Warum gesundes Essen für Genussbotschafter tabu ist

Als bunt, spannend oder ausgewogen preisen gewiefte Genussbotschafterinnen wie Natascha (von links) Anna und Eva ihr Essen an, aber niemals als GESUND…! Fotos (5): Ulrike Havermeyer

Damit Kinder Lust auf eine ausgewogene Ernährung entwickeln, bietet die Sarah-Wiener-Stiftung kostenlose Fortbildungen für Erzieherinnen und Pädagogen zum Genussbotschafter an. Erster Tipp: Nenne gesundes Essen niemals „gesund“, wenn du willst, dass Kinder sich dafür begeistern…

Vor dem Frühstück wird erstmal Butter geschüttelt: Etwas Sahne ins Glas füllen, Deckel drauf und dann – Shake it, Baby! – bis der Bizeps brennt. Nach etwa fünf bis zehn Minuten Einsatz hat sich die Sahne tatsächlich in einen Klumpen Butter verwandelt, der in einer kleinen Lache Molke schwimmt. Mit etwas Salz oder frisch gezupfter Petersilie, Holunderblüten oder Zitrusschale serviert: köstlich!

Shake it, Baby! Butter selber machen ist ganz schön anstrengend, macht aber – daran lässt Erzieherin Isabel keinen Zweifel – auch viel Spaß!

„Kindern ist es völlig egal, ob ihr Essen gesund ist – Hauptsache, es schmeckt“, gibt Franziska Bettin vom Trainerteam der Initiative „Ich kann kochen“ gleich zu Beginn des Seminars im Haus der Familie in Münster zu bedenken – und erntet gesichterweise wissendes Lächeln und das zustimmende Nicken der Kursteilnehmer. Die meisten von ihnen sind als Erzieherinnen in einem Kindergarten oder einer Krippe tätig oder arbeiten als Hauswirtschafterin in einer Kita-Küche. Auch ein angehender Grundschullehrer ist dabei.

Im Mittelpunkt steht immer das Kind

Bettin, ausgebildete Ökotrophologin und Erzieherin, serviert uns zunächst eine bunte Platte voller anregender Theorie-Häppchen: Solide recherchiertes Hintergrundwissen garniert mit einer prickelnden Auswahl praxiserprobter Methoden, die allesamt Wert auf Eines legen: Im Mittelpunkt aller Überlegungen und Aktionen des pädagogischen Kochens stehen immer das Kind und seine Bedürfnisse.

Brotvariationen mit selbt geschüttelter Butter – mal mit Knoblauch, mal mit Möhrenraspeln und Zitronenabrieb verfeinert.

Schmeckt ungewohnt, aber gar nicht mal so schlecht: Zum Verkosten warten verschiedene Sorten Brot – zunächst im schlichten Zustand ohne Aufstrich – auf uns: grob geschrotet oder fein gemahlen, mit Körnern oder ohne. Das eine fühlt sich eher trocken an und lässt sich mit der Hand fein zerbröseln, das andere ist von pappiger Beschaffenheit, duftet aber angenehm würzig. Wer sich ein Häppchen bei geschlossenen Augen in den Mund schiebt stellt überrascht fest, dass sich das Geschmackserlebnis verändert. Für eine Verkostung, sagt Bettin, eignen sich für Kinder auch alle anderen Lebensmittel (Obst, Gemüse, Nüsse, Joghurt) – wichtig ist nur, dass eine ansprechende Auswahl zusammengestellt wird.

Mit Lebensmitteln lässt sich gut Flirten

„Ein neues Lebensmittel kennen zu lernen, hat durchaus etwas mit Flirten zu tun“, wirbt die Genusstrainerin dafür, sich Zeit zu lassen und sich der Kost schrittweise anzunähern. „Manchmal muss man zehn oder 15 oder sogar 20 Mal probieren, riechen und tasten, bevor man eine fremde Gemüsesorte oder eine ungewöhnlich zubereitete Frucht mag“, sagt sie, „und natürlich kann es nicht nur Kindern, sondern auch uns Erwachsenen passieren, dass wir uns selbst nach Wochen oder Monaten nicht in das neue Lebensmittel verlieben. Franziska Bettin lächelt: „Ist doch nicht schlimm, oder?“ Schließlich ist die Auswahl an Nahrung schier unbegrenzt.

Genusstrainerin Franziska Bettin (Mitte) gibt Margarete (links) und Lena Tipps für das pädagogische Kochen.

Während Natascha und Anna, beide Erzieherinnen, in der Seminarküche damit beschäftigt sind, Äpfel, Möhren und Gurken für einen Kichererbsensalat zu würfeln, berichten sie von ihren Erfahrungen aus dem Kita-Alltag: Viele Eltern achteten durchaus auf eine vielseitige Ernährung, stellen sie fest, „aber es gibt auch Kinder, die statt eines Butterbrotes regelmäßig eine Tüte Chips mitbekommen und eine Flasche Cola als Getränk.“ Und deren Eltern überhaupt erst einmal zu erreichen, geschweige denn sie dazu zu bringen, für ein abwechslungsreiches Frühstück zu sorgen, das sei sehr schwierig. „Einmal hatte ein Kind, nachdem ich mit dem Vater über ausgewogene Ernährung gesprochen hatte, am nächsten Tag statt der üblichen Tüte Chips eine Tüte Bacon-Chips dabei…“, erzählt Eva und weiß selber nicht so genau, ob sie darüber lachen oder weinen soll.

Süß geht immer. Das liegt daran, dass wir als Kinder auf den Geschmack der Muttermilch geprägt werden und diesem als lebenserhaltend vertrauen:  Hauswirtschafterin Anna bereitet mit sichtlicher Leidenschaft eine Frucht-Quark-Nachspeise zu.

„Kinder kommen nicht mit einem angeborenen Wissen über die richtige Ernährungsweise auf die Welt“, erklärt uns Bettin, „sondern müssen erst lernen, wie und was sie essen können. Unsere Aufgabe ist es, sie auf diesem Weg zu begleiten.“ Um ihnen den Spaß am genussvollen Essen zu vermitteln, erweisen sich gut gemeinte Belehrungen von Eltern und anderen Erwachsenen allerdings wie so oft als kontraproduktive Spaßbremse. Statt mit erhobenem Zeigefinger auf die Bedeutung von Broccoli, Spinat und Co. für unsere Gesundheit zu pochen, bereitet der pfiffige Genussbotschafter das Thema Ernährung stattdessen mit leichter Hand zu. Spielerisch. Wild. Laut. Lecker. Und mit allen Sinnen. Denn nur wem es gelingt, seine junge Klientel zu motivieren, selbst aktiv zu werden und dabei eine Leidenschaft für das Zubereiten von Speisen zu entwickeln, erreicht auf lange Sicht, dass Kinder und Jugendliche Lust bekommen und behalten, sich ausgewogen zu ernähren – nicht unbedingt weil es gesund ist, sondern einfach nur weil es Spaß macht und schmeckt.

Informationen über das kostenlose Fortbildungsangebot „Ich kann kochen“ gibt es im Internet unter ichkannkochen.de. Die Initiative der Sarah-Wiener-Stiftung wird von der Barmer unterstützt und richtet sich schwerpunktmäßig an Erzieherinnen und Pädagogen, die im Kindergarten- und Grundschulbereich tätig sind. Regelmäßig werden außer in Münster auch kostenlose Fortbildungen in Osnabrück angeboten.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 03.04.2019)