Der Platz, an dem Marie Zeiser sich am wohlsten fühlt, der schwankt und wankt, ist weich und körperwarm – und er spürt und reagiert sogar darauf, was auf ihm passiert. Kurzum: Der Lieblingsplatz der leidenschaftlichen Voltigiererin aus Alt-Lotte lebt. Er befindet sich hoch oben auf Manni, einem hünenhaften Wallach von gut 1,80 Meter Stockmaß.
„Ich war nie ein Pferdemädchen“, sagt die 19-Jährige, deren frühe Kindheit weder vom Reiterhof noch von Ponyspielen oder gar Plüscheinhörnern, sondern vielmehr von Hund, Katze und Klavierspielen geprägt war. Dass sie als Zehnjährige beim Ferienspaß ausgerechnet ans Schnuppervoltigieren geriet, sei purer Zufall gewesen, erzählt die Alt-Lotteranerin und schmunzelt. Denn just dieses Erlebnis veränderte ihren Alltag ein für allemal: „Ich fand es sofort supertoll, auf einem Tier zu turnen“, berichtet sie, und noch immer bringt das Thema Voltigieren ihre Augen zum Leuchten.
Bestes Pflichtprogramm beim Deutschen Voltigierpokal
Die Begeisterung war mithin entflammt, drei Wochen später sammelte die kleine Marie bereits erste Turniererfahrungen. Inzwischen führt ihr mobiler, interaktiver Lieblingsplatz die Schülerin an solch illustere Wettkampfstätten wie den Austragungsort des Deutschen Voltigierpokals, der in diesem Jahr im Bayerischen Eisingen lag, und bei dem sie in der Finalrunde das beste Pflichtprogramm zeigte. Den zweiten Platz belegte ihre Mannschaftskollegin Malisa Benninghoff.
„Das ist Hochleistungssport“
Zwei- bis dreimal in der Woche trainieren Marie Zeiser und ihre Teamkolleginnen Corinna, Tessa, Caja, Sarah, Emma, Nell, Malisa und Shirin in der Halle des Reit- und Fahrvereins Lengerich alles, was zum Voltigieren dazugehört: Koordination, Sprung- und Schnellkraft, Körperspannung, Gleichgewicht, Raum-Lage-Orientierung, Ausdauer, Gelenkigkeit. Sie sprinten über das Außengelände der Reitanlage, dehnen anschließend auf den Turnmatten im Hallensand ihre Muskeln und gehen am Luftpferd, einem aufblasbaren Übungsgerät, die einzelnen Elemente des Pflicht- und Kürprogramms immer wieder durch, voll konzentriert. Schon lange bevor sich Marie Zeiser auf ihren sanft galoppierenden Lieblingsplatz schwingt, steht ihr der Schweiß auf der Stirn. „Das, was die Mädchen hier machen, ist Hochleistungssport“, beschreibt Trainerin Lisa Wagener vom Reit- und Fahrverein Lengerich die körperlichen Strapazen.
Die Verbindung zum Pferd spüren
Was ist es, das Marie Zeiser auf dem Rücken von Manni erlebt, und das diesen Ort zu einem so besonderen für sie macht? „Schwer in Worte zu fassen“, überlegt sie, „vielleicht ist es vor allem dieses Gefühl von Freiheit und Harmonie.“ Wenn sie auf Mannis Rücken turnen dürfe, dann vergesse sie alles um sich herum, beschreibt Marie Zeiser die Faszination des Voltigierens: „Ich bin vollkommen fixiert auf das, was ich in diesem Moment tue und spüre nur noch mich selbst, das Pferd – und unsere Verbindung.“ Und dann sei da natürlich noch die sportliche Herausforderung: In der Leistungsklasse L (Leicht), in der das Lengericher Team startet, sind akrobatische Übungen sowohl zu Zweit als auch zu Dritt auf dem Pferd gefordert: Hebefiguren, Hand- und Kopfstände, spektakuläre Abgänge.
Absolutes Vertrauen in das Team
„Das erfordert viel Mut und absolutes Vertrauen in das Team – jeder Handgriff muss sitzen, jeder muss sich darauf verlassen können, dass die anderen ihn halten“, sagt Marie Zeiser, „und genauso muss sich auch jeder von uns dafür verantwortlich fühlen, den anderen aufzufangen.“ Mit sichtlichem Stolz fügt sie hinzu: „In unserem Team passt das einfach alles – dieser Zusammenhalt ist schon toll.“ Sie berichtet von den aufregenden, oft mehrtägigen Fahrten zu weit entfernten Sichtungsprüfungen und Turnieren, die sie mit ihren zwölf- bis 28-Jährigen Kolleginnen unternimmt, von gemeinsamen privaten Ausflügen und davon, wie die neun pferdeaffinen Sportlerinnen zusammen mit ihren beiden Trainerinnen Lisa Trabhardt und Lisa Wagener ihr Voltigierpferd Manni selbst ausgebildet haben.
Streicheldusche und lobende Worte
„Ohne den läuft hier übrigens gar nichts“, stellt Lisa Wagener klar, „der ist der Mittelpunkt des Teams.“ Weil das natürlich auch die Sport-Abiturientin aus Lotte und ihre Kolleginnen wissen, gibt es nach jeder Übungsrunde auf dem Rücken des gutmütigen Vierbeiners eine ausgiebige Streicheldusche für Manni. Dann knubbelt sich ein Pulk aus anerkennend tätschelnden Händen und breit lächelnden Gesichtern um den treuen Braunen und säuselt ihm liebevoll lobende Worte in seine puscheligen Fellohren – und so ist auch aus Marie Zeiser am Ende doch noch ein richtiges Pferdemädchen geworden.
Den Aufstieg im Blick
Die nächste Herausforderung für Marie Zeiser und ihren galoppierenden Lieblingsplatz ist der Fünf-Länder-Vergleichswettkampf im September in Frechen (Rheinland-Pfalz) – und dann möglicherweise der Aufstieg der Mannschaft im kommenden Jahr in die Leistungsklasse M (Mittelschwer).
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 18.07.2018)