„Schlag fertig! Gekonnt kontern!“

Wer konstruktiv Streiten will, muss die richtige Balance zwischen sich und seinem Gegenüber finden. Kommunikationstrainerin Ina Wohlgemuth aus Herdecke weiß, wie das funktioniert. Fotos (4): Ulrike Havermeyer

Kennen Sie das? Jemand feuert eine spitze Bemerkung, eine miese, kleine Frotzelei gegen Sie ab – und Ihnen fällt im Eifer des Gefechts partout keine passende Antwort ein. Weil es auch mir nicht selten so ergeht, kommt mir das Schlagfertigkeitstraining der Landfrauen gerade recht.

„Ich glaube ihnen kein Wort“, „Das ist doch alles totaler Mist, was sie hier erzählen“, „Über dieses Thema rede ich lieber mit kompetenteren Personen“ – Puh! Da bleibt mir ja die Spucke weg! Und statt einen coolen Spruch rauszuhauen, bekomme ich allenfalls feuchte Hände und einen roten Kopf, und ich ertappe mich dabei, wie ich mit piepsiger Stimme völlig unangebrachte Rechtfertigungen zu stammeln beginne…

Psychologin Ina Wohlgemuth vermittelt den Landfrauen  Gesprächskompetenz in Konfliktsituationen.

Gefangen im Strudel des Adrenalins

Ina Wohlgemuth nickt verständnisvoll: ein klarer Fall von Schockstarre. „Es dauert nur etwa sieben Zehntelsekunden, bis der Körper nach einer verbalen Attacke wie dieser die Stresshormone freisetzt“, erklärt die Psychologin aus Herdecke, „aber leider brauchen wir zwischen 30 und 120 Minuten, um uns davon zu erholen.“ Das Problem dabei: Wer im Strudel des eigenen Adrenalins gefangen ist, kann nicht auf die Bereiche seines Gehirns zugreifen, in denen die Schlagfertigkeit zuhause ist. Denn die seien im Zustand einer Kränkung komplett blockiert, bedauert die Kommunikationsfachfrau. Ina Wohlgemuth stünde nicht vor uns, wenn sie keine Lösung wüsste.

Mit Übung und  Geduld wird jeder schlagfertig, vermittelt Ina Wohlgemuth.

Die Freundin als Sparringspartner

Um auf die kleinen und großen, auf die fein gesetzten und die grob geführten Angriffe seines Gegenübers besser und schneller reagieren zu können, hat der Infokreis der Landfrauen im Kreis Steinfurt unter Federführung seiner Vorsitzenden Anita Raing zu dem Seminar „Schlag fertig! Gekonnt kontern!“ ins Grüne Zentrum nach Saerbeck eingeladen. Mehr als zwei Dutzend Teilnehmerinnen sind gespannt darauf zu erfahren, wie sie ihre rhetorische Spontanität ausbauen und verbessern können. Denn Schlagfertigkeit, versichert uns Ina Wohlgemuth, sei erlernbar.

„Entwickeln sie Kränkungskompetenz“

Man brauche dazu nur genügend Übung, reichlich Geduld, eine gute Freundin als Sparringspartner – und natürlich den richtigen Acker, das Fundament, in dem die zarte Pflanze der Schlagfertigkeit optimal gedeihen kann: „Entwickeln sie Kränkungskompetenz“, rät Wohlgemuth zu einer gesunden Ichstärke, „beziehen sie nicht gleich alles auf sich.“ Eine Arbeitskollegin, die meinen Gruß nicht erwidert? Eine seit Tagen unbeantwortete E-Mail? Häufig habe das, was unser Selbstwertgefühl verletze, weil wir es als Ignoriertwerden interpretierten, ganz andere Ursachen. Denn wie meistens im Leben, seien die Menschen in der Regel vor allem mit sich selbst beschäftigt. „Unterstellen sie dem Anderen keine schlechten Absichten.“ Die Arbeitskollegin sei möglicherweise in Gedanken versunken und das E-Mail-Programm schlichtweg defekt. „Auch wir machen oder sagen manchmal Dinge, ohne zu merken, dass sie unser Gegenüber verletzen.“

Sich im Vorfeld wappnen

Ob ungewolltes Missverständnis oder bewusster Konfrontationskurs: Wenn ein Gespräch zum Streit eskaliert, ist auf jeden Fall derjenige klar im Vorteil, der sich bereits im Vorfeld gewappnet hat. Der, bei dem sich zu der antrainierten Kränkungskompetenz ein solides Selbstbewusstsein sowie ausreichend Allgemein- und Fachwissen gesellen. Wer dann auch noch einen bunten Blumenstrauß an Schlagfertigkeitsstrategien als Zaubermittel gegen die Schockstarre im Gepäck hat, dem kann eigentlich gar nichts mehr passieren.

Bunter Blumenstrauß aus Schlagfertigkeitsstrategien

Und genau diesen Blumenstrauß aus bunten Retourkutschen dürfen wir Teilnehmerinnen uns jetzt erarbeiten, sprich: pflücken, individuell zusammenstellen und mit nach Hause nehmen. Noch ein paar Tipps von unserem Coach: „Reagieren sie in Zukunft erst dann auf eine flapsige Bemerkung, wenn sie es für angebracht halten, nicht, wenn andere es von ihnen verlangen.“ Schlagfertigkeit habe nicht zwangsläufig etwas mit der schnellen Parade zu tun. „Gut nachdenken, cool bleiben, und manchmal die Klappe halten“ – auch das könne einem Gesprächspartner den Wind aus den Segeln nehmen. Und wenn das Gegenüber seinen Angriff zurücknehme oder sich für eine unangebrachte Bemerkung entschuldige, nicht länger darauf herumreiten, sondern Größe beweisen und wieder souverän zur Tagesordnung übergehen.

Durchatmen und Blickkontakt herstellen

Unser Ziel fest im Blick, mit einer „konstruktiven Deeskalationsstrategie“ auch in harten Auseinandersetzungen künftig ganz Frau der Lage zu bleiben und kommunikative Souveränität zu demonstrieren, öffnet uns Ina Wohlgemuth die Pforte ins Reich der blumigen Worte. Der erste Vorwurf erwischt uns kalt: „Sie als Landwirtin profitieren doch von der Tierquälerei!“ Wie jetzt angemessen reagieren? Erst einmal Durchatmen. Blickkontakt herstellen. Am besten innerlich ein stilles Mantra wie „Ich bin OKAY, das hat nichts mit MIR zu tun!“ deklamieren. Und schließlich mit sachlicher Stimme den Ball mit einer Gegenfrage zurückspielen, nach dem Motto: Wer fragt, führt: „Was bringt sie zu dieser Meinung?“  oder antworten: „Mag sein, dass das so auf sie wirkt“ oder „Ich sehe, sie interessieren sich für den Tierschutz – das tue ich auch, da haben wir etwas gemeinsam. Sind sie daran interessiert von mir zu hören, was wir als Landwirte für das Wohl unserer Tiere tun?“

Den anderen nicht herabwürdigen, sondern immer aus der Haltung „Ich bin okay, du bist okay“ heraus streiten.

Was verbindet uns?

Wer es schafft, das verbindende Element zwischen dem eigenen Standpunkt und dem seines Gegenübers zu finden und nicht nur die Sach-, sondern auch die Beziehungsebene zu klären, der kann eine aufbrandende Auseinandersetzung in friedliches Fahrwasser zurückzulenken und seinen Gegner durch aufmerksames Zuhören und das Miteinbeziehen seiner Sichtweise möglicherweise sogar als neuen Bündnispartner gewinnen. Unangemessene Äußerungen lassen sich dagegen besser kontern mit einem knappen „Ihre Reaktion überrascht mich“ oder „Danke für ihre Meinung. Lassen sie uns zum Thema zurückkehren“ oder einem schlichten „So, so…“, „Ah ja…“ oder „Und nu…?“, gefolgt von einem majestätischen Schweigen. Das schafft die nötige Distanz, ermöglicht neuerliche Übersicht und gibt uns wertvolle Zeit, um einen schnellen Blick auf den Wohlgemuth‘schen Blumenstrauß zu werfen. Denn den hat ganz sicher jede von uns sorgsam in ihrem Geist konserviert und ab sofort immer griffbereit.

(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 14.03.2014)