Das 2012 sanierte Hotel verfügt über 16 gediegen eingerichtete Zimmer – allesamt Allergiker geeignet – und einen erstklassigen Service. Die Atmosphäre ist wie das Gebäude selbst: urwestfälisch. Für das Wohlbefinden der Gäste sorgt ein eingespieltes Serviceteam rund um Hotelleiterin Petra Rüter. Nun ja – an diesem Tag womöglich nicht ganz so eingespielt: Denn heute bin ich mit von der Partie und versuche mein Bestes, um Barbara Rydings bei der Reinigung der Räume zur Hand zu gehen.
Neben allerlei Tüchern und Läppchen, Bürsten und Wischern, Abziehern und Schwämmchen sind unsere wichtigsten Utensilien „die Rote“ und „die Blaue“: zwei stattliche Plastikflaschen, deren Inhalt uns die Arbeit erleichtert – dem Schmutz und etwaigen Bakterien ist die Existenz im Alten Gasthaus Schröer nachdrücklich untersagt. Barbara Rydings prüft noch einmal, ob ihr Handwagen ausreichend bestückt ist, dann zieht sie den Laufzettel aus der Tasche: „Zimmer acht, komplett“, verkündet sie und nickt mir aufmunternd zu. Los geht’s.
„Wichtig“, mahnt meine Kollegin und hebt den Zeigefinger: „Immer anklopfen, bevor man ein Zimmer betritt.“ Denn auch wenn eine „Komplettreinigung“ in der Regel voraussetzt, dass der Gast bereits abgereist ist – Irrtümer kann es immer geben. Und wenn sich durch schlichtes Anklopfen eine peinliche Situation verhindern lässt, sollte man das nutzen. Also: Klopfen. Warten. Und hinein. Während Barbara Rydings kontrollierend ihre Blicke schweifen lässt und sich einen Gesamteindruck über das zu Erledigende verschafft, nutze ich die verbleibenden Sekunden des Nichtstuns und genieße meine eigene Überraschtheit: Als Westerkappelnerin hat es für mich bisher noch keinen Grund gegeben, im ortsansässigen Hotel einzuchecken – daher hatte ich keine Ahnung, welchen Standard die Branche hier vorhält. Die Worte, die mir durch den Kopf sausen: „einladend“, „adrett“ und „sehr stilvoll“. Dunkle Holzmöbel auf rustikalem Bodenbelag. Helle Wände. Vorhänge in warmen Rottönen. Die Dekoration: dezent und elegant.
Barbara Rydings lächelt mit unverhohlenem Stolz: „Hübsch, nicht wahr?“, fragt sie. Dann lenkt sie ihr Wägelchen entschlossen Richtung Bad, das sowohl dem für vier Personen ausgelegten Familienzimmer, wie auch jedem der sechs Einzel- und neun Doppelzimmer angeschlossen ist. „Jetzt erst mal ‚die Rote‘“, sagt sie und öffnet den Deckel des WC. Mit dem Profi-Desinfektionsmittel werden die Toilette und sämtliche Abflüsse vorbehandelt. Danach ein paar Spritzer von „dem Blauen“ in den Eimer. Frisches Wasser drauf.
Für jede Aufgabe den passenden Wischlappen auszuwählen, bleibt an diesem Vormittag das Privileg und das Geheimnis der 53-Jährigen: Das eine Tuch ist zum Reinigen der Hochglanzfliesen, das nächste eignet sich besser für die Chromarmaturen der Dusche. Ein drittes fusselt bei bestimmten Materialien, ist aber ansonsten prima, ein viertes ist für das Polieren der Spiegel und Glasflächen vorgesehen. Ziemlich verwirrend! „Das lernt man mit der Zeit“, tröstet mich Barbara Ryding, während sie schwungvoll und mit weit ausholenden Armbewegungen jeden Quadratzentimeter des Sanitärbereichs von der Decke bis zum Boden zum Glänzen bringt. Sind auch alle Abflüsse gereinigt? Ist genügend Toilettenpapier vorhanden? Die Flüssigseife nachgefüllt? Frische Handtücher verteilt? Ein letzter prüfender Blick – und weiter geht es.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 05.08.2014)