Mediation stimmt Streithähne versöhnlich

Welches Bedürfnis verbirgt sich hinter einem Konflikt? Mithilfe von Handkarten gehen die Kursteilnehmer dieser Frage nach. Foto: Ulrike Havermeyer

Lange Zeit bin ich dem Irrtum aufgesessen, Mediation sei eine orthografisch verunglückte Form der Meditation. Doch mit geistiger Versunkenheit hat die Mediation nichts zu tun. Stattdessen geht es um professionelles Konflikt-Management durch gewaltfreie Kommunikation.

Um mehr über die Kunst der konstruktiven Konfrontation zu erfahren, besuche ich den Schnupperabend zur „Ausbildung in Mediation auf der Grundlage der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg“ von Cornelia Timm und Kurt Südmersen. Das Ehepaar betreibt das Orca-Institut für Konflikt-Management und Training in Bad Oeynhausen und hat nach eigenen Angaben in den vergangenen 20 Jahren mehr als 1000 Mediatoren im norddeutschen Raum ausgebildet. „Die meisten von ihnen arbeiten allerdings nicht als Mediator“, zieht Südmersen eine vorläufige Bilanz, „sondern nutzen ihre Fertigkeiten zur Erweiterung ihrer persönlichen und beruflichen Kompetenzen.“

Diese eher offene Zielvorgabe klingt nach genau dem passenden Maß an individueller Entscheidungsfreiheit, das ich mir für meine privaten Ambitionen wünsche. Auch interessierte Westfalen sind eingeladen, das Angebot zu nutzen. Der nächste Kurs der beiden Kommunikations-Profis startet im September 2019 in Melle und endet im November 2020. Allerdings wird meine inhaltliche Euphorie vom zeitlich und finanziell erforderlichen Einsatz gedämpft: Beachtliche 200 Stunden und rund 3500 Euro müssen angehende Streitschlichter investieren, um künftig als anerkannte Mediatoren für einen entspannteren Umgang ihrer Mitmenschen zu sorgen.

Jetzt bloß nicht Partei ergreifen…

Es gibt Momente, da möchte ich am liebsten unsichtbar sein. Immer dann zum Beispiel, wenn zwei befreundete Cholerikerinnen sich in meiner Gegenwart zu streiten beginnen und einander üble Anschuldigungen um die Ohren hauen. Am allerschlimmsten wird es, wenn mich dann beim munteren Eskalieren der Auseinandersetzung eine der beiden Provokateurinnen herausfordernd ansieht und mit letzter Beherrschtheit zischt: „Könntest du dieser Ignorantin bitte mal sagen, dass sie totalen Schwachsinn erzählt!“ Sofort wird es unangenehm still – und vier zu misstrauischen Schlitzen verengte Augen richten sich auf mich…

Jetzt bloß nicht Partei ergreifen, raunt es durch meine Gedanken. Beurteilen, belehren, beschwichtigen – das alles sind keine Lösungen, hat mich die Erfahrung mit den beiden Heißspornen gelehrt, sondern machen das Ganze nur noch schlimmer. Manchmal gelingt es mir, mich mehr schlecht als recht mit einem Scherz aus der Situation zu retten. Der eigentliche Konflikt zwischen den zwei Streithennen bleibt so allerdings bestehen und schwelt weiter vor sich hin – bis er das nächste Mal aufflammt, womöglich wieder in meinem Beisein… keine angenehme Aussicht. Aber wie hätte ich den Zank meiner Freundinnen in konstruktives Fahrwasser leiten oder zur Versöhnung beitragen können?

Marshall Rosenberg bei einem Workshop über gewaltfreie Kommunikation, Israel (1990). Foto: Etan J. Tal / Wikimedia Commons

„Hinter jedem Konflikt steht ein Bedürfnis, das nicht erfüllt wird“, beschreibt Diplom-Pädagoge, Gestalttherapeut und Zen-Lehrer Kurt Südmersen eine grundlegende Erkenntnis seines Lehrers Marshall B. Rosenberg. Der amerikanische Psychologe hat in den 1960er Jahren das Konzept der gewaltfreien Kommunikation entwickelt, das seitdem von Mediatoren rund um den Globus nicht nur im Alltag angewendet wird, um Streitigkeiten zwischen Paaren oder in Familien und Schulen friedlich lösen zu helfen, sondern auch in Betrieben und Unternehmen sowie sogar bei diplomatischen Verhandlungen zur Beilegung internationaler Auseinandersetzungen. „Ich kriege nicht, was ich will – und du bist schuld daran!“, bricht Südmersen das Wesen der meisten Konflikte auf eine simple Aussage herunter.

Wer zwei zerstrittene Parteien wieder miteinander ins Gespräch bringen will, der muss sich mit gut gemeinten Ratschlägen oder vorgefertigten Lösungen allerdings zurückhalten. „Als Mediatoren nehmen wir eine wertschätzende Haltung der Nichtbewertung und der Allparteilichkeit ein“, erläutert Cornelia Timm. „Empathie statt Sympathie oder Antipathie“ laute vielmehr die Devise, unter der die Beschäftigung mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen und denen des jeweiligen Gegenübers erfolgt. Wie genau man einzelne Streithähne oder zerstrittene Gruppen wieder auf den Weg der Versöhnung bringt, dazu hat Marshall B. Rosenberg ein ausgefeiltes und anerkanntes Konzept in mehreren Schritten erarbeitet – das sich an diesem kurzen Schnupperabend nur andeutungsweise vermitteln lässt. Dennoch ist der Funke der Mediation längst auf mich übergesprungen  – und der Gedanke, nicht nur etwas über die gewaltfreie Kommunikation zu hören, sondern diese auch anwenden zu können, lässt mich nicht los.

Als Wolf oder als Giraffe handeln

Als es um die zentralen Botschaften des Mediationsverfahrens geht, gehört die Bühne des Schnupperabends schließlich zwei Plüsch gewordenen menschlichen Grundhaltungen: der Giraffe und dem Wolf. Diese beiden Symboltiere hat Rosenberg zum besseren Verständnis der Problematik in die gewaltfreie Kommunikation eingeführt. Während die Giraffe für Gelassenheit und Verständnis stehe, deren Grundgefühl die Liebe zum Leben sei, erläutert Cornelia Timm, gebe sich der Wolf misstrauisch, habe ein waches Auge für Leistung und Konkurrenz und handle aus einem Grundgefühl der Angst heraus. „Diese beiden Elemente hat jeder von uns in sich“, merkt Südmersen an. Und beide hätten ihre Berechtigung. „Es ist nur wichtig, dass sich die Konfliktpartner bewusst darüber werden, ob sie gerade als Giraffe oder als Wolf agieren – und dass sie die Wahl haben, welche dieser beiden Haltungen sie einnehmen wollen.“

Ob sich die Giraffe oder der Wolf im jeweiligen Menschen durchsetzt? „Das liegt daran, welches Tier dieser Mensch besser füttert“, sagt Südmersen und lächelt vielsagend. Plötzlich sehe ich vor meinem inneren Auge statt meiner beiden sich streitenden Freundinnen zwei viel zu gut genährte, knurrende Wölfe voreinander stehen. Gegen welche Ängste mögen sie wohl ankämpfen? Welche Bedürfnisse befinden sich bei ihnen im Soll? Und ich beschließe: Wenn mir die Ausbildung zur Mediatorin auch derzeit zu aufwendig erscheint, so werde ich auf jeden Fall versuchen, mein Wissen über das konstruktive Streiten zu vertiefen. Für ein harmonischeres Miteinander – und nicht zuletzt für den eigenen Seelenfrieden.

Wer sich zum Mediator ausbilden lassen möchte, erhält weitere Informationen unter anderem auf www.orca-institut.de oder beim Bundesverband Mediation auf www.bmev.de. Neben der berufsbegleitenden Ausbildung werden auch Wochenendseminare und Workshops zum Kennenlernen des Mediationsverfahrens angeboten.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 03.07.2019)