Kaum legt sich die Dämmerung über das Tecklenburger Land, kommen die Fledermäuse aus ihren Verstecken geflattert und jagen in waghalsigen Flugmanövern durch die Nacht. Warum die akrobatisch veranlagten Insektenesser, die schon seit 50 Millionen Jahren auf diesem Planeten leben, in der Dunkelheit nicht anecken – von uns Menschen aber im Laufe von nur wenigen Jahrzehnten an den Rand ihrer Existenz gedrängt worden sind, erfahre ich in der vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) organisierten „Batnight“.
In der Deckung einer alten Kastanie lauert im Ortskern von Brochterbeck eine kleine Gruppe Naturfreunde und fixiert angestrengt den Himmel. „Da!“, ruft eine weißhaarige Teilnehmerin aufgeregt und deutet nach schräg oben, „da war gerade eine! Oder war das eine Schwalbe…?“ Wir anderen legen unsere Köpfe in den Nacken – und starren gebannt ins Nichts. Wer Fledermäuse beobachten will – das wird jedem von uns schnell klar – braucht Geduld, Glück und einen geübten Guide. Wir haben an diesem Abend alles drei. Mit Martin Tillmanns führt uns ein echter Kenner der Materie durch die schummrige Dorfkulisse. Der 46-Jährige hat in Braunschweig Biologie studiert, ist seit seinem siebten Lebensjahr beim Nabu und beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Fledermausschutz.
So ganz viel, räumt Tillmanns ein, wisse man allerdings noch gar nicht über die Lebensweise der Fledermäuse. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass sich die pelzigen Flieger eine Nische in der Welt erobert haben, die für uns Menschen schwer zugänglich ist: Ausgerechnet wenn es dunkel wird und unsere Sehkraft schwindet, beginnt das nächtliche „Tagewerk“ der possierlichen Kobolde der Lüfte. Und anders als die Rufe von Kauz oder Eule, nehmen wir das turbulente Stimmengewirr der Fledermäuse gar nicht wahr: Denn just da, wo das menschliche Gehör endet – je nach Alter bei einer Frequenz von 16 bis 18 Kilohertz, setzt die Kommunikation der Fledermäuse überhaupt erst ein: Ihre Orientierungs-, Jagd- und Kontaktrufe senden sie im Ultraschallbereich zwischen 20 und 140 Kilohertz aus. Nicht gerade eine ideale Basis für tiefschürfende Gespräche zwischen Mensch und Fledermaus.
Wie gut also, dass in den 1990er Jahren mobile Geräte entwickelt wurden, die die Töne der Fledermäuse direkt vor Ort umwandeln und nicht nur für das menschliche Ohr hör-, sondern sogar als Spektrogramm für unsere Augen sichtbar machen. Und noch besser: Natürlich hat Tillmanns einen Bat-Detektor der jüngsten Generation mit dabei. Mit wenigen Handgriffen, einem entsprechenden Mikrofon-Modul und samt zugehöriger App verwandelt sich sein digitales Tablet nicht nur in ein Fledermaus-Such-, sondern wie sich alsbald herausstellt, auch in ein zuverlässiges Fledermaus-Finde-Hilfsmittel.
Denn keine zwei Minuten später knattert bereits das sanfte Stakkato, ganz ähnlich dem eines anschwellenden Technobeats, aus dem kleinen Lautsprecher des Tablets. Und über das Display ziehen blaue und grüne Ausschläge, die den unkundigen Exkursionsteilnehmer eher an ein stimmungsvolles Nordlicht, denn an ein Erkennungsprofil erinnern. Tillmanns weiß die Optik allerdings zu deuten: „Hier über uns jagt gerade eine Zwergfledermaus“, lenkt er unsere Aufmerksamkeit himmelwärts. Und tatsächlich: In ausgedehnten Schleifen kreist die Silhouette des winzigen Rhythmuskünstlers, der da für den markanten Sound verantwortlich ist, über uns hinweg.
Wie ein fliegendes Mini-U-Boot orientiert sich die Fledermaus mithilfe der Ultraschall-Echoortung in den lichtschwachen Gefilden ihres Reviers. Die hochfrequenten Schallwellen, die die Tiere dabei in ihrem Kehlkopf erzeugen und je nach systematischer Familienzugehörigkeit durch den Mund (Glattnasen) oder die Nase (Hufeisennasen) ausstoßen, treffen auf die Strukturen in der Umgebung – Häuser, Bäume, potenzielle Beutetiere, neugierige Exkursionsteilnehmer – und werden von diesen „Hindernissen“ als Echo zurück in die sensiblen Ohren der Fledermaus geworfen. Das Gehirn der Fledermaus verarbeitet das sich ständig aktualisierende Echo zu einem dreidimensionalen Hörbild, in dessen Kulisse sich der nächtliche Jäger bestens zurechtfindet.
Zwischen 3000 und 5000 Mücken verspeise eine Zwergfledermaus an einem Abend, berichtet Tillmanns. Und wer jetzt an das von uns Menschen mit verursachte Insektensterben denkt, dem dürfte beim Anblick des kleinen Säugers, der da emsig durch die Lüfte flattert, ziemlich mulmig zumute werden: Denn nicht nur die in unserer Wahrnehmung oft viel präsenteren Singvögel leiden zurzeit unter akuter Futterknappheit… „Beim Anlegen einer Blühwiese im heimischen Garten sollte man also nicht nur an Pflanzen für Tagfalter und Bienen denken“, regt Tillmanns an, „sondern auch Blüten für Nachtfalter berücksichtigen.“ Dazu zählen beispielsweise gewöhnliches Leimkraut, Seifenkraut und Wegwarte.
Was den Fledermäusen außer der industrialisierten Landwirtschaft mit all ihren Folgen ebenfalls schwer zu schaffen macht, ist der Trend der Westeuropäer zur effizienten Sanierung ihrer Wohnhäuser und anderer Gebäude. „Wenn alle Fugen, Ritzen und Spalten akribisch verschlossen und abgedichtet werden, finden Fledermäuse immer weniger Unterschlupfe“, erläutert Tillmanns. Und die brauchen sie dringender denn je – denn aufgrund der wohl immer heißer werdenden Sommer, sterben besonders die Jungtiere zunehmend den Hitzetod. Auch knorzige alte Bäume dienen mit derben Rinden, Spechthöhlen und Astlöchern als willkommenes Versteck.
Wohnungsnot beheben helfen
Häusliches Energiesparen und Fledermausschutz schließen einander aber zum Glück nicht aus. Inzwischen werde eine große Auswahl an Spezialmauersteinen, -ziegeln und -dachpfannen angeboten, die sowohl die Bedürfnisse der Bauherren wie auch die der Fledermäuse berücksichtigen, erläutert Tillmanns, und viele Handwerker würden bei Sanierungsaufträgen auf entsprechende Materialien hinweisen. Zusätzlich können künstliche Quartiere in Gestalt von selbst gebastelten oder fertig gekauften Fledermauskästen angebracht werden.
Wer mehr darüber erfahren möchte, wie sich das Eigenheim fledermausfreundlich sanieren oder der Neubau von vornherein wildtiergerecht anlegen lässt, oder wie man den Fledermäusen sonst noch beim Überleben unter die Flügel greifen kann, sollte sich direkt bei Martin Tillanns, Telefon 0176 24677866, E-Mail martin.tillmanns@icloud.com, erkundigen. Der Nabu informiert auf www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/fledermaeuse ebenfalls ausführlich rund um das Thema Fledermäuse.
- Fledermäuse gehören zu den Säugetieren. Die Weibchen gebären im Frühjahr ein Jungtier, selten zwei. Sie schlafen und ruhen kopfüber in Höhlen, alten Dachstühlen oder anderen Unterschlupfen, indem sie sich mit den Krallen ihrer Hinterfüße in der Decke verankern.
- Fledermaus-Mütter schließen sich zur gemeinsamen Aufzucht ihrer Jungen im Frühjahr zu Wochenstuben zusammen. Die Jungtiere werden etwa vier bis sechs Wochen von ihren Müttern gesäugt.
- In Deutschland gibt es 25 verschiedene Arten von Fledermäusen. Die kleinsten sind die Zwerg- und die Mückenfledermaus, die mit angelegten Flügeln in einer Streichholzschachtel Platz finden (Gewicht: um fünf Gramm). Die größte heimische Art ist das Große Mausohr (Flügelspannweite: gut 40 Zentimeter, Gewicht: um 26 Gramm). Weltweit gibt es mehr als 1200 Arten. Unsere heimischen Fledermäuse ernähren sich allesamt von Insekten.
- Fledermäuse halten einen Winterschlaf von etwa Anfang November bis Ende März, bei dem sie kopfüber in Höhlen, Stollen, alten Dachstühlen oder Kellern hängen. In dieser Zeit reduziert sich ihr Puls auf unter zehn Schläge pro Minute. Beim Jagdflug schlägt das Herz mancher Arten dagegen bis zu Tausendmal pro Minute.
- Werden Fledermäuse in ihrem Winterschlaf gestört, kann das tödlich für sie sein. Weil der unplanmäßig hochgefahrene Stoffwechsel augenblicklich nach Nahrung in Form von Insekten verlangt, die es aber im Winter nicht genügend gibt, verhungert die aufgeschreckte Fledermaus. Daher sind viele Winterquartiere mit Gittertüren verschlossen.
- Wer eine verletzte oder sich merkwürdig verhaltende Fledermaus findet, sollte sie nicht (oder nur mit bissfesten Handschuhen) anfassen, denn das Tier könnte an Tollwut erkrankt sein. Stattdessen sollte man sich an einen Tierarzt, an die örtliche Naturschutzgruppe oder die Fledermaus-Hotline des Nabu 030 2849845000 wenden. Fragen beantwortet außerdem Sebastian Kolberg, Referent für Artenschutz des Nabu, Telefon 030 2849841635.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 11. September 2019)