Kaum haben sich die Bad Iburger und ihre Gäste daran gewöhnt, dass der Große Freeden – wegen der Gefahr herabfallender Äste durch das Eschensterben – seit 2017 für Spaziergänger gesperrt ist, steht die nächste Herausforderung an: Der Lerchensporn geht zurück.
Und das sowohl auf dem Kleinen Freeden als auch im Naturwald Großer Freeden. Die Suche nach den Ursachen für seinen schwankenden Bestand dürfte allerdings auch spannende Einblicke in die Dynamik eines komplexen Ökosystems zutage fördern.
Die Stunde der Nebendarsteller
Wenn die Diva schwächelt, schlägt die Stunde der Nebendarsteller: Wo früher der Hohle Lerchensporn (Corydalis cava) mit seinen opulenten Blütenteppichen die Hänge des Freedens weiß und lila färbte – und allein durch seine überwältigende Präsenz die Touristen von weit her anlockte, belebt zurzeit ein vielgestaltiges, artenreiches und überraschend ausgewogenes Miteinander an Frühblühern die Bühne der Botanik. Frei nach dem Motto „Die Mannschaft ist der Star“ bilden Schlüsselblume, Milzkraut, Sauerklee und Co. nicht länger nur die dezente Kulisse für den über so viele Jahrzehnte unangefochtenen Publikumsliebling, sondern spielen sich durch dessen noch ungeklärten Rückzug zunehmend in den Fokus der Betrachter.
Ein imposantes Naturerlebnis
Leicht schnaufend kämpft sich ein gutes Dutzend Naturfreunde um Wanderführerin Maria Woll den Kamm des Kleinen Freedens hinauf – über unebenes Gestein und zerfurchtes Geläuf. Wie gigantische Säulen ragen die Stämme der Rotbuchen in den Himmel und stützen das kathedralengleiche Gewölbe ihrer ausladenden Kronen. Ein imposantes Erlebnis. Vorbei an strubbeligen Ilex-Sträuchern und vorwitzigen Buschwindröschen. Rechts und links des Hermannsweges lässt der Frühling keinen Zweifel daran, dass er die Natur fest im Griff hat.
Bunte Vielfalt statt purpurne Dominanz
Scharbockskraut und Bärlauch leuchten durch das welke Laub des Vorjahres, hier ein zartes Waldveilchen – und da, endlich! – zwischen Waldbingelkraut und den breiten Blättern des Aronstabs ein rosa-weiß-gesprenkeltes Fleckchen aus Lerchensporn. Sehr apart recken die smarten Lippenblütler ihre etwa fingerlangen, überwiegend purpurfarbenen Blütenstände dem Licht entgegen, welches durch das noch kahle Geäst fällt. Doch anders als sonst präsentiert sich der Lerchensporn derzeit eher reserviert – sein bei vielen Touristen so beliebtes Blütenmeer, das sich noch bis vor wenigen Jahren fast flächendeckend über die Hänge des Freedens erstreckte, sucht man diesmal vergebens.
Lerchensporn als Opfer des Klimawandels?
„Es ist augenscheinlich, dass sich auf dem Freeden etwas verändert“, beschreibt Sabine Böhme, stellvertretende Geschäftsführerin des Natur-und Geoparks TERRA.vita, die derzeitige Entwicklung, „die Frage ist nur: warum?“ Ist der Lerchensporn, der auf dem Kalkgestein des Freedens und in dessen gut beschattetem, feuchtem und nährstoffreichem Mullboden bisher optimale Bedingungen vorgefunden hat, am Ende ein Opfer des Klimawandels? Machen dem anspruchsvollen Geophyten die immer heißeren und trockeneren Sommer zu schaffen? „Der Gedanke liegt nah“, sagt Landschaftsökologin und TERRA.vita-Mitarbeiterin Melanie Schnieders, „doch bis jetzt ist das reine Spekulation.“ Denn wer fundierte Aussagen über den floralen Szenenwechsel im Ökosystem Freeden treffen will, braucht solides Datenmaterial. Um das zuzsammenzutragen, hat TERRA.vita eine Kooperation mit der Hochschule Osnabrück eingestielt. Die Wissenschaftler sollen das Wachstum des Lerchensporns langfristig beobachten – und so dem Rätsel seiner Bestandsfluktuation und der Dynamik seiner lebenslustigen Nachbarschaft auf die Spur kommen.
Rückzugsräume für die Natur respektieren
„Allerdings müssen wir aufgrund der veränderten Umweltbedingungen, die wir Menschen selbst verursacht haben, wohl auch in unserer Region zunehmend mit Veränderungen in der Vegetation rechnen“, gibt Landschaftsökologin Schnieders zu bedenken und unterstreicht: „Pflanzen sind sensible Umweltanzeiger.“ Deshalb liegt ihr und Sabine Böhme der Naturwald Großer Freeden, in dessen Entwicklung der Mensch – zum Beispiel durch das Fällen von Bäumen – nicht mehr eingreifen darf, auch besonders am Herzen. „Der Große Freeden ist einer der ganz wenigen Rückzugsräume für die Natur“, wirbt Schnieders für mehr Verständnis, Pflanzen und Wildtieren wenigsten hier die noch verbleibende Ruhe vor uns Menschen zu gönnen und den Schutzstatus des Großen Freedens zu respektieren. Zumal ja der Kleine Freeden allen Naturinteressierten nahezu das gesamte Spektrum an Frühblühern bietet und auch zu den anderen Jahreszeiten mit seiner Artenfülle und seiner bunten Schönheit die Besucher begeistert. Regelmäßig laden der Natur- und Geopark TERRA.vita und die Stadt Iburg zudem zu geführten Wanderungen über den Kleinen Freeden ein.
Infos zur Freedenblüte
Und dann wäre da ja auch noch das Freedometer, das online unter www.geopark-terravita.de/de/freedometer im Frühjahr über den jeweils aktuellen Zustand der Freedenblüte informiert. Auch wenn dort als Animationspflanze immer noch der Lerchensporn zu sehen ist, verweist Sabine Böhme nachdrücklich auf die gesamte Palette der Frühblüher, die es auf dem Kleinen Freeden zu entdecken und zu genießen gibt. „Wir wollen den Besuchern den kompletten Reichtum unserer Natur nahebringen“, sagt sie – und fügt augenzwinkernd hinzu: „Darum haben wir unser digitales Informationsangebot ja schließlich auch Freedometer und nicht Lerchenspornometer genannt.“
(Erschienen 03/2020 auf www.osnabruecker-land.de/blog)