Die ökumenischen Zaunkieker aus Lotte und Westerkappeln machen sich für gerecht gehandelte Produkte stark und laden zum Ausprobieren der Zutaten zu einem Fair-Trade-Dinner ein.
Ob bei Aldi, Lidl oder Edeka, ob beim Ökobauern oder auf dem Wochenmarkt: Zwischen Schokoriegel und Biozwiebel ist jede Menge Platz für politische Grundsatzentscheidungen. Denn alle Lebensmittel, die im Einkaufskorb und also später in unserem Magen landen, haben schließlich ihre eigene Geschichte. Sämtliche Rohstoffe stammen von irgendwo her, sind auf eine bestimmte Art von bestimmten Personen unter bestimmten Bedingungen angebaut, behandelt, gehegt, geerntet, weiterverarbeitet, veredelt, verpackt, gehandelt und transportiert worden.
Selbst als konsumkritischer Konsument, der redlich bemüht ist, sich einen nachhaltigen, schadlosen und gesellschaftsfähigen Weg durch den Dschungel aus Vernetzung und Globalisierung zu bahnen, kann man gewaltig ins Straucheln geraten. Chemische Zusätze, Ausbeutung, Kinderarbeit, Massentierhaltung – es gibt etliches und gäbe wohl noch einiges mehr zu bedenken… Während ich beim Schlurfen durch die Gänge des örtlichen Supermarkts das Mantra der Müllvermeidung und regionalen Produktion vor mich hinmurmele, lenken die Zaunkieker den Blick auf gerechten Handel und die Unterstützung von Eine-Welt-Läden.
„Die meisten trauen sich da nicht richtig ran“
„Nahezu die gesamten Zutaten, die wir für unsere Gerichte verwendet haben, kommen aus dem Eine-Welt-Laden“, erklärt Gertrud Bodenstein und drapiert eine Platte appetitlich angerichteter Energiekugeln (Chia-Samen, Haferflocken, Cranberrys, Haselnüsse, Kokosraspeln) auf der festlich gedeckten Tafel im Westerkappelner Reinhildis-Haus, „alle sind fair gehandelt, bestimmt 90 Prozent sind außerdem biologisch angebaut.“ Bei Unterhaltungen mit Bekannten habe sie es immer wieder erlebt, dass viele ihrer Zeitgenossen dem Fair-Trade-Gedanken zwar aufgeschlossen gegenüber stünden. „Aber die meisten trauen sich da nicht richtig ran“, stellt die Westerkappelnerin fest, „weil sie nicht wissen, wie die Produkte aus dem Eine-Welt-Laden schmecken oder unsicher sind, wie sie zubereitet werden.“
Weil ein echter Zaunkieker auf der Suche nach neuen Erkenntnissen nicht nur über seinen eigenen Zaun kiekt, sondern zugleich auch andere zum Blick über den Tellerrand ermutigen möchte, lag die Lösung für Gertrud Bodenstein und ihre Freundin Ulrike Ströver auf der Hand: Was wäre wirkungsvoller und der guten Sache dienlicher, als den Fair-Trade-Fremdelnden die kulinarischen Verheißungen und die oft kinderleicht zuzubereitenden Eine-Welt-Produkte wie Chia-Samen, Bulgur, Hirse, Mangopüree, Kokosmilch oder Rote Linsen mundgerecht zum Probieren zu servieren? Und damit auf angenehmste Weise Überzeugungsarbeit zu leisten… Der Plan für das Fair-Trade-Dinner war besiegelt. Die Vorbereitungen begannen. „Das war so vor fünf, sechs Wochen“, schmunzelt Ulrike Ströver und verschwindet geschäftig in der Küche.
Sich die Folgen der Ausbeutung klarmachen
Während die Gäste mit einem süffigen Aperitif (Pfefferminztee, Lautes Mineralwasser des Vereins Viva con Agua, Zitronensaft, Minze, Mangolikör) in den Informationsabend einschwenken und bereits beim ersten Menüpunkt, der weißen Bohnensuppe (weiße Bohnen, Gemüsebrühe, Sahne, Knoblauch, Ingwer, Zimt, Vanille), in Verzückung geraten – „Du, Gertrud, kannst du mir davon mal das Rezept geben?“, „Mir bitte auch!“ – unterfüttert Pastor im Ruhestand Reiner Ströver die horizonterweiternde Zusammenkunft mit einem ökumenischen Fundament. Er zitiert aus einer Rede des evangelischen Theologen Helmut Gollwitzer, der schon Ende der 1960er Jahre das Ungleichgewicht der Märkte angemahnt und die Folgen der Ausbeutung durch die westlichen Industriestaaten vorausgesagt hatte.
Dorothea Meilwes, beim Bistum Essen als Referentin für die Abteilung Weltkirche und Mission zuständig, mit dem Ehepaar Ströver befreundet und daher ebenfalls beim Fair-Trade-Dinner der Zaunkieker dabei, ergänzt, dass heute rund 70 Prozent der gesamten Wirtschaftsfläche von den Agrokonzernen beansprucht werde, die damit um die 30 Prozent der Weltbevölkerung ernährten, während die Kleinbauern etwa 30 Prozent der Flächen bewirtschafteten – „Und das in der Regel nachhaltig!“ – und mit ihren Erzeugnissen de facto 70 Prozent der Weltbevölkerung versorgten. „Die Kleinbauern können vom Erlös, den sie zum Beispiel beim Anbau von Reis, Tee oder Kaffee erzielen, aber nicht existieren“, erläutert Meilwes, „die Gewinne in der Handelskette entstehen durch Weiterverarbeitung und Veredelung – also bei uns, in den Industrienationen.“
Hintergründe des Eine-Welt-Gedankens
Ob wir nun wollen oder nicht, ob wir uns dessen bewusst sind oder es ignorieren – an jedem Produkt, das wir in unseren Einkaufskorb packen, hängt ein ganzer Rattenschwanz an politischen, wirtschaftlichen, ökologischen – und wer will sagen, an was sonst noch für Konsequenzen. Sich in diesem Wust aus Verwicklungen den vollständigen Überblick zu erarbeiten, erscheint fast aussichtslos. Aber künftig auf das Fair-Trade-Siegel zu achten, nehme ich mir fest vor. Fair gehandelte Produkte werden übrigens längst nicht mehr nur in Eine-Welt-Läden, sondern auch im Aldi, bei Edeka oder Lidl und in fast allen gängigen Lebensmittelgeschäften angeboten. Wer mehr wissen möchte über die Hintergründe des Eine-Welt-Gedankens oder neugierig auf die Rezepte der Zaunkieker geworden ist, erhält weitere Informationen bei Gertrud Bodenstein unter Telefon 05404/2630.
Links zum Thema Fairer Handel:
Fairtrade-Deutschland: Das Siegel für Fairen Handel
Wasserinitiative Viva con Agua de Sankt Pauli
Misereor Hilfswerk/Fairer Handel
Welthungerhilfe: Für eine Welt ohne Hunger und Armut
dwp eg Fairhandelsgenossenschaft
El Puente – Die Fair Trade Pioniere
Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Tecklenburger Land
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 05.09.2018)