Während Nummer 95 das Vergnügen schon hinter sich hat und mit geradezu beschwingten Schritten das Karussell verlässt – das ein bisschen an ein am Boden liegendes „Round up“ in Super-Slow-Motion erinnert, wartet Nummer 59 brav an der automatischen Pforte auf den nächsten freien Platz. 24 Tiere ziehen, Seite an Seite, in bedächtigem Tempo an azurblau gestrichenen Wänden vorbei. Auf dem Jahrmarkt der Wiederkäuer brauchen keine Tickets gelöst zu werden: Die rund 160 Vierbeiner, die täglich zweimal in das Melkkarussell von Elke und Günter Wieligmann einsteigen, zahlen in Naturalien: Zwischen 30 und 35 Liter Milch produziert eine Durchschnittskuh am Tag. Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen des Milchvieh-Zuchtbetriebs der Familie Wieligmann in Sennlich.
Ein fairer Milchpreis motiviert
Kälber füttern. Gülle fahren. Grundfutter mischen. Liegebuchten ausmisten. Ställe einstreuen. Grassilage einholen. Getreide spritzen. Oder eben: melken. Zweimal am Tag. Jeder Durchgang dauert – je nachdem wie sich die Fahrgäste benehmen, zwischen 75 und 100 Minuten. Danach den Melkstand gründlich ausspritzen und das Melkzeug säubern. Wer 185 Kühe und um die 160 Tiere an weiblicher Nachzucht, sprich: Kälber und Jungtiere, zu versorgen und dazu noch 120 Hektar Ackerland zu bewirtschaften hat, der muss die täglichen Aufgaben sauber strukturieren.
Landwirtschaftsmeister Günter Wieligmann kann das. Seine Frau Elke, ebenfalls Meisterin der Landwirtschaft und seit 1999 Vorsitzende des landwirtschaftlichen Ortsvereins Westerkappeln, kann das auch. Sonst würden die beiden wohl kaum so entspannt lächeln, während sie vom Zentrum ihres Karussells aus die Melkzeuge an die Kuheuter stecken. „Die Arbeit mit den Tieren macht Spaß“, sagt Elke Wieligmann und dippt die Zitzen von Nummer 93 in den Becher mit dem Reinigungsschaum, „zumal, wenn ein fairer Preis für die Milch bezahlt wird.“
Infos laufen über codierte Halsbänder
Klack! Ausstieg für Nummer 3, eine schlanke Schwarzbunte mit versonnenem Blick, die nun wiederkäuend auf die Lauffläche des offenen Kuhstalls zurück trödelt und auf den stets mit Grundfutter gefüllten Trog zusteuert. Derweil betritt nach einem neuerlichen „Klack!“ – diesmal von der Eingangspforte – „Sirena“ das Karussell und wird von Elke Wieligmann schmunzelnd begrüßt: „Na, kommst du auch mal endlich?“ Die ersten Milchstrahlen melkt die Fachfrau mit der Hand in den Ausguss. „Aus hygienischen Gründen“, erklärt sie: „Da könnten Keime drin sein.“ Anschließend werden die Zitzen und das Euter der Kuh gereinigt und dann das Melkzeug angeschlossen. Ab jetzt übernimmt die computergesteuerte Elektronik: An den 24 Terminals, die die Daten von den codierten Halsbändern der Kühe ablesen, lässt sich jederzeit sehen, welches Tier da gerade gemolken wird, wann dessen jüngstes Kalb geboren ist und ob die aktuelle Milchmenge passt. „Wenn das Tier auffällig weniger Milch gibt als üblich, blinken die Warnleuchten und wir wissen sofort, dass hier etwas nicht stimmt.“
Individuell auf jedes Tier abgestimmt
Nummer 151 geht. Nummer 71 schlurft hinein. Seit sieben Jahren betreiben die Wieligmanns ihr „Fahrgeschäft“ – das einzige Melkkarussell in Westerkappeln. Und ganz anders, als ich mir die Sache vorgestellt hatte, geht es hier mitnichten so turbulent zu wie auf einem Rummelplatz. „Wir haben uns damals für ein Melkkarussell und gegen einen festen Melkstand entschieden“, erläutert Elke Wieligmann, „weil die Kühe hier gleichmäßiger hineinkommen und der Ablauf daher viel ruhiger ist.“
Mit einem sanften „Wutsch!“ gleitet das Melkzeug von Sirenas Euter und automatisch in die Ausgangsposition zurück. 15,5 Liter zeigt das Terminal an. Heute Morgen waren es 20 Liter. Günter Wieligmann nickt zufrieden. Er tunkt Sirenas Zitzen in einen grünen „Hygiene-Dip“, der sich wie ein Schutzfilm über ihre Haut legt. Nach zwölf Minuten ist die Runde auf dem Karussell vorbei. Sirena steigt aus und nimmt freudig Kurs auf eine der automatischen Futterstation, an denen jedes Tier seine individuelle Ration an Kraftnahrung erhält. Aber immer dort, wo es die leckersten Dinge gibt, verstopfen irgendwelche Rindviecher den Zugang. Typisch Jahrmarkt eben …
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 24.06.2014; Westfälische Nachrichten, 24.06.2014)