Die Initiative „Religions for Peace“ lädt zu einer Führung durch die Wersener Heide ein. Den mehr als 50 Teilnehmern eröffnen sich dabei überraschende Einsichten, wie Naturschutz funktioniert – oder auch nicht funktioniert.
Landwirt Manfred Hollmann aus Seeste hält sich sichtlich zurück. Aber was da vor ein paar Jahren in der Wersener Heide passiert ist, das sei so einfach nicht richtig gewesen: Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben als damalige Verpächterin der Flächen habe das Wasser in den Gräben einfach mir nichts, dir nichts, aufstauen lassen und dadurch die Wiesen für die Erntemaschinen der Pächter unbefahrbar gemacht. „Da hätte man doch vorher mit uns Landwirten drüber reden können“, murrt er. Bundesförster Rainer Schmidt, der für die rund 1000 Hektar große Liegenschaft, die sich über die Gemeinden Lotte, Westerkappeln und Teile des Stadtgebietes Bramsche erstreckt, zuständig ist, blickt ebenfalls reichlich zerknirscht drein, als er an den Fauxpas erinnert wird. „Ja, das mit der Wiedervernässung war ein Fehler, das haben wir damals übers Knie gebrochen“, geizt er nicht mit Selbstkritik, „da haben wir nicht intensiv genug das Gespräch gesucht.“
Mittlerweile ist das anders. Alle, die irgendwie mit der Wersener Heide zu tun haben – Vertreter von Ämtern und Behörden, von den Kommunen, von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (in deren Zuständigkeit die Wersener Heide vor knapp zwei Jahren als Nationales Naturerbe übergegangen ist), die Landwirte als Pächter, Naturschützer, Mitglieder der Wasserverbände – sie alle pflegen einen regen Austausch miteinander. Und wenn man an diesem Morgen, an dem viele von ihnen sich unter die anderen Gäste mischen und zusammen über das Gelände des ehemaligen Achmer Flug- und späteren Truppenübungsplatzes stiefeln, in ihre Gesichter blickt, dann meint man sogar einen Hauch von Vertrauen, von gegenseitigem Respekt, von Einigkeit über die gemeinsamen Ziele zu spüren. Und Rainer Schmidt sagt: „Die Landwirte hier vor Ort sind unsere wichtigsten Partner im Naturschutz – ohne die Landwirte läuft gar nichts.“ Selbst über Manfred Hollmanns Lippen huscht in diesem Moment ein Lächeln.
Gemeinsam Verantwortung übernehmen
Den Dialog suchen, Verständnis für die Sichtweise des Anderen entwickeln, gemeinsam Verantwortung übernehmen – der eine oder andere Exkursionsteilnehmer um Projektinitiator Reinhold Mokrosch, Vorsitzender des „Runden Tisches der Religionen“ und der „Religions for Peace“ in Osnabrück, dürfte überrascht gewesen sein, welche praktische Gemeinsamkeiten Naturschutz und Religion im reinen Alltagsgeschäft verbinden. Auch inhaltlich lassen sich schnell Parallelen finden: „Der Wert der Vielfalt, der Erhalt der Schöpfung, die Nachhaltigkeit – das sind genau unsere Themen“, betont Revierleiter Schmidt. Und eben auch die Frage: Wie gehen wir Menschen, die wir für unsere Erde verantwortlich sind, miteinander um, wenn wir von unterschiedlichen, manchmal sogar gegenläufigen Interessen angetrieben werden?
Wer sich mit solcherlei tiefschürfenden Fragen von fast schon philosophischer Natur beschäftigt, tut dies meistens in gepflegten Diskussionsrunden, bei Fachvorträgen oder wählt zur Sinnsuche ein eher religionsgeprägtes Umfeld. Doch ganz weit draußen, im Reich von Kiebitz und Großem Brachvogel, zwischen Waldhyazinthe und Tausengüldenkraut, Besenheide und Mondraute scheinen sich manche Erkenntnisse besonders anschaulich zu offenbaren.
Unter Panzerketten entsteht ein Lebensraum
Zum Beispiel: Wie wirken sich Krieg oder Frieden auf eine Landschaft aus? Darüber hat die Wersener Heide einiges zu erzählen: Die per Zwangsenteignung der Landwirte von den Nationalsozialisten in ihren Besitz gebrachten Flächen dienten während des Zweiten Weltkrieges als Militärflughafen „und wurden intensiv bebombt“, berichtet Schmidt. Zwar seien zumindest die zugänglichen Bereiche später „spatentief von der Kampfmittelräumung abgesucht“ worden, aber vieles schlummere noch immer im Boden. Und wird es auch wohl weiter tun. „Es gibt Dinge, die kann man nicht zurückdrehen“, sagt Werner Wahmhoff, Professor für Agrarwissenschaften und fachlicher Leiter der DBU Naturerbe GmbH. „Das ist ein Erbe der Geschichte, mit dem wir klarkommen müssen.“ Deshalb sei das Gelände für die Öffentlichkeit gesperrt und nur über geführte Wanderungen zugänglich.
Die jüngere Geschichte – die Wersener Heide wurde von den Britischen Streitkräften bis 2012 als Truppenübungsplatz „Achmer Training Area“ genutzt – hat anschließend dazu geführt, dass unter den Ketten der Panzer ein karger, überwiegend offener Lebensraum für seltene Spezialisten entstanden ist, der sich durch einen, selbst die Experten von der DBU verblüffenden Artenreichtum auszeichnet. Allerdings: „Wir sind hier nicht im Regenwald“, gibt Wahmhoff zu bedenken, „die Vielfalt in der Wersener Heide ist nicht auf natürliche Weise entstanden, sondern ist ein Produkt des Menschen.“
„Wir sind hier nicht im Regenwald“
Entsprechend müsse also auch der Mensch dafür Sorge tragen, dass dieses wertvolle Gebiet erhalten bleibe. „Der Naturschutz muss hier aktiv gemanaget werden“, sagt Wahmhoff, „wird eine Kulturlandschaft sich selbst überlassen, führt das zu Misserfolgen.“ Und hier kommen nun Manfred Hollmann, Rainer Schmidt und die Früchte des Dazulernens ins Spiel. Damit Hollmann und seine Kollegen aus der Landwirtschaft die feuchten Wiesen, sobald Brachvogel, Bekassine und Co. ihre Küken dort aufgezogen haben, mit trockenen Reifen mähen können und dadurch verhindern, dass sich der Wald langsam aber sicher ausbreitet, setzt Bundesförster Schmidt mittlerweile statt auf eine stetige auf eine steuerbare Vernässung der Grünflächen im Bereich Vogelpohl. Geregelt wird der Wasserstand künftig über ein Stausystem, das der örtliche Wasserverband zurzeit anlegen hilft. Auch dessen Vorsitzender, Landwirt Heinz Cyrull, bewirtschaftet einige Flächen in der Wersener Heide und hat sich ebenfalls der Wandergruppe angeschlossen. Einige Streckenabschnitte spaziert er in einem Grüppchen zusammen mit Hollmann, Schmidt und Wahmhoff. Sie reden miteinander.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 12.09.2018)