Leere Bierdosen, Einmal-Grill-Sets, zerknüllte Chipstüten. Besucher, die das Areal rund um den Baggersee mit einem öffentlichen Biergarten verwechseln und anschließend sämtlichen Dreck einfach liegenlassen, habe es hier schon immer gegeben und werde es wohl auch weiter geben, scheint Enders, Vorsitzender des Fischerei- und Naturschutzvereins Wersen, sich in sein Schicksal gefügt zu haben. Seine Stimme klingt müde. Mehr als ein Hauch von Frustration schwingt mit, wenn er über den Zustand des Geländes berichtet. Gegen die Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit der Partyszene haben er und seine Vereinskollegen in all den Jahren kein Rezept gefunden. Je nach Temperatur und Wetterlage, spätestens aber am ersten Mai, geht es los. Immer wieder. Jedes Jahr das Gleiche.
Die Landkarte des Vergnügens
Zugegeben: Auch wir hatten früher als Jugendliche den Sundermannsee auf unserer ganz persönlichen Landkarte des Vergnügens fest vermerkt. Wasser übt zweifellos eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus – und die Nordsee ist weit. Damals hatte die Niedersächsisch Westfälische Anglervereinigung (NWA) das Gelände allerdings noch nicht gepachtet. Und Badegäste aus der näheren und weiteren Umgebung bevölkerten allsommerlich die Strände. Man wähnte sich mehr oder weniger in einer gesetzlichen Grauzone. Heute dagegen ist klar geregelt: Baden im See ist genauso verboten wie das Befahren des Gewässers – etwa mit einem Schlauchboot. Und dass jeder den Müll, den er verursacht, auch ordnungsgemäß entsorgt, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Eigentlich.
Ein Einkaufswagen voller Dreck
Die weggeworfenen Tetrapacks, Plätzchenschachteln und Thunfisch-Konserven geben eine andere Antwort. Doch trotz der anstehenden Sisyphos Arbeit – einer Aufgabe, die niemals fertiggestellt werden kann – haben sich auch an diesem Wochenende wieder um die zwanzig Angler aufgerafft, ihre naturnah gestaltete Fläche zumindest vorübergehend vom Müll zu befreien. „2016 haben wir im Laufe von drei über das Jahr verteilten Aufräum-Aktionen fast eine Tonne Abfall abtransportiert“, erinnert sich Vereinsmitglied Dirk Priggemeyer. Der Westerkappelner lenkt seinen Pkw samt Gitterwagen in Richtung der Uferzone, denn blaue Säcke und Greifzangen reichen schon lange nicht mehr aus, um der Hinterlassenschaft der ungebetenen Gäste Herr zu werden. Mit zwei Mann schleppen die Angler einen bis über den Rand mit Plastikbechern, Essensresten, allerlei Flaschen und Dosen sowie einem alten Autoreifen gefüllten Einkaufswagen aus dem Gebüsch. Priggemeyer schüttelt den Kopf: „Ist es denn wirklich so schwer, den Müll, den man macht, auch wieder mitzunehmen?“ Eine rein rhetorische Frage.
Indizien eines ungehemmten Lotterlebens
Nach diversen geborgenen Sechser-Pack-Pappen, Ketchup-Flaschen und Plastiktüten, an denen noch die Marinade-Reste kleben, entwickle auch ich ein Gespür dafür, die Beschaffenheit und die Lage des Mülls zu Indizien eines so ungehemmten wie zweifelhaften Lotterlebens zusammenzufügen: Wo feiner, heller Sand dem Rand des Sees einen einladenden Strandcharakter verleiht, türmen sich rund um die improvisierten Feuerstellen die unappetitlichen Relikte der veranstalteten Gelage. In den lauschigen Nischen, die dicht mit Schilfgras bewachsen sind, dominieren die Zigarettenkippen. In den angrenzenden Weidengebüschen treffe ich dagegen vor allem auf – gar nicht mal so dezent verteilte – Häufchen von Papiertaschentüchern: So ein Tag am See lässt die Verdauung nicht still stehen. Ein mittlerweile zerfledderter Sonnenschirm erzählt von unbeschwerten Stunden im Halbschatten. Die blau gestrichene Schranktür mag als Sitzbank gedient haben. Aber was der zurückgelassene Leitpfahl bezwecken sollte, erschließt sich mir nicht.
Nach dem Sammeln ist vor dem Sammeln…
Knapp vierhundert Kilo Müll, bilanziert Dirk Priggemeyer später, haben die Angler an diesem Tag gesammelt. Die Kosten für die Entsorgung werden von der Gemeinde Lotte übernommen. Die ehrenamtliche Arbeit und den wachsenden Frust über die Achtlosigkeit mancher Mitbürger übernehmen die Angler. Wie in jedem Jahr.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 28.06.2017)