Geniale Gehirne und rührselige Roboter

Spielt sich gerne in den Vordergrund: Kim, die Künstliche Intelligenz auf Rädern, assistiert Diplom-Chemikerin Elke Oestermann bei der Museumsführung durch die Ausstellung „„Das Gehirn –– Intelligenz, Bewusstsein, Gefühl““ im LWL-Museum für Naturkunde in Münster. Foto: Ulrike Havermeyer

„Das Gehirn – Intelligenz, Bewusstsein, Gefühl“ heißt die neue Sonderausstellung im LWL-Museum für Naturkunde in Münster. 770 Exponate auf 1200 Quadratmetern: Eine solch phänomenale Chance, mehr über sich selbst zu lernen, will ich meinem Denkorgan nicht vorenthalten.

Seine arglosen Kulleraugen stellen sogar Einsteins zarte Hirnschnitte in den Schatten. Und wenn Kim –  der drollige, von künstlicher Intelligenz zu allerlei erstaunlichen Verhaltensweisen befähigte Museumsroboter – fröhlich pfeifend die Besucher zur nächsten Führung ins Schlepptau nimmt, wird es nicht nur lustig, sondern auch lehrreich. „Bitte folgen Sie mir“, schnarrt es aus Kims Lautsprecher – und schon saust sein leuchtend oranger Körper, der mich an ein mannshohes Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Püppchen erinnert, überraschend flink auf unsichtbaren Rädern zwischen den Vitrinen herum bis zum nächsten Ziel. Dort angekommen, erläutert Kim seinen Zuhörern in launig programmierten Worten die Besonderheiten des jeweiligen Objekts.

Extrovertierter Roboter als Assistent

„Jedenfalls tut er das meistens…“, kommentiert Museumsführerin Elke Oestermann mit süffisantem Unterton und wirft ihrem – nicht selten zu divenhafter Extrovertiertheit neigenden – Assistenten einen skeptischen Blick zu, der einen Hauch von Tadel nicht entbehrt. Denn manchmal ignoriert Kim die Bitten um Auskunft einfach. Oder er wendet sich ab und klappt seine Kugelaugen nach innen weg. Pfeift. Oder noch schlimmer: schnarcht. Benimmt sich dreist daneben. „Immerhin fährt er niemanden um“, lenkt seine menschliche Kollegin ein, „dazu hat er ja schließlich auch die 3-D-Kamera, den Laser-Scanner und die Bewegungs-Sensoren eingebaut bekommen.“ Bis sich die beiden zu einem harmonisch agierenden Team zusammengefunden haben – so wie es sich die Ausstellungsmacher wünschen – das sich beim Präsentieren der Exponate abwechselt, müssen sich die diplomierte Chemikerin und der neunmalkluge Roboter wohl noch ein wenig einspielen. Zeit genug dafür bleibt ihnen allemal: Die Sonderausstellung ist bis zum 27. Oktober 2019 geöffnet.

Werden wir in Zukunft zum Cyborg?

An diesem Nachmittag hat ganz klar Elke Oestermann das Sagen. Während Kim unbeeindruckt in seiner Ladestation döst, scharen sich mehr als zwei Dutzend Besucher zur öffentlichen Führung um die gebürtige Münsteranerin, um sich von ihr einen Pfad durch das überbordende Informations-Biotop, welches die 13 unterschiedlichen Themenbereiche miteinander bilden, bahnen zu lassen. Was macht unser Gehirn aus und wie funktioniert es? Werden wir in Zukunft zum Cyborg? Haben auch Pflanzen ein Gedächtnis? Wie entstehen Träume? Fragen über Fragen, die die Exponate in Gestalt von präparierten, plastinierten, konservierten, stilisierten, digitalisierten und animierten Modellen nicht nur aufwerfen, sondern auch beantworten helfen. 63 Medienstationen, 65 Tastmodelle an 30 Mitmach-Stationen, 71 echte Gehirne sowie diverse Hör- und Riechexperimente laden zum Selbsttest, zum Eintauchen in fremde Erlebniswelten, zu einem imaginären Blick in die Zukunft – oder schlichtweg zum Staunen und Weiterdenken ein.

Das Muss für jeden Besucher!

Wir lernen die sozialen Stärken eines Orca kennen, die kreative Ader von Schimpansin Julia, die beachtliche Gehirnleistung eines Londoner Taxifahrers und lassen unsere eigene Wahrnehmung in der Abteilung für optische Täuschungen in die Irre laufen. „Ich kann ihnen hier nur einen Schnelldurchgang durch die Ausstellung bieten“, bedauert die auskunftsfreudige Gästeführerin nach einer – auch ohne ihren Sidekick Kim – so unterhaltsamen wie einsichtsreichen Lehrstunde, „und sie einladen, sich nach der Führung noch einmal gezielt und ganz in Ruhe und je nach ihrer persönlichen Interessenlage auf den Weg zu machen.“ Doch bevor sich Elke Oestermann von uns verabschiedet, steht noch eine unverzichtbare Attraktion aus: Das Muss für jeden Besucher! Der unbestrittene Höhepunkt der Sonderausstellung!

Funkelndes Genie im dusteren Schrein?

In einem engen, abgedunkelten Schrein funkeln uns zwei hauchdünne Scheiben Gehirnmasse entgegen, original aus der mentalen Schaltzentrale des legendären Physikers und Nobelpreisträgers Albert Einstein entnommen. Erstrahlt da etwa, milde illuminiert, nichts Geringeres als das reine Genie aus den beiden kronenkorkengroßen Schnittproben? So intensiv wir sie auch betrachten, die sanft ineinander verschlungenen, beige und schwärzlich gefärbten Strukturen geben uns ihr Geheimnis nicht preis. Elke Oestermann kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken: „Am Gehirn von Albert Einstein ist, übrigens gegen seinen ausdrücklich verfügten Willen, 40 Jahre lang geforscht worden“, berichtet sie, „aber niemand hat irgendeine Auffälligkeit gefunden – anatomisch betrachtet ist Einsteins Gehirn also nur Durchschnitt.“

Na dann mal: Auf ein Neues!

Nachdem ich diese ernüchternde Botschaft bei einem Stückchen Käsekuchen in der Museumscafeteria verdaut habe, werde ich mich wohl neuerlich auf die Pfade der Selbsterkenntnis begeben müssen. Denn auch darauf hat uns Elke Oestermann hingewiesen: Das menschliche Gehirn ist in der Lage, sich bis ins hohe Alter anzupassen, umzuformen und zu lernen – wir müssen uns nur ausreichend Muße gönnen, wenn wir uns mit einer neuen Herausforderung beschäftigen, viel Zeit ins Üben investieren und reichlich Geduld ins Wiederholen.

Weitere Infos und Angebote

Die Sonderausstellung „Das Gehirn – Intelligenz, Bewusstsein, Gefühl“ im LWL-Museum für Naturkunde in Münster läuft bis zum 27. Oktober 2019 und ist dienstags bis sonntags von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Kinder und Jugendliche zahlen vier Euro Eintritt, Erwachsene 6,50 Euro. Außer den öffentlichen Führungen gibt es auch spezielle museumspädagogische Angebote für Schüler und Lehrer sowie ein Rahmenprogramm, das zum Beispiel literarische Rundgänge und wissenschaftliche Vorträge umfasst. Ein Audioguide erläutert 32 Stationen in der Ausstellung. Um die 100 Braille-Texte ermöglichen einen Zugang für blinde und sehbehinderte Besucher. Auch Führungen in Gebärdensprache sowie für Blinde und Sehbehinderte sind geplant. Infos unter www.das-gehirn.lwl.org.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 11.07.2018)