Lachyoga – bloß ein publikumswirksamer, nicht weiter ernst zu nehmender Trend? Keineswegs, stelle ich fest, als ich die Übungsstunde von Sylke Hartmann besuche. Statt um Schenkelklopfen auf Kommando geht es der Mettingerin darum, den Gästen ihres Lachtreffs Wege in eine heitere Grundstimmung aufzuzeigen. Doch wie funktioniert das: ohne Anlass und dennoch aus tiefster Seele zu lachen?
Die Arme angewinkelt, den Oberkörper leicht vornüber gebeugt und den Blick mürrisch nach unten gerichtet, stapfe ich durch den Turnsaal des St.-Martin-Kindergartens und nörgle herum. Was das Zeug hält meckere ich über all den Ärger, den ich heute und gestern und sowieso scheinbar ständig ertragen muss – rücksichtslose Autofahrer, Vordrängler an der Käsetheke, die eigene Vergesslichkeit und ihre lästigen Folgen. Das Übliche eben. Schimpfe und schlage dabei mit meinen angewinkelten Armen wie ein aufgebrachter kleiner Rohrspatz vor mich hin.
„Und nun lasst diese schlechten Gefühle hinter euch, spreizt eure Flügel weit aus – und werdet zu Adlern“, animiert uns Sylke Hartmann zu einem befreienden Höhenflug. Und tatsächlich: Sobald wir uns gedacht himmelwärts aufschwingen, heben sich unsere Blicke, die Körperhaltung strafft sich, der Atem geht tiefer – und mit erhabenen Flügelschlägen schweben neun Frauen über die nervenaufreibenden Tücken ihres Alltags einfach hinweg.
Wir betrachten einander durch unsere Adleraugen – zunächst noch verhalten amüsiert, dann aber beginnen wir laut zu lachen. Ansteckend. Halt- und hemmungslos. Lachen über den Anblick, den wir einem Außenstehenden wohl gerade bieten mögen. Über die Leichtigkeit, mit der wir soeben die Seiten unserer Gefühlslage gewechselt haben. Aber vor allem: über uns selbst. Eben noch als wütender Spatz herumkrakeelt – jetzt ein abgeklärter Adler mit einem gelassenen Lächeln auf dem Schnabel. Wie schnell das geht und wie gut sich das anfühlt!
Die Grundlage des 1995 von dem indischen Arzt Dr. Madan Kataria entwickelten Lachyogas ist die Erkenntnis, dass das Gehirn nicht zwischen simuliertem und echtem Lachen unterscheidet. „Die Stoffe, die den Menschen dazu bringen, sich glücklich zu fühlen, werden in beiden Fällen ausgeschüttet“, heißt es auf der Internetseite des Europäischen Bundesverbands für Lachyoga und Humortraining. Daher werde das Lachen beim Lachyoga auf der motorischen Ebene gestartet. Man beginne zunächst mit Lächeln und Atemübungen, heißt es weiter, die dem Lachen ähnlich seien. Nach einiger Zeit springe dann das absichtliche Lachen in ein natürliches Lachen um. Ähnlich wie bei Entspannungsverfahren könne so trainiert werden, mit der Zeit immer schneller in ein herzhaftes Lachen zu kommen und eine heitere Stimmung zu erreichen.
Das Hamsterrad des Sich-Ärgerns verlassen
„Wer lacht, denkt nicht über seine Sorgen nach – beides gleichzeitig kriegt unser Gehirn nicht hin“, verweist Sylke Hartmann auf das enorme Potenzial, das da im Lachen schlummert. Aber das wir Erwachsenen kaum noch zu nutzen verstehen: Denn während Kinder um die 400 Mal am Tage lachten, täten wir Erwachsenen das nur noch zwischen 15 und 20 Mal. „Wie leicht könnten wir das Hamsterrad aus belastenden Gedanken anhalten, es bewusst verlassen, den Alltag leichter nehmen, uns besser fühlen, motivierter sein und die Dinge viel zuversichtlicher angehen – wenn wir doch nur häufiger lachen würden“, sagt Hartmann – und lächelt.
Seit die Lehrerin für Sonderpädagogik eine Ausbildung zur zertifizierten Lachtrainerin nach Madan Kataria gemacht hat, ist sie darauf bedacht, den Abwärtstrend in die emotionale Vernüchterung umzukehren. Nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei anderen. Vor einem Jahr hat Hartmann deshalb den Mettinger Lachtreff gegründet. An jedem ersten Donnerstag im Monat bringt sie alle, die zu ihr in den St.-Martin-Kindergarten kommen – Frauen, Männer, Jung oder Alt – zum Lachen. Der Treff ist ein offener, eine Anmeldung ist nicht erforderlich, die Teilnahme – ob ein- oder mehrmalig – ist kostenlos. Spenden für die von Dr. Eckart von Hirschhausen gegründete Stiftung „Humor hilft heilen“ sind erwünscht. „Im ersten Jahr sind immerhin 200 Euro zusammengekommen“, berichtet Hartmann.
„Hodü kimpopo? Uwi bibila u timüwab.“ Als nächstes steht eine Lektion in Gibberish oder schlichtweg „Kauderwelsch“ auf dem Programm. Jede von uns fügt nach Lust und Laune Silben aneinander und verwickelt ihr Gegenüber in ein intensives Gespräch. Unverständliche Fragen. Kryptische Antworten. Klar, dass diese Unterhaltung keinerlei Sinn ergibt, auf unbeteiligte Dritte womöglich völlig albern und kindisch wirkt – doch diejenigen, die sich darauf einlassen und voller Inbrunst mitbrabbeln, können sich schon bald vor Lachen kaum noch halten…
„Sehr gut! Sehr gut! Jaaaa!!!“ Sylke Hartmann kündigt mit einem ihrer vielen Gute-Laune-Rituale – in diesem Fall klatschen alle zweimal in die Hände und reißen dann begeistert die Arme nach oben – eine weitere Übung an, mit der sich das „Lachen ohne Grund“ trainieren lässt. Eine gute Stunde kichern und schmunzeln, lächeln und lachen wir gemeinsam, machen zusammen Quatsch und erfreuen uns an dem herzlichen und wohlwollenden Rückhalt durch die anderen Teilnehmer. „In der Gruppe macht Lachyoga am meisten Spaß“, spricht unsere Mentorin aus Erfahrung. Deshalb habe sie den Lachtreff ja auch überhaupt ins Leben gerufen: „Das ist für mich eine absolute Win-Win-Situation“, freut sich die 57-Jährige, „weil ja nicht nur ich euch, sondern auch ihr mich immer wieder zum Lachen bringt!“
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 12. Februar 2020)