Passgenau zur Kernfrage der Artland Akademie „Woher – wohin?“ stellte deren Vorsitzender Helmut Henrichs seinen Gastredner Wolfgang Niem den Zuhörern vor, darunter diesmal auch viele Jugendliche. Wolfgang Niem, gebürtiger Gelsenkirchener, hat sein Abitur 1985 am Artland-Gymnasium Quakenbrück (AGQ) gemacht (woher?) und von dort aus direkten Kurs auf, beziehungsweise in die Zukunft genommen (wohin?).
Skepsis contra Vertrauen
Und die gehört, zumindest auf den Straßen, dem automatisierten Fahren. Davon ist Niem, promovierter Elektrotechniker und Leiter der Abteilung Forschung und Vorausentwicklung der Robert Bosch GmbH in Hildesheim, überzeugt. Allerdings: Neben den diversen Herausforderungen – von der Digitalisierung bis zur gesetzlichen Einordnung und ethischen Bewertung – hat die aufstrebende Technologie noch ein ganz anderes Problem zu bewältigen: die Sache mit dem Vertrauen. „Wer von Ihnen würde denn heute in ein Auto einsteigen, in dem kein Fahrer mehr sitzt?“, fragt Niem und blickt schmunzelnd ins Publikum. Und tatsächlich, so neugierig die Gäste der AAQ auf das Thema „Hochautomatisiertes Fahren: Perspektiven und Herausforderungen“ sind, so sehr steht ihnen die Skepsis ins Gesicht geschrieben. „Eine völlig normale Reaktion“, erläutert Niem seinen Zuhörern, selbst in Fachkreisen überwiege derzeit noch die Zurückhaltung.
Schritt für Schritt das Rätsel lösen
Nicht zuletzt um genau das zu ändern, ist Aufklärung vonnöten. Und wer es wie Wolfgang Niem versteht, ein bis dato für sein Publikum eher abstraktes Phänomen Schritt für Schritt zu veranschaulichen, der schafft, wenn auch nicht sofort grenzenlose Akzeptanz, so doch womöglich eine Grundhaltung wohlwollender Aufgeschlossenheit für die vernetzte Mobilität der Zukunft. Der Ex-AGQler spannt den Bogen von bereits eingesetzten Fahrerassistenzsystemen wie Einparkhilfen, automatischen Abstandsreglern, Totwinkelwarnern, Verkehrszeichenerkennern, Notbrems-, Stabilisierungs- und Spurhalteprogrammen bis hin zu den immer näher rückenden Visionen: Lenkradlose Shuttelfahrzeuge, die mittels „automotiver Echtzeit-Betriebssysteme“ durch die Städte rauschen. „In etwa fünfzehn oder zwanzig Jahren werden wir solche Shuttle als etwas völlig Normales ansehen“, prognostiziert Niem.
Auch Fahrzeuge müssen lernen
Doch noch wohnen diesen futuristischen Szenarien „Riesenherausforderungen“ inne, bestätigt der Mobilitätsfachmann. Das fange schon damit an, den elektronischen Steuersystemen beizubringen, wie sie die Werte, die ihnen ihre Video-, Radar- oder Ultraschall-Sensoren über die Umgebung meldeten, verarbeiten und bewerten und angemessen auf sie reagieren sollten. Wie erkennt das System beispielsweise parkende Fahrzeuge am Straßenrand? Und zwar zuverlässig, selbst bei dichtestem Nebel oder Starkregen? Welche Informationen sind nötig, damit ein Shuttle fahrspurpräzise durch die Innenstadt manövriert? Wie können die Daten in der „automotiven Cloud“ vor IT-Angriffen geschützt werden?
Menschliche Fehler ausschließen
„Da sind zum Teil gigantische Rechenleistungen nötig“, verdeutlicht Niem die Dimensionen, „aber viele Ergebnisse sind schon jetzt erstaunlich gut.“ Und der Aufwand, da ist er sicher, lohne sich allemal: Denn angesichts der Tatsache, dass heute etwa 90 Prozent aller Verkehrsunfälle durch menschliche Fehler verursacht würden, mache das automatisierte Fahren den Verkehr auf jeden Fall deutlich sicherer. Weniger Staus, eine höhere Energieeffizienz, Mobilität in jedem Alter – vieles spricht dafür, dass die Entwicklung von teilautomatisiertem über hochautomatisiertes bis hin zu vollautomatisiertem Fahren nicht aufzuhalten ist und – so sahen es am Ende des Vortrags etliche Zuhörer – auch keineswegs aufgehalten werden sollte.
(Erschienen in: Bersenbrücker Kreisblatt, 25.02.2018)