Die Kunst des Kaffeekochens

Vor allem in der Geduld liegt die Kunst des Kaffeeröstens: Werden die Bohnen zu schnell und zu heiß verarbeitet, leiden die Aromen. Fotos (6): Ulrike Havermeyer

Zu dem Lehrgang „Kaffeekunst“ hat die Evangelische Erwachsenenbildung im Kirchenkreis Tecklenburg zusammen mit der evangelischen Kirchengemeinde Westerkappeln eingeladen. Neugierig mische ich mich unter die Kaffeefreunde aus Lotte, Westerkappeln und den Nachbargemeinden.

All die Jahrzehnte, in denen ich unbekümmert meinen Filterkaffee geschlürft habe, saß ich – ohne es zu ahnen – an einem der abgelegenen Tischchen auf der Spitze eines Eisbergs oder besser gesagt: auf der äußersten Schaumkronenschicht der Crema. Dass sich der weitaus größte Teil des Abenteuers „Koffein“ von mir noch unentdeckt in den Tiefen der Trommelröster und manuellen Brühgruppen verbirgt, weiß ich erst seit meinem Besuch bei Profi-Barista Jan-Christoph Prell in der Caffewerkstatt in Osnabrück.

Jeweils zwei Bohnen stecken in den hübschen roten Kaffeekirschen. In der Caffewerkstatt in Osnabrück wachsen die Arabica-Pflanzen allerdings nur zu Anschauungszwecken.

Mit grünlich bleichem Rohkaffee gefüllte Jutesäcke stapeln sich in den Ecken des Ladenlokals, auf der Fensterbank gedeihen in Blumentöpfen zarte Arabica-Pflanzen, und – ein tiefes Einatmen, ein kurzes Innehalten mit geschlossenen Augen, danach wohlig seufzend wieder ausatmen – na klar: Es riecht nach frischem Kaffee. Wer die kleine Privatrösterei an der Lotter Straße betritt, gerät unweigerlich in den verführerischen Sog des beliebten Genussmittels, von dem, wie Röstmeister Jan-Christoph Prell uns erläutert, in Deutschland jeder Erwachsene im Durchschnitt 165 Liter im Jahr trinkt. Zum Vergleich: Dieser Pro-Kopf-Verbrauch wird statistisch von 107 Litern Bier sowie von 148 Litern Mineral- und Heilwasser flankiert.

Jeder Cappuccino ein Unikat

Zoschhhhhhhhhh…!!! Während Prell uns in die Geheimisse von Über- und Unterextraktion, Mahlgraden und Bitterkeitsprofilen einweiht, hantiert Caffewerkstatt-Inhaber Marko Eschelbach unüberhörbar an einer der vielen edelstahlglänzenden Maschinen herum – Siebträger, wie ich wenig später lerne – und brüht köstliche Kunstwerke für die Stammkunden: Jeder Cappuccino ein Unikat, auf dessen Oberfläche vergängliche Gemälde aus zartem Milchschaum schweben: Schwäne, Blumen, Herzen. Natürlich werden auch wir versorgt. Zum selbst gerösteten Biokaffee serviert das Barista-Team herbe Zartbitterpralinen, die das Geschmackserlebnis für meinen Gaumen in bis dato selten erreichte Höhen schrauben.

Die Tiefen der Kaffeekunst lotet Profi-Barista Jan-Christoph Prell (rechts) von der Caffewerkstatt in Osnabrück mit den Besuchern aus.

Doch dem Westerkappelner Pastorenehepaar Adelheid Zühlsdorf-Maeder und Olaf Maeder, die das Seminar organisiert haben, geht es bei all dem gediegenen Flair nicht zuletzt darum, bei dem Blick hinter die Kulissen der Kaffeeproduktion den Teilnehmern die nötige Achtsamkeit für künftige Genüsse zu vermitteln. Und wer könnte uns besser demonstrieren, mit welch handwerklichem Aufwand, immenser Akribie und engelsgleicher Geduld der angelieferte Rohkaffee weiterverarbeitet wird, als Röstmeister Jan-Christoph Prell, der bei den Deutschen Kaffeemeisterschaften im Februar in Bremen den fünften Platz als Barista belegt hat?

Tausend Aromen in einer Bohne

„Bis zu tausend verschiedene Aromen stecken in einer Kaffeebohne“, verrät uns Prell, „die je nach Röstung heraus gekitzelt werden.“ Um die filigranen Geschmacksstoffe nicht zu verschrecken oder gar komplett zu ruinieren, sollte man sich beim Rösten der Bohnen genug Zeit lassen (wie hier etwa 19 Minuten) und sie keinen zu hohen Temperaturen (wie hier nicht über 220 Grad) aussetzen. Im hauseigenen Trommelröster, der ähnlich wie eine Waschmaschine funktioniert – nur eben statt mit Wasser mit beheizter Trommel und aufgeheizter Luft darin – werden die Bohnen sanft umher gewälzt.

Wie eine ofenwarme Brotkruste

Schon nach wenigen Minuten beginnt es im Röster zart zu knacken: Die Bohnen brechen auf („First Crack“) – und die Aromen werden freigesetzt. Immer wieder zieht Prell eine Probe heraus, die Farbe der Bohnen verändert sich von grünlich über gelb („Yellow Point“), zimtfarben, hell-, mittel-, getüpfelt bis schließlich sattbraun. Ihr Duft erinnert mich zunächst an Heu, ein wenig auch an geröstete Sonnenblumenkerne, dann an eine ofenwarme Brotkruste, bis endlich der typische Kaffeeduft aus der Wasch-, pardon: Rösttrommel steigt. Im Rührsieb kühlen die Bohnen gleich darauf an der Luft ab und dunsten anschließend noch ein paar Tage aus, bevor sie weiterverarbeitet werden.

Früher oder später landet jeder wahre Kaffeefreund bei der Siebträgermaschine, meint Röstmeister Jan-Christoph Prell. Angehende Baristi lernen hier, wie der Alleskönner zu bedienen ist.

„Und wie kocht ihr euren Kaffee?“, blickt Prell gespannt in die Runde. Viele der Kaffeefreunde aus Lotte und Westerkappeln verfügen, wie sich alsbald zeigt, offenbar über Vollautomaten. Hier und da gibt sich ein Filtermaschinenbesitzer zu erkennen. Eher verschämt fallen Worte wie Pad-Automat, French Press oder Handfilter. Prell nickt. „Das ist ganz klar eine Geschmackssache“, bekundet er weltmännische Neutralität. Jede Art der Kaffeezubereitung habe ihre Vorzüge. Aber ein wahrer Genießer, der lande früher oder später bei einer Siebträgermaschine. „Denn da merkt man, was Kaffee eigentlich alles kann“, schwärmt der Profi-Barista und lotst uns zu einem der eindrucksvollen Alleskönner, die sich unter anderem durch ein technisch ausgeklügeltes Brüh- und Dampftemperatur-Feintuning auszeichnen. Viele Knöpfe, viele Schalter, und jede Menge Zoschhhhhhhhhh…!!!

Legendäre Brühgruppe E61

Wie die frisch gemahlenen Bohnen in das langstielige Sieb krümeln, wie deren rauchiges Aroma die Nase von uns künftigen Baristi streichelt, während wir mit einem stempelartigen Tamper (der ähnlich wie ein Drehmomentschlüssel funktioniert) den kleinen Pulverberg unter Aufbietung von immerhin 18 Kilo Gewicht verdichten, und wie anschließend die legendäre Brühgruppe E61 der Siebträgermaschine das perfekt von ihr temperierte Wasser mit genau dem richtigen Druck durch das Sieb presst – und wie sich dann ein tatsächlich makelloser Cappuccino in die Tasse ergießt, das ist unbestreitbar Kaffeekunst vom Feinsten. Vermutlich würde bei diesem Schauspiel selbst meine gute, alte Filtermaschine erblassen und sich eingeschüchtert in der nächsten Abstellkammer verkriechen.

In derben Jutesäcken wird der Rohkaffee angeliefert. In Deutschland trinkt jeder Erwachsene laut Statistik im Durchschnitt 165 Liter Kaffee im Jahrt.

Doch keine Sorge, liebe Filtermaschine – du darfst bleiben. Allerdings werden sich wohl ein paar Dinge in unserem Haushalt verändern: Ich werde künftig nur noch ganze Bohnen kaufen, und die dann selber frisch mahlen. Ich werde dich, werte Kaffeemaschine, versprochen (!), alle vier Wochen entkalken. Und meinen Espresso werde ich vor dem Trinken brav umrühren, damit sich Bitterstoffe, Säuren und Öle gut vermischen. Schließlich bin ich dank des von Marko Eschelbach unterschriebenen Zertifikats, das ich in meinen Händen halte, und das mir die barista basics, Grundkenntnisse in der Kaffeekultur, bescheinigt, nun einige Tische vorgerückt – etwas weiter weg von der Spitze des Eisbergs, etwas dichter dran an der Seele des Koffeins.

PS: Gebrauchsanweisung für den Handfilter

So bereitet man einen guten Kaffee mit dem Handfilter (aus Porzellan) zu, Tipps von Profi-Barista Jan-Christoph Prell: Das Wasser sollte nicht mehr sprudelnd kochen, sondern auf 92 Grad herunter gekühlt sein. Den Papierfilter vorher einmal mit dem heißen Wasser ausspülen, damit er seinen Eigengeschmack verliert. „An die richtige Dosierung“, sagt Prell, „muss man sich herantasten.“ Seine Empfehlung (für Costa Rica): Pro Tasse Kaffee (220 ml) werden 13,5 bis 14 g frisch gemahlener Kaffee (1 Teelöffel, nicht gehäuft, entspricht etwa 7 g) verwendet. Das Pulver von der Mitte aus in einer spiraligen Bewegung bis zum Rand aufgießen. Beim ersten Guss sollte der Kaffee „ausblumen“ – dabei entweicht das noch in der Röstung enthaltene CO2. Nach etwa 30 Sekunden nachgießen, wieder von der Mitte aus. Das Aufbrühen des Kaffees („Extrahieren“) sollte insgesamt nicht länger als drei Minuten dauern.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 25.04.2018)