Die Erde vibriert. Der Klee zittert. Im leichtpfötigen Galopp nimmt Floh souverän die erste Hürde. Nebenher trabt die fünfjährige Joy und feuert ihren mit Elan an der langen Leine über den Rasen fliegenden Schecken begeistert an. Jörg Wahlbrink, stellvertretender Vorsitzender des Kaninchenzuchtvereins W 817 Mettingen, beobachtet aufmerksam, wie das von sportlichem Ehrgeiz und Funktionslust gleichermaßen bewegte Paar die acht Sprünge sauber hintereinander zu nehmen versteht. „Der zieht voll durch!“, raunt Wahlbrink anerkennend. Floh ist derzeit das beste Pferd – pardon, Kaninchen im Stall des Lokalvereins.
Neuer Trendsport aus Skandinavien
„Kaninhop“ heißt der Trendsport, der aus Skandinavien nach Deutschland herüber gehüpft ist und der, wie „Springtrainerin“ Kerstin Creed ergänzt, im Ruhrgebiet schon wesentlich verbreiteter ist als in der hiesigen Haushasenszene. Als sie vor einem halben Jahr bei der Landesverbandsschau in Hamm zum ersten Mal die hüpfenden Langohren vorgeführt bekam, erinnert sich Creed, sei sie sogleich schwer begeistert gewesen. „Besonders den Kindern konnte man ansehen, wie viel Spaß ihnen die Bewegung mit ihren Kaninchen gemacht hat.“ Ob das nicht auch etwas für ihre Vereinskollegen sein könnte, fragte sich die Tierfreundin und stellte ihnen das Konzept vor.
Für Kinder und Kaninchen
„Die waren sofort Feuer und Flamme“, erinnert sich die Westerkappelnerin und schmunzelt ob der beinahe schon überschwänglichen Unterstützung aus den Vereinsreihen: Schließlich mussten jede Menge Mini-Hindernisse geschreinert werden – alles fachgerecht und dem offiziellen „Kaninhop-Reglement“ entsprechend: die Stangen schön leicht und abgerundet, damit sich die Tiere nicht an ihnen verletzen. Die Hindernisständer mit sanft geschwungenen Auflagen – ähnlich wie bei den Kollegen Huftieren – aus denen die Stangen beim Touchieren mit den Pfötchen – oder beim Kontakt mit dem Hasenwanst – leicht heraus rollen. Die Mühe dürfte sich aus Vereinssicht aber durchaus lohnen. „Dieser Sport spricht gerade die Jüngeren sehr an“, berichtet Jörg Wahlbrink zufrieden. In Zeiten, wo es kaum einen Verein gibt, der nicht über Nachwuchssorgen klagt, kommt den Rassezüchtern das kind- und kaninchenkompatible Angebot daher durchaus recht.
Auch der Tierarzt gibt grünes Licht
Auch der Westerkappelner Tierarzt Dr. Ulrich Wibbeler kann dem Kaninhop durchaus etwas abgewinnen: „Aus Tierschutzgründen spricht nichts gegen diese Form der Bewegung, solange die Tiere freiwillig springen“, sagt er und ergänzt, dass Training, Auslauf und Beschäftigung „solange es nicht unter Zwang geschieht sicherlich besser für ein Kaninchen ist, als den ganzen Tag im Stall zu herum zu sitzen.“ – „Bei uns steht auf jeden Fall die Freude an der gemeinsamen Beschäftigung im Vordergrund“, unterstreicht Kaninhop-Initiatorin Kerstin Creed: „Und zwar sowohl für die Kinder und Jugendlichen als auch für die Kaninchen.“ Die Pioniere des neuen Teamsports in der Region sind neun Mädchen aus Westerkappeln und Mettingen zwischen fünf und 13 Jahren, die derzeit den harten Kern der vereinsinternen Trainingsgruppe bilden. „Aber die Mütter und Väter schauen schon sehr interessiert zu“, munkelt Creed und grinst. Viele der erwachsenen Züchter scheinen nur noch einen kleinen Hopser entfernt, auch selbst mit ihrem vierbeinigen Partner aktiv zu werden.
Geduld, Vertrauen und Freude an der Bewegung
Einer davon ist Johannes Wibbelmann aus Ibbenbüren, Landwirt im Ruhestand. Er sitzt am Rande der Hindernisstrecke und amüsiert sich köstlich. Den Spaß wohl ahnend, hat er seinen rappschwarzen „Smiley“ auch schon mal mitgebracht. Der mümmelt zu Füßen seines Besitzers lässig ein paar Grashalme und hat für das merkwürdige Treiben, das seine Kollegen da veranstalten, nur einen beiläufigen Blick übrig. „Smiley schaut sich das Kaninhop heute erstmal an“, erläutert Kerstin Creed und ergänzt: „Bevor er mitmachen kann, sollte er mit dem ganzen Drumherum vertraut sein.“ Diese Worte könnten wohl auch Johannes Wibbelmann gelten. Wer weiß – vielleicht werden sich Herr und Hase ja einig und versuchen ihr Glück beim nächsten Treffen der Gruppe. Einmal pro Woche wird geübt – jedes Mal im Garten eines anderen Vereinsmitglieds.
Entspannt über die Ziellinie
Während die zehnjährige Carla dem neugierig Witterung aufnehmenden Wicky noch das Brustgeschirr richtet, manövriert Alina, 13 Jahre, ihren Ferb bereits geschickt über die Sprünge. Hier und da purzelt eine Stange ins Gras, aber der stattliche „Satinelfenbein Bock“ mit den blauen Augen scheint über solchen – am Ende doch schnöden – Dingen wie Leistungsdruck und Rekordjagd zu stehen. Und Alina zum Glück auch. Entspannt passieren die beiden die Ziellinie. „Sehr schön“, lobt Jörg Wahlbrink. Er und Betreuerin Kerstin Creed überprüfen die Abmessungen des Parcours, legen heruntergefallene Stangen wieder in die Auflagen – und geben natürlich Tipps und Hilfestellung. „Wenn sie erst einmal begriffen haben, worum es geht, machen die meisten Kaninchen das von ganz alleine“, sagt Wahlbrink. „Man braucht natürlich viel Geduld und Verständnis für sein Tier – und jede Menge Leckerlis“, verrät er und betont: „Mit Druck läuft bei uns gar nichts.“
(Erschienen in: Westfälische Nachrichten, 26.07.2013)