Da habe ich immer geglaubt, ich hätte in meiner Kindheit beim Sammeln von lebensrelevanten Lektionen spielerisch aus dem Vollen geschöpft – aber Legosteine hin und Plüschdrache her: Über all die Jahre hat man mir elementares Weltwissen vorenthalten, trifft mich nun die Erkenntnis mit der geballten Wucht einer zerplatzenden Seifenblase.
Nichts außer Spaß ahnend, habe ich mich – etwas altersungerecht – beim Künstlerdorf auf dem Mettinger Schultenhof für den Workshop „Seifenblasenverzauberung“ für Sechs- bis Zehnjährige angemeldet. Schillernde Oberflächen um luftige Inhalte – bin ich auf einen so unterhaltsamen wie unverfänglichen Nachmittag eingestellt. Aber weit gefehlt! Die hohlen Laugenkugeln bergen mehr Geheimnisse als bloß filigrane Schwerelosigkeit und vieldeutige Symbolik. Was wir außerdem noch alles von, mit und über Seifenblasen lernen können, enthüllt Kursleiter Helmut uns staunenden Teilnehmern in vielen spannenden Mitmach-Experimenten. Dabei streifen wir die Gesetze der Physik, tauchen ein in die Welt der angewandten Chemie, informieren uns über das Befinden von winzigen Molekülen – und erliegen alsbald der Verheißung, dass Geschirrspülen von nun an – die richtigen Zutaten vorausgesetzt – alles andere als langweilig werden dürfte.
Doch bevor wir die Seifenlauge anrühren, müssen zunächst grundlegende Fragen geklärt werden: „Wer soll hier eigentlich wen verzaubern?“, will Erstklässlerin Laura den Titel noch einmal ganz genau erklärt bekommen, bevor sie sich auf eventuell nicht kalkulierbare Wagnisse einlässt. „Wir die Seifenblasen – oder die uns?“ Helmut lächelt amüsiert. Das, was in diesem Workshop mit uns passiere, könne man wohl nicht voraussagen, orakelt er – und zitiert das Motto, das über unseren Bemühungen schweben soll: „Die wahre Lebenskunst besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.“ Meine grünschnabeligen Kurskollegen reagieren leicht irritiert. Ich beginne zu grübeln. Helmut, der 59-jährige Maschinenbaukonstrukteur und Hobbytüftler, nickt bedächtig. Und mit fast schon magischer Unaufhaltsamkeit bläht sich die Frage in unseren Köpfen auf: Sind Seifenblasen wirklich so faszinierend, wie Helmut behauptet? Hier ein paar Antworten.
Während ich Jahrzehnte lang dem Irrtum erlag, dass ohne einen fertig gekauften Pustering aus Plastik gar nichts laufe, verblüfft mich unser Lehrer mit einfachen Lösungen: Niemals hätte ich gedacht, dass man (neben der perfekten Lauge) nichts außer der eigenen Hand braucht, um waschechte Seifenblasen zu produzieren: Die Handfläche in die Lauge tunken und die Hand danach zu einer lockeren Faust formen. Den Zeigefinger langsam über den Daumen zu einem Ring ziehen, sodass sich ein dünnes Häutchen Seifenlauge darin spannt, die anderen Finger abspreizen – und pusten!
Wem das auf Dauer zu glibberig wird, kann alternativ auf die gute, alte Toilettenpapierrolle zurückgreifen. Das eine Ende der Rolle etwa eine Minute lang ungefähr einen halben Zentimeter tief in die Lauge halten, sodass sich die Pappe unten mit der Flüssigkeit vollsaugt – fertig. Auch aus zusammengerolltem Zeitungspapier lassen sich Blastüten formen. Allerdings haben sich diese beim Testen als nicht so robust wie die Pappröhren erwiesen.
Wegen der Oberflächenspannung des Wassers (Physik…!) kann man Seifenblasen mit etwas Glück sogar mit einer Stricknadel durchbohren, ohne dass die Blase zerplatzt. Dazu muss man die Nadel allerdings vorher gut in der Lauge baden. Eine besondere Herausforderung besteht darin, mehrere Blasen auf eine Rundnadel „aufzufädeln“. Mit einem in der Lauge gewälzten Zollstock lässt sich die Seifenblase auch von Innen vermessen. Wegen besagter Oberflächenspannung können Tischtennisspieler eine Seifenblase sogar als Ball benutzen. Dazu wird eine Schafwollsocke über den Schläger gestülpt, an der die Blase – bei behutsamer Technik – einige Male abprallt.
„Wir haben hier aber echt Spaß!“, jubiliert Laura, als wir uns an die Vorbereitungen begeben, einen Drahtreifen zum Produzieren von Riesenseifenblasen zu formen und mit reichlich Wolle zu umwickeln. Der wird dann anschließend in eine entsprechend breite Schale mit Lauge gehalten, die Wolle saugt wiederum die Flüssigkeit auf – und los geht es! In schwungvoller Aktion wirbeln Laura, Feline und Simon, Zoe, Jalus und Vajra ihre Reifen durch die Luft, während wir Älteren das Ganze eher meditativ angehen, in ruhigen, fließenden Bewegungen. So verschieden das Tempo einer jeden Generation – der Spaß, den wir an den in der Spätsommersonne funkelnden Gebilden haben, ist derselbe: „Guck mal die!“ – „Boh – hier! Eine ganz große!“ Ja, ich habe einiges verpasst in meiner Kindheit, räume ich ein, wie ich den dahin wabernden Riesenblasen nachblicke, aber wer weiß: Vielleicht erlebe ich ja just in diesem Augenblick das Entstehen eines neuen Trends, dem ich fortan frönen kann: Nach „Fly-Yoga“ wäre ich bei einem Workshop „Seifenblasen-Qi Gong“ jedenfalls sofort mit dabei!
Helmuts perfektes Seifenblasen-Rezept: 1 Liter kaltes Wasser, 54 Gramm Fairy Ultra grün (nur dieses Mittel funktioniere, beteuert Helmut), ein halber Teelöffel Guarkernmehl (gibt es im Bioladen), ein gestrichener Teelöffel Backpulver. Alle Zutaten vorsichtig mit dem Schneebesen verrühren, sodass sich keine Klumpen und möglichst wenig Schaum bilden. Je nachdem, für welche Art von Blasen die Lauge eingesetzt werden soll, könne man nach Belieben mit der Rezeptur experimentieren, sagt der Mettinger. Vorschläge im Internet zu diesem Thema gibt es reichlich.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 02. Oktober 2019)