Warum Verwaltung einen Riesenspaß machen kann

Marga Pröhl leitet das Europäische Institut für öffentliche Verwaltung (EIPA) in Maastricht. Foto: Ulrike Havermeyer

Hoch kompliziert und viel zu abstrakt? Für manche gleicht die öffentliche Verwaltung einem Labyrinth, in dem der Bürger sich mühsam seinen Weg suchen muss. Die Vorstellung von langen, in kaltes Neonlicht getauchten Fluren, Gummibäumen und nach Auskunft suchenden Bürgern. „Verwaltung“, entgegnet Marga Pröhl, „ist hochspannend und ständig in Bewegung, genauso wie die Gesellschaft selbst. Und manchmal“, fährt sie fort und lächelt charmant, „macht die Arbeit mit und für Verwaltungen sogar einen Riesenspaß.“

Marga Pröhl stammt von einem Bauernhof in Gehrde. Heute leitet die 58-Jährige das Europäische Institut für öffentliche Verwaltung (EIPA) in Maastricht, Niederlande. Wenn jemand weiß, wie, warum und ob Verwaltung funktioniert, dann sie. Am 20. September spricht die Fachfrau für Administration in der Artland Akademie in Quakenbrück über ihre Arbeit.

Frau Professor Pröhl, welcher Weg führte Sie aus Gehrde zu Fragen der europäischen Verwaltungswelt?

Für gesellschaftspolitische Fragen sowie für Management und Organisation habe ich mich schon während meiner Zeit am Artland Gymnasium in Quakenbrück interessiert.

Da war es also nur logisch, dass Sie ein Studium für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften aufnahmen?

Ja, das war schon irgendwie ganz klar für mich. Während meines Studiums an der Universität Osnabrück habe ich dann viel mit Gewerkschaften zusammengearbeitet und dort die Auswirkungen von Führung und Management studiert. Mich hat interessiert, wie sich Menschen in komplexen Strukturen erfolgreich und zugleich sinnvoll organisieren können.

Aber neben dem Interesse an Management und Organisation hatten Sie eine weitere Leidenschaft: das Reisen. Hat das Ihren Werdegang beeinflusst?

Auf jeden Fall. Einer meiner Wünsche war es, unbedingt einmal Indien kennen zu lernen und ausführlich zu bereisen. Nach meinem Diplom schlug mir mein Professor vor, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und mich um ein Auslands-Stipendium zu bewerben. „Wenn du in Indien arbeitest und forscht, lernst du viel mehr über das Land und die Leute, als wenn du als Tourist dorthin fährst“, hat er gesagt. Und er hatte recht.

Womit haben Sie sich in Indien beschäftigt?

Vor allem habe ich dort Studenten, Professoren und Führungskräfte im Bereich Wirtschaft und Management befragt. Diese Untersuchungen waren dann die Grundlage für meine Dissertation. Und als die fertig war – da wollte ich wieder ins Ausland.

Und wieder hatten Sie die Chance, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden?

Ja, allerdings. Diesmal ging es im Auftrag der Vereinten Nationen für fünf Jahre in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. Von dort aus habe ich verschiedene Projekte in ganz Afrika betreut: Dazu gehörte der Aufbau von Managementinstituten wie auch die Organisation der Ausbildung von Verwaltungsbeamten: Ich war verantwortlich für die Konzeption, die Finanzierung und die Kontrolle der Projekte, musste der UNO in New York Bericht erstatten und dann wieder mit den Regierungen vor Ort verhandeln. Das war eine echte Herausforderung!

Indien, Afrika – ein ziemlich beachtliches Abenteuer. Was hat ihre Familie dazu gesagt?

Wir haben regelmäßig miteinander telefoniert und Briefe geschrieben. Das Internet war in den 80er Jahren ja noch nicht soweit. Mein Mann hat mich nach Indien und Afrika begleitet. Und schließlich haben wir unsere Tochter Sarah in Äthiopien adoptiert. Zwei Jahre später wurde unser Sohn Julian geboren.

Und mit einem Mal mussten Sie dann ihr berufliches Interesse an komplexen Organisationsmustern mit einer eigenen, dynamischen Familienstruktur unter einen Hut bringen…

Das war eine anstrengende Zeit! Die Kombination von Familie und Beruf kann nur funktionieren, wenn man ein zuverlässiges Netzwerk um sich hat: Ohne meinen Mann und meine Mutter wäre es nicht gegangen. Dazu kam, dass die Bertelsmann Stiftung mit Sitz in Gütersloh gerade eine Stelle ausgeschrieben hatte, die zu diesem Zeitpunkt perfekt für mich war.

Fünf Jahre waren Sie in einer Leitungsfunktion bei der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh tätig. Was genau war daran das Perfekte für Sie?

Dort konnte ich endlich mein Wissen über Organisation und Management von komplexen Strukturen, das ich über all die Jahre gesammelt hatte, in Projekten mit der öffentlichen Verwaltung nutzen und etwas bewirken – Anstöße geben.

Es wurde also konkret?

Ja, genau: Die öffentliche Verwaltung war Anfang der 90er Jahre in einem tiefgreifenden Reformprozess. Bürgerorientierung, Effizienz und Kostenbewusstsein waren die wichtigsten Themen. Die Bertelsmann Stiftung hat versucht, Standards zu entwickeln, über die Verwaltungen – zum Beispiel die Kommunen – sich miteinander vergleichen und in einem Quasi-Wettbewerb voneinander lernen konnten. Das gab es ja damals noch gar nicht. Wir haben dann beispielsweise den „Bertelsmann Preis für die beste Kommune der Welt“ ausgelobt.

Und wie haben die öffentlichen Verwaltungen darauf reagiert?

Unterschiedlich. Die, die im Bundes- oder im internationalen Vergleich vorne lagen, waren natürlich stolz und haben das dann auch für ihre öffentliche Selbstdarstellung nutzen können. Und von denen, die weiter vorne lagen, konnten sich die anderen etwas abschauen. Damals gingen die Preise übrigens an die heute vom Erdbeben verwüstete Stadt Christchurch in Neuseeland und an Phoenix, Arizona, USA. Der Stadtrat von Christchurch hatte zum Beispiel ein vorbildliches Planungsinstrument entwickelt, das die Verwaltungsziele der Stadt für die Bürger äußerst transparent darstellte und überprüfbar machte.

Der Blick über den nationalen Tellerrand war also auch von Gütersloh aus möglich?

Nationale, regionale und internationale Vergleiche bildeten häufig die Grundlage meiner Arbeit. Es wäre doch verrückt, das Rad jedes Mal neu erfinden zu wollen! Die Bertelsmann Stiftung hat gemeinsam mit Experten Kriterien zu einem bestimmten Thema – zum Beispiel Schule, Bildung oder Integration – erarbeitet, die einen möglichst objektiven Vergleich der unterschiedlichen Lösungsansätze zuließen.

Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Von Kanada haben wir wichtige Impulse erhalten, was die Aus- und Weiterbildung von Lehrern angeht. In Dänemark gibt es interessante Wege in der allgemeinen beruflichen Ausbildung. Und von den Niederländern haben wir uns in Deutschland eine Menge abschauen können, was die Verschlankung von Bürokratie betrifft. Internationale Vergleiche sind eine Quelle der Inspiration für hiesige Einrichtungen.

2004 hat der damalige Innenminister Otto Schily Sie dann ins Bundesinnenministerium nach Berlin geholt.

Ja, dort habe ich an der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung auf Bundesebene mitgewirkt. Mein Team und ich haben unter anderem das Thema Bürokratieabbau bearbeitet. Wir haben Merkmale zusammengestellt, nach denen sich Bürokratie bemessen lässt: Was kostet beispielsweise bei bestimmten Gesetzen die Berichtspflicht von Unternehmen? Wie teuer sind die Folgen für die Kommunen, die Unternehmen, die Bürger? Das alles kann man mit Standardmodellen berechnen – und dann muss man auf politischer Ebene entscheiden: Ist es uns das wert? Oder kann ein Weniger an Folgekosten erreicht werden?

2007 wurden Sie während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit dem Vorsitz einer Arbeitsgruppe zur Verwaltungsmodernisierung auf europäischer Ebene beauftragt. Diese Pflicht haben Sie offenbar so überzeugend erfüllt, dass die deutsche Regierung Sie als Kandidatin für das Amt der Direktorin des EIPA ins Rennen schickte. Sie gewannen die Wahl und befinden sich mittlerweile bereits in ihrer zweiten Amtsperiode. Womit beschäftigt sich das EIPA, und was reizt Sie an dieser Aufgabe?

Das EIPA kümmert sich mit seinen rund 100 Mitarbeitern um die Nöte der Verwaltungen in Europa. In unserer Zentrale in Maastricht sowie in unseren Büros in Barcelona und Luxemburg führen wir Fortbildungen für die Verwaltungsbeamten unserer Mitgliedsstaaten durch: auf europäischer Ebene, aber auch auf Bundes- und Länderebene bis in die kommunalen Strukturen hinein. Wir informieren über den aktuellen Stand der europäischen Verwaltungsrichtlinien, Gesetze und Verordnungen und geben Hilfestellungen für die Praxis. Wir forschen, wir beraten und wir vermitteln das Know-How, wie die Beschlüsse der Europäischen Union praxisorientiert umzusetzen sind.

Noch ein Wort zur Artland Akademie?

Ich halte es für eine tolle Idee, Leute miteinander ins Gespräch zu bringen, um das Wissen aus der Region zu bündeln. So können neue Initiativen und Netzwerke entstehen, die wiederum der regionalen Entwicklung zu Gute kommen. Ich hoffe sehr, in Quakenbrück einige der früheren Schulkameraden sowie Freunde und Bekannte wieder zu sehen. Es ist sicher auch eine Gelegenheit, interessante neue Bekanntschaften zu machen.

(Erschienen in: Bersenbrücker Kreisblatt, 12.09.2013)