Mauni trippelt von einem Huf auf den anderen, so aufgeregt ist er. Bei der Adventsfeier des Reit- und Fahrvereins Westerkappeln hat das kleine Pony seinen großen Auftritt: Es darf die Kutsche des Weihnachtsmannes ziehen. Doch kaum jemand in der Reithalle ahnt, was für ein mutiges und tapferes Tier – dessen Leben mehr als einmal auf Messers Schneide stand – da für den hohen Gast angespannt wird.
Schon um Mittag herum hat Mauni in seinem Offenstall in Seeste gemerkt, dass an diesem dritten Adventssonntag irgendetwas anders ist als sonst. Ganz anders… Den an sich so schmucklosen Marathonwagen, den der lebhafte Schecke eigentlich über die Feldwege der Bauerschaft oder die Turnierplätze der näheren und weiteren Umgebung zieht, haben seine Besitzerin Judith van Tübbergen und ihr Sohn Pascal mit strubbeligen Weihnachtsgirlanden verziert. Mauni stapft misstrauisch etwas näher. Schnuppert vorsichtig – nein, riecht nicht gefährlich. Doch just in dem Moment, als er einen Geschmackstest wagen will, ertappen ihn die Zweibeiner und schreiten entschlossen ein: „Das ist aus Plastik und nichts für dich, Mauni“, tadelt Judith van Tübbergen ihren Liebling mit sanfter Stimme und führt ihn zum Putzplatz. „Er ist einfach sehr neugierig“, erklärt sie amüsiert, „und eine ziemliche Naschkatze.“
Höhen und Tiefen eines Pferdelebens
Weil die passionierte Kutschfahrerin die Dinge lieber von langer Hand plant, als kurz vor knapp in Hektik zu geraten, bleibt noch komfortabel viel Zeit, um Mauni auf seinen Einsatz als Weihnachtspony vorzubereiten. Zeit, um das Fell des Hackney-Ponys zum Glänzen zu bringen und seine zottelige Sturmfrisur halbwegs zu bändigen. Zeit sogar, um von den Höhen und von den Tiefen in seinem Leben zu erzählen. „Dann wissen Sie auch, warum wir Mauni niemals abgeben würden“, sagt van Tübbergen, „und warum dieses Pony etwas Besonderes für uns ist.“ Sie hält ihm lächelnd eine Möhrenscheibe hin. Mauni mampft begierig – schmeckt eindeutig besser als Weihnachtsdekoration…
Während Judith van Tübbergen Maunis schwarz-weiß-gebänderte Mähne bürstet, erzählt sie davon, wie ihre Familie ihn vor elf Jahren als völlig heruntergekommenes Fohlen zusammen mit seiner arg geschwächten Mutter aus üblen Verhältnissen befreit hat. „Die beiden waren vollkommen abgemagert und komplett dehydriert“, schüttelt van Tübbergen noch immer völlig verständnislos den Kopf. „Seine Mutter haben wir nicht mehr retten können“, sagt sie, „aber Mauni konnten wir mit der Flasche großziehen.“ So bekamen die Tübbergens ein neues Familienmitglied – und das kleine Pony eine zweibeinige Ersatzherde.
Flaschenkind mit Kämpferherz
Pascal und seine Mutter legen dem Vierbeiner das Geschirr an, was der Schecke geduldig über sich ergehen lässt. „Mauni ist ein Traum von einem Pferd, sehr ruhig, besonnen und ausgeglichen“, merkt die gebürtige Emlichheimerin an, die seit 2015 in Westerkappeln lebt, „vor allem liebt und respektiert er Kinder und mag es, von ihnen betüddelt zu werden.“ Als sie ihm die Trense überstreift, deutet sie auf das rechte Auge des Ponys, in dem es merkwürdig hell schimmert. „Als Mauni etwa ein Jahr alt war, ist er plötzlich einseitig erblindet“, berichtet sie. Möglicherweise eine Folge der früheren Unterernährung. Inzwischen komme er problemlos mit seinem Handicap zurecht, aber anfänglich sei es so gewesen „als spüre er seine komplette rechte Körperseite nicht mehr.“
Mit fatalen Konsequenzen: Das noch junge, ungestüme Tier schätzte die Maße eines Koppeltores falsch ein und rammte sich einen Holzpfahl in den rechten Unterbauch. „Wir mussten Mauni sofort in die Tierklinik bringen, wo er umgehend operiert wurde“, erinnert sich seine Besitzerin noch lebhaft an den Schrecken. Würde Mauni jemals wieder richtig gesund werden – oder müsste er fortan mit weiteren Einschränkungen zurechtkommen? Die Antwort darauf hat das drahtige Pferdchen längst selbst gegeben. Aus dem vom Schicksal gebeutelten Vierbeiner ist inzwischen ein erfolgreiches Fahrpony geworden, das unter vielen anderen Titeln und Pokalen auch den Euregio-Cup mit Judith van Tübbergen gewonnen hat.
Weihnachtstaxi auf Tour
Mittlerweile sieht Maunis Fell aus wie frisch lackiert, der festlich geschmückte Wagen ist angespannt – los geht es im flotten Trab durch Wind und Wetter die rund 3,5 Kilometer von Seeste über Nebenwege bis zur Reithalle an der Mettinger Straße. Judith van Tübbergen an den Leinen, neben ihr Copilot Pascal. Und vorneweg: voller Vorfreude das Weihnachtspony. Als das Trio sein Ziel erreicht, sind die Adventsvorführungen des Vereins zwar noch in vollem Gang, aber schon bald stiefelt eine weißbärtige, rot ummantelte Gestalt auf das Gespann zu und tätschelt Mauni freundlich die Nase. Der Weihnachtsmann scheint ein echter Pferdefreund zu sein! Auch er steige, wenn der Feiertagstrubel vorbei sei, gerne inkognito unter dem Namen Jörg Debbert auf den Kutschbock, verrät er denn auch sein gar nicht so heimliches Hobby.
Dann ist es endlich soweit: Der Sack voller Geschenke ist verstaut, der Weihnachtsmann und sein Knecht Ruprecht haben im Marathonwagen Platz genommen – und Mauni wartet gar nicht erst darauf, dass Judith van Tübbergen ihm auffordernd zuschnalzt: Von forscher Eleganz beflügelt tänzelt er stolz in die Halle und genießt den Applaus der Zuschauer. Schließlich steigen die Fahrgäste aus – und ganz still und andächtig steht Mauni im Hallensand und verfolgt wie verzückt, wie die Mädchen und Jungen mit großen Augen bunt glitzernde Miniaturen seiner selbst vom Weihnachtsmann geschenkt bekommen. „Die sind aus Schokolade und nichts für dich, Mauni“, raunt es vom Kutschbock herunter. Doch da streckt sich dem braven Weihnachtspony ganz behutsam eine Hand entgegen, die ihm ein schmackhaftes, pferdegerechtes Leckerli reicht. So ein tolles Weihnachtspony, findet Vereinsvorsitzende Carmen Echelmeyer anerkennend, das müsse einfach belohnt werden.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 18. Dezember 2019)