Geschmeidig ins Moor

17 Kilometer hin, 17 Kilometer zurück: Außer Reden und Radeln konnten die Teilnehmer der Ausflugsfahrt vom Kultur- und Heimatverein auch noch viel Wissenswertes über das Recker Moor und die umgebende Natur erfahren. Foto: Ulrike Havermeyer
17 Kilometer hin, 17 Kilometer zurück: Außer Reden und Radeln konnten die Teilnehmer der Ausflugsfahrt vom Kultur- und Heimatverein auch noch viel Wissenswertes über das Recker Moor und die umgebende Natur erfahren. Foto: Ulrike Havermeyer

Nein, es wird heute nicht regnen, beschließe ich – und ignoriere die grauen Wolken, die ein rauer Frühlingswind über den Himmel jagt. Das wasserdichte Cape packe ich trotzdem in den Rucksack. Dazu die Sonnencreme. Man kann ja nie wissen… Der Stinkesaft gegen fiesen Zeckenbefall darf genauso wenig fehlen wie die Flasche mit dem Mineralwasser. Schließlich begleite ich den Kultur- und Heimatverein auf seiner Radtour vom Ortskern bis ins Recker Moor: 17 Kilometer hin. 17 Kilometer zurück. Das sollte allerdings selbst für eine Schreibtischarbeiterin wie mich zu schaffen sein.

„40 Personen – das ist hart an der Grenze“

Nach fünf Kilometern Anfahrt durch die heimische Bauerschaft erreiche ich den Treffpunkt am Bullerteich, wo sich das Teilnehmerfeld bereits sortiert: Rüstige Senioren lehnen lässig an ihren E-Bikes. Sportliche Damen in Radlerhosen checken ein letztes Mal die Packtaschen an ihren Tourenrädern. Mittendrin steht Horst Dormann von der Wandergruppe des Vereins, kneift die Augen zusammen, wippt auf die Zehenspitzen und zählt durch: „Donnerwetter… das sind so um die 40 Personen“, raunt er sichtlich beeindruckt, „das ist hart an der Grenze.“ Sein Kollege Wolfgang Kuhnt nickt gelassen und winkt beruhigend ab: Keine Bange, die Truppe ist routiniert. Die meisten Radler – egal ob Vereinsmitglieder oder ungebundene Sympathisanten – kennen sich seit Jahren. Man begrüßt einander per Handschlag: „Na, auch wieder mit dabei?“ Aber klar doch.

Das nennt man Schwarmintelligenz

Unerwartet geschmeidig starten wir – ganz ohne eine ordnende Hand von außen – in sauberer Formation einer nach dem anderen und schlängeln uns dann paarweise an der Hauptstraße entlang. Schwarmintelligenz nennt man das, glaube ich. Es wird geschwatzt und geplaudert. Vergnügte Erinnerungen an vergangene Ausflüge neu belebt. Der hiesige Radler, scheint mir, betreibt sein Hobby lieber gesellig denn verbissen. Wie war doch gleich der Name? Seid ihr letztes Jahr etwa auch mit Pastor Beck in Tirol unterwegs gewesen? Interessante Lenkertasche! – Auf dem Westerbecker Esch lässt Wolfgang Kuhnt, Leiter der Naturschutzgruppe des Kultur- und Heimatvereins und zudem in der Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Tecklenburger Land (ANTL) aktiv, uns zum ersten Mal anhalten. Außer Reden und Radeln kann man auf diesem Ausflug nämlich auch noch allerhand Wissenswertes über die Region aufschnappen.

Kein Ort mehr für Lerche und Kiebitz

Zum Beispiel, dass der Esch mit seinen intensiv bewirtschafteten Äckern eine für den Biologen nicht eben erfreuliche, aber eine aktuell doch sehr typische Kulturlandschaft darstellt: viel Mais, viel Wirtschaftsgras, wenig Artenvielfalt. Einige der älteren Herrschaften legen die Köpfe in den Nacken und äugen gen Himmel: „Früher gab’s hier doch mal Feldlerchen…“ Heute nicht mehr, bedauert Kuhnt. Auch der Kiebitz, der es bis vor ein paar Jahren noch auf dem Esch ausgehalten hat, findet keine geeigneten Brutmöglichkeiten mehr. Und die nötige Ruhe fehlt ihm wohl auch: „Der Freizeitdruck ist hier sehr hoch“, erklärt der ANTL-Mann und weist auf den benachbarten Sportplatz hin, auf die vielen Spaziergänger mit ihren Hunden. Ja – und auch redselige Radfahrer können der Natur manchmal lästig werden… Betont schweigsam ziehen wir weiter.

Geballter Sachverstand der ANTL

Bevor wir das Recker Moor erreichen, stapft Wolfgang Kuhnt mit uns noch an einem hinter Kiefern und Birken versteckten Niedermoorbereich entlang, weist uns auf sandige Dünenzüge inmitten der umgebenden Felder hin, auf denen das ansonsten fast nur noch an der Nordseeküste vorkommende Silbergras wächst. Wir lauschen einem singenden Pirol, rauschen an drei Graureihern vorbei, die in der Düsterdieker Niederung herumstochern und erreichen schließlich das rund 3,45 Quadratkilometer große Naturschutzgebiet auf der anderen Seite des Kanals. In Gestalt des Ornithologen Manfred Lindenschmidt erwartet uns dort weiterer naturkundlicher Sachverstand: Kuhnts ANTL-Kollege erläutert, wie die Moorlandschaft ab dem 17. Jahrhundert kultiviert und – je nach Sichtweise – „langsam urbar gemacht“ und zugleich „immer weiter zerstört“ wurde.

Ertrunkene Rinder und Loren voller Torf

Die Fahrräder abgestellt, wandern wir hinter Lindenschmidt über den kleinen Pfad durch das Hochmoor. Das Wollgras wiegt sich in der Brise. Die Sonne hat inzwischen den Himmel zurück erobert. Einer der Teilnehmer weiß noch, wie früher an dieser Stelle die Loren zum Torfabbau geschoben wurden. „Und manches Rind ist damals hier im Moor ertrunken“, erinnert sich eine grauhaarige Westerkappelnerin schaudernd. Lindenschmidt hebt mahnend die Augenbrauen. Wie war das mit den Vögeln und dem Freizeitdruck? – Und kaum hüllt sich der Mensch dann doch einmal in Schweigen, wird die Natur auch schon kommunikativ: „Hören Sie dort?“, flüstert Wolfgang Kuhnt begeistert: „Die Uferschnepfe!“