Am Anfang war die Neugier: Pilates in Pastors Garten – was mag das sein? Doch über die Neugier legte sich schwer und träge ein Hochdruckgebiet. Man muss dem Sport, der schweißtreibenden Bewegung an sich, schon einiges abgewinnen können, um sich bei Temperaturen wie diesen in die Gymnastikhose zu zwängen. Doch manchmal lohnt es sich.
So, so, das ist also Pilates, sinniere ich erschöpft und blinzle schläfrig in das Laub einer riesigen Linde, deren Blätter den viel zu aufdringlichen Sonnenstrahlen sanft aber konsequent Paroli bieten. Nach einer guten Stunde Training halten sich die Schweißperlen auf meiner Stirn ganz unerwartet in Grenzen. Gut ein Dutzend Frauen jeden Alters und sämtlicher Fitness-Level liegen rücklings auf ihren Turnmatten im alten Pfarrgarten von Pastor Detlef Salomon, die meisten von ihnen haben wohlig gerötete Wangen. Sie alle lächeln. Und obwohl die Pilates-Stunde inzwischen vorbei ist, atmen wir noch immer tief und konzentriert. Äugen entspannt aus unseren Schattennischen in den azurblauen Julihimmel hinein – und sind froh darüber, dass wir uns aufgerafft, dass wir die eigene Bequemlichkeit überwunden und unserem Körper etwas Gutes getan haben.
„Schön, dass so viele gekommen sind“
Auch Übungsleiterin Ute Kemper vom TuS Lotte sieht zufrieden aus. „Schön, dass sogar bei diesem drückenden Wetter so viele gekommen sind“, sagt sie. Die meisten der hitzebeständigen Teilnehmerinnen kennt sie persönlich – viele von ihnen nehmen regelmäßig an einem der Fitness- oder Rehakurse teil, die Kemper beim TuS Lotte leitet. „Ich wollte meinen treuen Frauen, von denen manche schon seit Jahren dabei sind, endlich einmal etwas Besonderes bieten.“
Ein Sommer ohne Vereinsangebote
Denn wer das ganze Jahr über bewusst auf seine Gesundheit achte, sich sportlich betätige und gewissenhaft die Übungsstunden besuche – der stehe wegen der Ferien im Sommer dann oftmals ganz alleine und ohne die vertrauten Vereinsangebote da. „Ich selber nutze in dieser Zeit gerne ,Yoga im Park‘, das in den Sommermonaten in Osnabrück angeboten wird“, berichtet die ausgebildete Physiotherapeutin. Was die Niedersachsen können, das schaffen die Lotteraner mit links, dachte sich Ute Kemper: Und die Idee vom Pilates im Garten war geboren.
Konzentriertes Ganzkörpertraining
„Streckt das Bein schön hoch, der Bauch ist angespannt, die Atmung tief!“ Der nonchalant zu Beginn der Stunde geäußerten Erklärung, dass es sich beim Pilates keineswegs um Entspannung, sondern um ein konzentriertes Ganzkörpertraining handele, lässt die Lotteranerin nun Taten folgen. Während wir unter dezentem Geächze im Vierfüßlerstand unseren Gleichgewichtssinn herausfordern, gurren über uns in den Baumkronen die Ringeltauben. „Noch sechs Mal“, spornt Ute Kemper uns an, „anschließend haltet ihr das Bein für vier tiefe Atemzüge.“
Reißverschluss im Bauch…
Barfuß bohren sich unsere nackten Zehen in den Pastorenrasen, wir denken uns Reißverschlüsse in den Bauch, die wir ein- und ausatmend öffnen und schließen, wir spannen nacheinander sämtliche Muskeln an und wieder ab – und schnaufen dabei so tief, dass sich unser Bauchnabel gefühlt bis an die Wirbelsäule schmiegt. Schließlich rollen wir uns, auf den Matten sitzend, Wirbel für Wirbel in die Rückenlage ab. Für einen Moment schließe ich die Augen, denn mit der Sonne ist auch der Schatten bedächtig durch den imposanten Garten gewandert und lässt hier und da grelles Licht auf uns rieseln. Und ja, zugegeben, etwas k.o. bin ich auch…
Zwischen Wachen und Schlafen
Eine geführte Fantasiereise durch das verheißungsvolle Land zwischen Wachen und Schlafen sieht das Pilates-Training allerdings nicht vor. „Mit der nächsten Ausatmung rollt ihr euch Wirbel für Wirbel wieder nach oben“, kennt unsere Übungsleiterin kein Erbarmen: „Wir machen das Ganze noch dreimal – dann dürft ihr liegen bleiben und nachspüren, wie sich euer Körper anfühlt.“ Drei, zwei, eins – da schlägt auch schon die Schwerkraft zu. Wie gut, dass just in diesem Moment die Glocken in Pastors Kirche den Feierabend einläuten. Wohlig taumelnd erheben wir uns in den Stand, recken und dehnen uns ausgiebig. Die Erschöpfung weicht mehr und mehr einem tiefen Wohlbefinden. Einer trägen Müdigkeit. Dem einlullenden Gefühl, sich unaufhaltsam in ein behäbiges Hochdruckgebiet zu verwandeln, wogen mir schlaff die Gedanken durch den Kopf, bevor ich gähnend nach Hause schwanke.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 25.07.2018)