Um die 300 Klaushähnchen am Tag schlüpfen zurzeit in der Backstube von Werner Wulfmeyer. Das vermeintliche Federvieh wird von dem Mettinger Bäckermeister, seinem Sohn Florian und ihrem Kollegen Josua Kölker hingebungsvoll gehätschelt und getätschelt, mit Butter bestrichen, in Zucker gewälzt – und unters Volk gebracht. Wer im Tecklenburger Land wohnt ist quasi dienstverpflichtet, den süßen Hefevogel zu lieben – schließlich wurde das traditionelle Festgebäck vor mehr als hundert Jahren hier erfunden.
Während die Martinsgans aus Hefeteig – genau wie ihr Pendant, der Stutenkerl – in der Vorweihnachtszeit vielerorts in ganz Deutschland gebacken und verputzt werden, ist das Klaushähnchen eine echte Rarität: Sein Revier beschränkt sich auf die Region rund um die Tüöttengemeinde.
„In den 1890-er Jahren wollten die Mettinger Bäcker etwas Besonderes für die Kinder zum Nikolaustag backen“, erzählt Werner Wulfmeyer von der Geburtsstunde des süßen Hühnervogels mit der herben Anisnote. Die Bezeichnung „Klaus“ verweise dabei auf den Nikolaustag – plattdeutsch Sunner Klaus genannt, der namensgebende Hahn gelte im Christentum als ein Symbol für Wachsamkeit und Treue. Ursprünglich für den 6. Dezember terminiert, haben die Mettinger Bäcker ihre Klaushähnchen dann aber irgendwann bereits am Martinstag in den Ofen geschoben. Auch die Adventsonntage oder der örtliche Weihnachtsmarkt waren willkommene Anlässe.
Und wie handhabt „Bäcker Werner“ alias Werner Wulfmeyer die Tradition? „Weil ich der letzte Bäcker in Mettingen bin, der hier noch selber backt“, sagt er, „habe ich entschieden, dass es die Klaushähnchen bei uns vom 21. September, dem Geburtstag meiner Frau Ingrid, bis zum Heiligen Abend gibt.“ Er grinst vergnügt ob der unfreiwilligen Unanfechtbarkeit seiner Beschlüsse, zieht die dicken Schutzhandschuhe an und wendet sich wieder seinem sechsstöckigen Backofen zu. Genug geplaudert – Bleche voller Brötchen und Croissants, voller Laugenstangen und Dinkelvollkornbrot benötigen die ihnen gebührende Aufmerksamkeit.
Derweil nehmen Florian Wulfmeyer und Josua Kölken die werdenden Klaushähnchen unter ihre Fittiche. Ganz der Philosophie von Bäcker Werner verpflichtet, der auf traditionelles Bäckerhandwerk und auf die Elemente des Slow-Baking setzt, des langsamen Backens, das es dank besonders langer Gär- und Reifezeiten dem Teig ermöglicht, seine Aromen optimal zu entfalten, sind die Hähnchen, die an diesem Morgen gebacken werden sollen, bereits am Vortag von den Beiden geformt worden. Die zarten Hefegebilde brauchen nur noch aus der Kühlung geholt zu werden, in der warmen Gärkammer aufgeweckt – und anschließend von Bäcker Werner präzise elf Minuten lang in seinem Ofen ausgebrütet zu werden. Was vorher zu tun war und was anschließend noch zu erledigen bleibt, bevor die Klaushähnchen in der Verkaufstheke landen, erfolgt nach altem Mettinger Bäckerbrauch.
Variante mit Zitrone statt mit Anis
Aus Weizenmehl, Margarine, Hefe, Zucker, Salz, Wasser und Anis stellt Bäckermeister Kölken in der Knetmaschine den Teig her. „Für diejenigen, die den Geschmack von Anis nicht so gerne mögen“, berichtet er, „haben wir eine Variante ohne Anis, dafür mit etwas Zitrone, kreiert.“ Der Teig wird nochmals per Hand durchgewalkt, anschließend ausgerollt, dann werden die Hähnchen ausgestochen und auf die Bleche verteilt. „Die Ausstechform dürfte schon deutlich älter sein als der Chef“, merkt Kölken an und wiegt das aus schwerem Eisen geschmiedete Unikat in seinen Händen. Sollte tatsächlich jedes der vielen Tausend Klaushähnchen, die in der kleinen Mettinger Landbäckerei in einer Saison das Licht der Welt erblicken, dieser einen Form entstammen?
„Vielleicht ist diese Form wirklich schon über hundert Jahre alt…“
Bäcker Werner nickt. So sei es. „Für uns ist diese Form, die ich von meinem Vorgänger übernommen habe, allerdings genauso so ein Arbeitsgerät wie jedes andere“, sagt er und hält einen Augenblick inne. Schließlich legt sich ein Schmunzeln auf sein Gesicht: „Aber stimmt – vielleicht ist diese Form wirklich schon über hundert Jahre alt…“ Die mehligen Hände an der karierten Bäckerhose abgewischt. Weiter geht’s, neuerlich Richtung Ofen: Die Uhr zeigt kurz vor sechs – die erste Schar Klaushähnchen an diesem Morgen ist kulinarisch betrachtet so gut wie flügge. Deren goldbraune Kruste und der ihnen entströmende Duft nach süßer Weihnacht laden zwar zum sofortigen Hineinbeißen ein – aber noch fehlt den fluffigen Vögelchen ein entscheidendes Detail.
Denn so hübsch die Klaushähnchen auch im kahlen Zustand bereits aussehen mögen – der Clou beim Genießen ist doch für viele Schleckermäulchen just diese exquisite Kombination aus würzigem Anis und süßer Zuckerschicht. Und die verpassen Josua Kölken und Florian Wulfmeyer ihren Schützlingen abschließend, indem sie sie mit flüssiger Butter bestreichen und rundum in einem Bad aus feinstem Zucker wälzen. So mausert sich das Hefegeflügel schlussendlich zu jener seltenen und einzigartigen lokalen Spezialität, deren Überleben sich Bäcker Werner und seine Mannen auf ihre Backbleche geschrieben haben.