Fachleuten berühmten Ibbenbürener Dampfhaspel – „unser bestes Stück im Stall“ – in Bewegung gesetzt und auch ihm einige unvergessliche Töne entlockt hat, setzt die inzwischen auf etwa 30 Teilnehmer angewachsene Besuchergruppe ihren Weg durch die umfangreiche Sammlung fort, die beileibe nicht nur den Ohren etwas zu bieten hat.
Der Prototyp des 1942 von Konrad Grebe in Ibbenbüren erfundenen Kohlenhobels und dessen weiterentwickelter Nachfolger sind ebenso zu bestaunen wie eine der wenigen überhaupt noch erhaltenen Schüttelrutschen, eine besonders bei jungen Museumsgästen beliebte – weil bespielbare – Kohlenlok, ein explosionsgeschütztes Wählscheibentelefon, eine mit Druckluft betriebene Lichtanlage, einige uralte Wasserpumpen, historische und moderne Grubenlampen, eine Sprengvorrichtung, die riesige Turbinenanlage des 1985 stillgelegten Kraftwerks samt Generator – und nicht zu vergessen, in einem der Nebenräume: die originale Schaltwarte des Kraftwerks, Baujahr 1954, analog und bestens erhalten. „Das Museum verfügt über weit mehr als hundert Maschinen“, berichtet Christian Israel, „wie viele Exponate es insgesamt sind, wollen wir demnächst in einer Bestandsaufnahme erfassen.“
Da dürften Israel und seine rund 20 ehrenamtlichen Mitstreiter Einiges zu zählen haben, denn im Bergbaumuseum sind neben echten Maschinen und Gerätschaften auch diverse Modelle, Bilder, Fotografien, Filme und Originalmaterialien zu Themen wie Erdgeschichte, Bodenschätze, Fossilien und Mineralien sowie Gegenstände und Szenerien aus dem Alltag der Bergmannsfamilien zu sehen. Mit dem Bergbau während des Nationalsozialismus setzen sich die Betreiber ebenfalls auseinander. Zurzeit wird die Ausstellung durch die Sammlung des Hüggelvereins aus Hasbergen ergänzt, die die Besucher mitnimmt auf eine Zeitreise, als sich in unseren Breiten noch Haifische und Dinosaurier tummelten, die bis heute ihre Spuren hinterlassen haben.
Rund 750 Besucher flanieren allein an diesem Sonntag durch die alte Turbinenhalle, um etwas über den Steinkohlebergbau zu erfahren, der das Leben vieler Familien in der Region über Generationen geprägt hat. „Unser Museum feiert 2020 sein 30-jähriges Bestehen“, merkt Christian Israel mit gequältem Lächeln an, denn: „Ob es eine Zukunft hat, ist fraglich.“ Die 1954 errichtete Turbinenhalle, in der die Sammlung präsentiert wird, sei marode und müsse abgerissen werden. Ob man jedoch, wie die ambitionierte Museumscrew hofft, in eines der historischen Gebäude auf dem ehemaligen Werksgelände, die erhalten bleiben sollen, umziehen könne, sei bisher alles andere als sicher.
Die Zeit bis zu einer endgültigen Entscheidung, die womöglich erst Ende des Jahres fällt, sollte Israel und seinen Kollegen allerdings nicht allzu lang werden: Dürften in den kommenden Monaten doch etliche angehende Haspelfahrer, Maschinisten, Anschläger und Abbauhammerschwinger nur darauf warten, kompetent in die Kunst des Krachmachens eingewiesen zu werden.
Das Bergbaumuseum öffnet unter normalen Umständen von Mai bis September an jedem zweiten und vierten Samstag im Monat von 14 bis 16.30 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos. Gruppen ab acht Personen können auch außerhalb dieser Termine eine Führung vereinbaren. Informationen und Anmeldung unter Telefon 05451/78110 oder per E-Mail: bergbaumuseum@anthrazit-ibbenbueren.de. Wegen der aktuellen Corona-Pandemie bleiben die Türen des Bergbaumuseums nun allerdings bis zu einer offiziellen Entwarnung geschlossen.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 11. März 2020)