Endlose Autoschlangen? Nervige Wartezeiten? Ein neuer Unfallschwerpunkt? Das von den Skeptikern prognostizierte Chaos auf den Zu- und Abfahrtsstraßen rund um das erweiterte Einkaufszentrum an der Heerstraße in Westerkappeln ist bisher ausgeblieben. Abgesehen von gelegentlichen Rückstaus „läuft es hier überraschend gut“, kommentiert Hauptkommissar Hans-Ulrich Büscher die derzeitige Situation.
Der Ortspolizist hat es sich auf dem Beifahrersitz meines Fiats bequem gemacht, während ich den Wagen in Richtung der vermeintlichen Problemzone lenke, um mir von dem 60-jährigen Ibbenbürener erklären zu lassen, was ich schon immer über die hiesige Verkehrslage wissen wollte. Denn Führerschein hin, Erfahrung her: An der einen oder anderen Stelle bin ich mir – was das regelkonforme Verhalten gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) angeht – nicht ganz sicher.
Das geht schon bei der Anfahrt der Märkte los: Wer darf zuerst fahren – der Radfahrer, der sich auf dem Radweg um den Kreisverkehr Am Dölhof herum bewegt, oder ich als Autofahrerin, die ich zur gleichen Zeit in den Kreisel hinein- oder aus dem Kreisel herausfahren will? „Das ist hier ganz klar geregelt, der Radfahrer muss, genau wie der Fußgänger, warten“, klärt mich der Polizeibeamte auf. „Allerdings darf ich als Vorfahrtsberechtigter nicht auf meine Vorfahrt bestehen und diese zwanghaft durchsetzen“, schränkt er ein: „Ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht sind das A und O.“ So stehe das ja schließlich auch in Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO).
Bevor ich den Kreisel verlasse, vergewissere ich mich also, dass auch ja kein leichtsinniger Radler angesaust kommt. Doch Vorsicht, mahnt Büscher: „Manche Radfahrer scheinen nämlich nicht zu wissen, dass sie den Radweg nur in Fahrtrichtung – also rechtsherum benutzen dürfen“ – und tauchen plötzlich und unerwartet von der anderen Seite auf.
Falsch fahrende oder unzureichend beleuchtete Radfahrer können auch an unserer nächsten Station zum Risiko werden: Von der Heerstraße aus will ich links in die Stichstraße zu den Einkaufsmärkten abbiegen. Dem entgegen kommendem Verkehr gewähre ich Vorfahrt – sowohl dem motorisierten auf der Hauptstraße als auch den Radlern auf dem Radweg. „Leider halten sich aber auch hier nicht alle Radfahrer an die vorgeschriebene Fahrtrichtung“, warnt Büscher.
Nach dem Abbiegen in die Stichstraße kommt nun rechter Hand die Zufahrt zum K+K-Parkplatz in Sicht, die ich passieren möchte. Habe ich Vorfahrt? Oder gilt hier ‚Rechts vor Links‘? „Der abgesenkte Gehweg besagt eindeutig, dass sich dahinter ein Grundstück und keine Straße befindet“, erläutert Büscher. „Wer von dort kommt, muss auf jeden Fall warten.“ Also, ich habe Vorfahrt und es geht weiter, auf den großen Platz am Ende der Stichstraße. Hier parkt die Kundschaft des Edeka-Marktes, und ab Februar dann auch die des Drogeriemarktes und des Textildiscounters.
„Auch hier ist alles über die StVO geregelt“, bemerkt der Ortspolizist: Rechtsfahrgebot, Rechts vor Links, Blinken beim Ändern der Fahrtrichtung, zudem eine Beschränkung der Geschwindigkeit auf zehn Kilometer pro Stunde – und überdies gelte …? Büscher sieht mich fragend an, und natürlich weiß ich, worauf er hinaus will: ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht nach Paragraf 1 der StVO. „Das ist an dieser Stelle besonders wichtig“, sagt Büscher, „weil ja auf einem Parkplatz viele Fußgänger mit ihren Einkaufswagen unterwegs sind.“ Kunden, die in Gedanken schon an der Fleischtheke stehen. Herumwuselnde Kinder. Dazu die ein- und ausparkenden Fahrzeuge. Eine Komplexität, die schnell in Unübersichtlichkeit umschlägt. „Im Zweifelsfall bleibe ich als Autofahrer stehen“, sagt Büscher. „Sich aufregen oder hektisch werden, bringt gar nichts.“ Überhaupt wünscht er sich mehr Gelassenheit im Verkehrsalltag. „Dann würden auch weniger Parkplatzrempler passieren.“
Gelassenheit ist auch beim Verlassen des Einkaufszentrums ein guter Ratgeber. Zu Stoßzeiten kommt es – bereits vor der Eröffnung von dm und Takko – vor, dass sich eine Autoschlange von der Einmündung auf die Heerstraße bis auf den Edeka-Parkplatz bildet. Im „Stop-and-Go-Tempo“ arbeiten wir uns voran.
Haben die rechter Hand vom Aldi-Parkplatz kommenden Fahrzeuge wegen der ‚Rechts-vor-Links‘-Situation Vorfahrt? „Könnte man meinen“, orakelt der Verkehrsexperte neben mir, deutet dann aber auf die Reihe abgesenkter Pflastersteine, die anstelle des nicht vorhandenen Gehwegs darauf hinweisen sollen, dass es sich auch beim Aldi-Parkplatz – genau wie gegenüber beim K+K – um ein Grundstück handelt.
Die letzte Klippe stellt das Abbiegen auf die Heerstraße dar: Mit Hauptkommissar Büscher auf dem Beifahrersitz gönne ich mir den Spaß und setze den Blinker – obwohl sich sowohl vor uns als auch uns gegenüber in der Ausfahrt vom Lidl-Markt bereits die Pkw stauen – zum Linksabbiegen.
„Da wären Sie besser rechts ab durch den Kreisel und dann wieder zurück auf die Heerstraße gefahren“, kommentiert Büscher. Wohl wahr. Denn jetzt scheint bei so einigen Verkehrsteilnehmern endgültig die Intuition das Steuer übernommen zu haben. Zugegeben: „Die Lage hier ist ziemlich heikel“, befindet auch Hans-Ulrich Büscher: Der abgesenkte Bürgersteig weist den Lidl-Parkplatz zwar eindeutig als Grundstück aus, und daher müsste eigentlich jeder, der vom Lidl rechts abbiegen oder geradeaus zu den anderen Märkten will, sogar mir als Linksabbiegerin den Vorrang lassen. Eigentlich.
Stattdessen aber rauscht der Gegenverkehr unbekümmert an uns vorbei. „Viele meinen, dass sie als Geradeausfahrer Vorfahrt haben“, sagt Büscher und lächelt mir beschwichtigend zu, als er meine Anspannung bemerkt. „Immer gelassen bleiben“, rät er. Im Zweifelsfalle warten. Den Blickkontakt und die Verständigung mit dem Gegenüber suchen. Die Fußgänger auf dem Gehweg passieren lassen. Auf die Radfahrer achten – sowohl auf die, die aus der richtigen, wie auch auf die, die aus der falschen Richtung kommen. Tief durchatmen und dabei immer schön an Paragraf 1 der StVO denken . . .
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 13.01.2016)