Und mögen sie sich noch so lieblich in den Wellen räkeln – mit Seejungfrauen ist nicht zu spaßen. Jedenfalls nicht mit denen, die im Hallenbad Recke am Schwimmkurs „Mermaiding“ teilnehmen. Ein unwirscher Schlag mit der Schwanzflosse auf die Wasseroberfläche, schon steht der verdutzte Beobachter nass wie ein begossener Pudel am Beckenrand – und die Verursacherin der unfreiwilligen Dusche ist längst kichernd in den gefliesten Tiefen verschwunden.
Ella, Leana, Zoe und ihre Schwarmgenossinnen rücken die Schwimmbrillen zurecht, zuppeln ihre bunt schimmernden Schwanzflossen bis zur Taille hoch – und lassen sich vom Beckenrand elegant ins Wasser gleiten. Der im Calypso-Takt beschwingenden Untermalung durch den Arielle-Song „Unten im Meer“, für die Schwimmmeisterin Andrea Ottenhus gesorgt hat, hätte es gar nicht bedurft – denn: Wer bitte schön ist Arielle?
„Also ich habe den Film noch nie gesehen“, räumt Anna (6 Jahre) ein, „ich mache hier mit, weil ich so gerne schwimme!“ Sagt’s, taucht dank meermädchenhafter Stromlinienförmigkeit pfeilschnell ins Wasser ab, dreht ein paar Rollen vor- und rückwärts im feuchten Element, pirouettiert dann behände um die eigene Achse, um anschließend entspannt auf dem Rücken an der Oberfläche zu dümpeln. „Nur normal zu schwimmen wird irgendwann langweilig“, kommentiert Nachwuchsnixe Zoe (9 Jahre) und hechtet den anderen hinterher.
Nach der Premiere in den vergangenen Oster-, hat das Hallenbad Recke auch in den Herbstferien wieder mehrere Mermaid-Schwimmkurse angeboten. „Das ist wirklich der Renner“, sagt Andrea Ottenhus, „sämtliche Kurse waren ausgebucht.“ Dabei hätten bei ferienterminlichen Überschneidungen nicht nur Westfalen, sondern auch Osnabrücker und Emsländer die Chance genutzt, sich – technisch korrekt im abgespeckten, nur auf die zur Schwanzflosse mutierten Beine bezogenen Delfinstil – als Seejungfrau ausbilden zu lassen.
„Diese Art zu schwimmen macht einfach unheimlich viel Spaß“, verweist Ottenhus auf ihren nie bereuten Selbsttest. Denn wer die Fortbewegungsweise einer Mermaid vermitteln wolle, der müsse diese auch am eigenen Leibe gespürt haben. Also hat die 31-Jährige keine Kosten und Mühen gescheut: Flosse gekauft, unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Hallenbad geübt – und schnell festgestellt: „Super! Es ist ähnlich wie mit einer Monofin“, also einer gemeinsamen Flosse für beide Füße, beschreibt die Schwimmmeisterin ihre Erfahrung, „nur fühlt man sich mit dem Kostüm irgendwie hübscher…“
Klingt nach einer motivierenden Verbindung zwischen dem Ausleben der eigenen Fantasie und einer sinnvollen sportlichen Betätigung. Denn das Schwimmen als Nixe trainiert nicht nur Kraft, Koordination und Ausdauer, es sorgt zugleich dafür, dass die jungen Trendsportlerinnen ihre Fähigkeiten und damit auch ihre eigene Sicherheit im Wasser spielerisch festigen und erweitern. „Die Voraussetzung für die Teilnahme am Mermaid-Schwimmkurs ist bei uns das Jugendschwimmabzeichen in Bronze“, erläutert Ottenhus. Bevor man zur Flosse greife, müssten sich die Grundkenntnisse des Brustschwimmens nämlich nachhaltig gesetzt haben, sonst verlerne man sie wieder.
Zunächst erklärt Ottenhus den angehenden Meerjungfrauen den Umgang mit der Monofin und die richtige Schwimmtechnik. Der zweite Tag steht im Zeichen eines Unter-Wasser-Foto-Shootings, bei dem die stilechten Ausflüge der Mermaids in die Tiefen der Hallenbad-Wunderwelt in Bild und Video von Andrea Ottenhus zum Mitnehmen für zuhause festgehalten werden. Abschließend sind Spiele angesagt, in denen die quirligen Flossenträgerinnen sich in den Kernkompetenzen einer modernen Seejungfrau bewähren müssen: Schnelligkeit, Beweglichkeit, Hilfsbereitschaft: Sie bergen versunkene Gegenstände aus den Tiefen des Schwimmerbeckens, steuern imaginäre Inseln über und unter Wasser an und teilen, so erschöpft wie zufrieden, die süßen Fruchtgummis eines gemeinsam gehobenen Schatzes untereinander auf.
Bislang ist die Welt der Fischmenschen in Recke (noch) fest in weiblicher Hand. Ob sich das beim nächsten Kurs in den Osterferien 2020 ändern wird, bleibt abzuwarten. Wer zur Recherche ins Internet abtaucht erfährt, dass sich andernorts bereits „Seejungmänner“ zusammengefunden haben. In Frankreich wurde in diesem Jahr sogar erstmals der „Mister Triton France“ gekürt. Außerdem verraten die Untiefen des Webs auch einiges über die Anschaffungskosten für eine schwimmtaugliche Schwanzflosse, für die man schnell zwischen 50 und 100 Euro hinblättert. Lohnt sich das für drei Tage Spaß als Wasserwesen überhaupt? „Vorausgesetzt, es ist nicht zu voll und es sind nicht zu viele kleine Kinder im Becken, dürfen Mermaids bei uns in Recke auch außerhalb der Kurse beim allgemeinen Schwimmbetrieb ihre Flosse tragen“, beweisen Andrea Ottenhus und ihre Kollegen ein großes Herz für mythologische Meeresbewohner.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 30. Oktober 2019)