Pedelecs bringen vor allem Senioren wieder in Bewegung. Doch oft auch in Gefahr. Die Zahl verkehrstoter älterer Radfahrer ist laut Kreispolizei Steinfurt deutlich angestiegen. In Workshops sorgen die Verkehrssicherheitsberater der Behörde daher für Aufklärung und geben wichtige Tipps.
Als ich den Mettinger Schultenhof betrete, kommt mir Norbert Lampe schon entgegen. Der 69-Jährige leitet die Fahrradgruppe des Heimatvereins und hat die E-Bike-Schulung gemeinsam mit Oberkommissarin Sylvia Meinders und Polizeihauptkommissar Meinhard Schillhahn von der Verkehrssicherheitsberatung der Kreispolizei Steinfurt organisiert. Gekonnt schlängelt sich Lampe durch Pulks von angeregt miteinander plaudernden älteren Herrschaften hindurch, vorbei an unterschiedlichen Pedelec-Modellen, die Jörn Wulfekammer als örtlicher Fahrradfachhändler hier ausgestellt hat, und passiert unbeschadet einen mit Reflektorbändern, Leuchtwesten und Broschüren von der Verkehrsunfallprävention bestückten Infostand.
Sonderregelungen für Gruppen ab 15 Personen
„Wir als Heimatverein sind ja oft in größeren Gruppen, manchmal von bis zu 35 Personen, mit dem Fahrrad unterwegs“, berichtet er, „da sind dann auch viele E-Bikes dabei.“ Doch nicht nur die motorunterstützten Radler sollten sich gut vorbereitet auf ihre Radwanderungen begeben. „Wenn es um die Sicherheit beim Fahren in Verbänden und die rechtliche Seite geht“, bemerkt Lampe, „müssen alle gut informiert zu sein.“ Viele Verkehrsteilnehmer wüssten gar nicht, dass für das Fahren in Verbänden Sonderregelungen gelten, gibt Hauptkommissar Meinhard Schillhahn zu bedenken. Ab 15 Personen wird aus einer Radlergruppe nämlich automatisch ein Verband, der dann rechtlich gesehen wie ein einziges Fahrzeug zu behandeln ist und beispielsweise nicht mehr den Radweg benutzen darf. Die Schulung richtet sich denn auch nicht nur an die Mettinger Heimatfreunde, sondern an sämtliche Vereine und Gruppen, die Radtouren anbieten, sowie an interessierte Gäste. Zum Beispiel an mich.
Herzklopfen beim Besteigen des Pedelec
Mit E-Bike oder Pedelec hatte ich bisher allerdings weder theoretisch noch praktisch zu tun. Wenn ich privat in die Pedale trete, befindet sich diese derzeit noch an einem schlichten, rein über Muskelkraft betriebenen Hollandfahrrad, welches mit einer noch schlichteren Drei-Gang-Nabenschaltung ausgerüstet ist. Das Herzklopfen, das sich beim erstmaligen Besteigen eines Pedelecs in meinem Inneren bemerkbar macht, ist dieser persönlichen Premiere also durchaus angemessen.
Fast wie auf dem Hollandrad
Mein spontaner Eindruck: Der Einstieg ist angenehm bodennah, Akku und Antrieb sind tief in der Mitte des Rahmens montiert und sorgen für einen stabil ausbalancierten Schwerpunkt – irgendwie fühle ich mich auf dem schmucken Pedelec, Modell Citybike, gleich zuhause. Doch – „hui!“ – kaum habe ich angetreten, saust der motorunterstützte Drahtesel auch schon – als hätte ich ihm die Sporen gegeben – unerwartet flott auf den mit Pylonen markierten Parcours zu, den Norbert Lampe und seine Vereinskollegen vor dem Schultenhof aufgebaut haben.
Absteigen und durchatmen
„Mit einer durchschnittlichen Leistung von rund 250 Watt“, klingen mir die Worte von Jörn Wulfekammer noch in den Ohren, „ist es auf einem Pedelec ungefähr so, als ob zwei zusätzliche Personen mittreten würden.“ Von einem solchen Schwung beflügelt, ignoriere ich souverän die Slalomstrecke – Was bleibt mir auch anderes übrig? – und flitze geradeaus an den Kegeln vorbei in Richtung Parkplatz. Erst einmal bremsen, absteigen und durchatmen…
Zeit in Probefahrten investieren
Um mehr Sicherheit zu gewinnen, probiere ich fernab des Trubels in aller Ruhe aus, wie sich die verschiedenen Unterstützungsabstufungen in der Praxis anfühlen. „Der Antrieb variiert zwischen Einstellungen wie Eco, Sport oder Power“, erklärt mir Wulfekammer, „und natürlich kann man so ein Pedelec auch wie ein herkömmliches Rad ganz ohne Motorunterstützung fahren.“ Der dringende Rat des Fachmanns, sich vor der Anschaffung eines elektrobetriebenen Rades ausgiebig in dessen Funktionen einweisen zu lassen und viel Zeit in Probefahrten zu investieren, erscheint mir Gold wert.
Überlebenswichtige Tipps für jedermann
Nicht nur Gold wert, sondern nicht weniger als überlebensrelevant sind die Ausführungen von Sylvia Meinders und Meinhard Schillhahn. Denn wie so oft, wenn die Verkehrssicherberater von ihren Erfahrungen berichten, erweisen sich deren Beobachtungen und Empfehlungen nicht nur für E-Bike-Fahrer als wichtig, sondern für jeden Verkehrsteilnehmer: gleich welchen Alters und ganz egal ob Fußgänger, Zwei- oder Vierradfahrer, ob leicht, schwer oder gar nicht motorisiert.
„Sichtbarkeit bringt Sicherheit!“
Ein paar Beispiele gefällig? Eine dunkel gekleidete Person wird bei eingeschränkter Sicht (Dämmerung, Regen, Dunkelheit) ab einer Entfernung von 25 Metern wahrgenommen. Trägt die Person dagegen helle Kleidung, erkennt man sie schon aus 40 Metern. Ist ihre Kleidung außerdem noch mit Reflektoren ausgestattet, ist sie aus einer Distanz von 140 Metern auszumachen. „Sichtbarkeit bringt Sicherheit“, schärft Sylvia Meinders den Zuhörern ein. Und das nicht nur im Alter.
Den Helm nicht vergessen
In Deutschland zwar keine Pflicht, aber eine dringende Empfehlung, ist das Tragen eines Helms: Das mit Abstand am häufigsten bei Unfällen verletzte Körperteil sei bei Radfahrern nach wie vor der Kopf. „Vergessen sie nie: Der Helm ist die einzige Lebensversicherung, die sie als Radfahrer haben“, ermahnt Meinhard Schillhahn. Ansonsten rät er dazu, auch bei rechtmäßiger Vorfahrt als Radfahrer im Zweifelsfalle zu warten, oder einfach abzusteigen und die Fußgängerampel zu benutzen. Besonders an stark befahrenen Straßen oder unübersichtlichen Kreuzungen sei so ein Verhalten „einfach clever“. Schillhahn merkt an: „Im toten Winkel eines Lkw oder eines Busses kann eine komplette Schulklasse verschwinden.“ Und: „Rechnen sie immer mit dem Fehlverhalten der Autofahrer.“
Weitere Infos und Termine
Wer mehr über den sicheren Umgang mit Pedelecs, das Fahren in Verbänden oder generell zum Thema Verkehrssicherheit wissen möchte: Infos zu weiteren Schulungen gibt es in allen örtlichen Polizeidienststellen sowie bei der Verkehrssicherheitsberatung der Kreispolizei Steinfurt unter Telefon 02572/ 9306 6610 und bei der Verkehrswacht des Kreises Steinfurt unter Telefon 02551/691313. Noch mehr Infos gibt es außerdem beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat unter www.dvr.de sowie bei der Deutschen Verkehrswacht unter www.deutsche-verkehrswacht.de.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 30.05.2018)