Über mir der sommerliche Abendhimmel und das rauschende Blätterdach der alten Eichen. Um mich herum das urige Ambiente eines historischen Artländer Fachwerkhofs – rustikales Gebälk, derbes Mauerwerk, der grob gepflasterte Innenhof ist über die Jahrhunderte von gut behuften Pferdestärken gefällig geschliffen worden.
Wo früher Generationen von Bauern ihr Tagewerk verrichtet haben, genießen inzwischen Musiker der Extraklasse und ihre Gäste – unter einer wetterfesten Überdachung – eine ganz besondere Festival-Atmosphäre.
Alle zwei Jahr lässt der Musiksommer Artland in dieser spektakulären Kulisse den Nordkreis mit hochklassigen Konzerten unwiderstehlich erblühen. Künstler wie Ute Lemper, Klaus Doldinger oder Max Mutzke haben sich auf dem Hof Sickmann in Badbergen bereits die Dielenklinke in die Hand gegeben. Und längst ist der Event mit seinem charmant bodenständigen Flair kein Geheimtipp mehr – gut also, dass ich mir die Karten für die Highlights meiner Wahl schon vor Wochen gesichert habe.
In diesem Jahr können sich die Besucher vom 19. bis 23. Juni 2019 unter anderem auf Heinz Rudolf Kunze und Gitte Hænning freuen. Besonders gespannt bin ich allerdings auf eine rockige Zeitreise in die wilden 1960er Jahre, live und hautnah eskortiert von den beiden Grande Dames der Beatmusik, deren Namen von meinen Eltern stets mit einem Hauch Ehrfurcht ausgesprochen wurden: Uschi Nerke, Moderatorin des legendären Beat-Clubs von Radio Bremen, und Conny Overbeck, Gründerin und Betreiberin des beim Establishment nicht minder berüchtigten Osnabrücker Hyde Parks, wollen am 21. Juni 2019 über alte Zeiten plaudern und mit den Gästen darüber schwadronieren, wie die Beatmusik das Leben einer ganzen Generation beeinflusst hat. Die passenden Songs dazu liefert das Westfälische Landestheater mit seiner furiosen Beat-Club-Cover-Show.
Und auch wenn es die Artländer gerne schick mögen, dürften die meisten Zuhörer bei einem Konzertbesuch auf dem Hof Sickmann wohlweislich die edlen Ausgehschuhe im Schrank lassen und stattdessen lieber zu bequemeren Tretern greifen. Denn wer beim vergangenen Musiksommer die schmissige Buddy-Holly-Show des Westfälischen Landestheaters oder das mitreißende Konzert der Kubanerin Addys Mercedes miterlebt hat, die den altehrwürdigen Artländer Hof mit ihren karibischen Rhythmen kurzerhand in einen Salsa-Tanzsalon verwandelte, den hat es – buckeliges Bodenpflaster hin, bequeme Bestuhlung her – kaum auf seinem Sitzplatz gehalten. Mich natürlich auch nicht…
Auch Heinz-Rudolf Kunze dürfte dank der unmittelbaren Nähe zum Publikum und der familiären Landhaus-Stimmung leichtes Spiel auf dem Hof Sickmann haben, um den Funken der musikalischen Begeisterung auf sein Publikum überspringen zu lassen. Anders als vor rund zwanzig Jahren, als ich den Deutschrocker, Liedermacher und Gelegenheitsdozenten in einer Turnhalle in Georgsmarienhütte gesehen habe. Nicht beim Training, sondern ebenfalls bei einem Livekonzert. Damals hat es den scharfzüngigen Barden – wenn ich mich richtig erinnere – einige Mühe gekostet, gegen das in der Luft liegende Aroma von Gummisohlen und Achselschweiß anzusingen. Solcherlei Ungemach wird Kunze inmitten des lässigen Lounge-Feelings beim Musiksommer Artland definitiv nicht haben – allenfalls muss er sich gegen den volltönenden Gesang der Amseln und Rotkehlchen im Geäst des Blätterdaches behaupten.
(Erschienen auf www.osnabruecker-land.de/blog )