Mobil zu sein bedeutet, sich von A nach B bewegen zu können. Weil in der gut 85 Quadratkilometer großen Flächengemeinde Westerkappeln A und B jedoch ziemlich weit voneinander entfernt liegen können, gibt es dort seit dem Jahr 2002 den Bürgerbus.
Etwas unsicher fühle ich mich schon, als ich hinter dem Lenkrad des Bürgerbusses Platz nehme. Das liegt weniger am Automatikgetriebe als an den Fahrzeugabmessungen, die mit einer Länge von 5,32 Meter und einer Stehhöhe von 1,80 Meter die kompakten Maße meines Pkw deutlich übersteigen. Also ganz vorsichtig: Ein bisschen vorwärts… Ein bisschen rückwärts… Die Lenkung ist butterweich, die Übersicht dank der riesigen Fenster bemerkenswert komfortabel. Eigentlich gar nicht so schwierig, wie ich befürchtet hatte, stelle ich regelrecht beflügelt fest und drehe noch eine kleine Runde…
Personen nur mit Erlaubnis befördern
Ans Bürgerbusfahren, wird mir beim Selbstversuch schnell klar, könnte ich mich durchaus gewöhnen. Noch fehlt allerdings eine entscheidende Komponente: die Fahrgäste. Denn um die über die Straßen kutschieren zu dürften, müsste ich zunächst einen Personenbeförderungsschein beim Straßenverkehrsamt in Steinfurt beantragen – und ausgestellt bekommen. Voraussetzungen für einen solchen Antrag sind ein Mindestalter von 21 Jahren sowie der Besitz eines Pkw-Führerscheins seit mindestens zwei Jahren. Dazu kommen noch eine arbeitsmedizinische Bescheinigung und ein polizeiliches Führungszeugnis. Für eine Leerfahrt mit dem Bürgerbus genügt zu meinem Glück die normale Pkw-Fahrerlaubnis.
Familiäre Stimmung an Bord
„Macht Spaß, was?“, bemerkt Ewald Westermann meine wachsende Begeisterung – und lächelt amüsiert. Dem Gründungsmitglied und Vorsitzenden des Bürgerbus Vereins ist es, als er seine erste Tour mit dem flotten Sprinter übernommen hat, ganz ähnlich ergangen. Und diese Faszination hält bei ihm auch nach tausenden von Kilometern, die er inzwischen mit dem Neunsitzer (ein Fahrer plus maximal acht Passagiere) durch die Siedlungen und Bauerschaften gerauscht ist, unvermindert an. „Jede Fahrt ist auf ihre Weise interessant“, sinniert er. Mit den meisten Fahrgästen ist er inzwischen per Du.
Unterwegs auf der Linie B1
Fest integriert in den offiziellen Fahrplan der RVM (Regionalverkehr Münsterland), ist der Bürgerbus regelmäßig und zu festen Zeiten auf der Linie B1 (Westerkappeln-Velpe-Schafberg-Westerkappeln) unterwegs. Rund 500 Fahrgäste steigen pro Monat in den Bürgerbus ein. Um die 30 ehrenamtliche Fahrer des Vereins sorgen dafür, dass die Bewohner der Außenbezirke auch ohne eigenes Fahrzeug günstig in den Ortskern gelangen und von da aus an das öffentliche Nahverkehrsnetz angebunden sind. Für eine Fahrt mit dem Kleintransporter zahlen Erwachsene einen Euro, Kinder ab sechs Jahren 50 Cent. Schwerbehinderte werden kostenlos befördert.
Zum Einkaufen in den Ortskern
Ewald Westermann blickt auf seine Uhr und zuckt bedauernd mit den Achseln – Fahrerwechsel, signalisiert er mir. Mit leisem Bedauern stelle ich die Automatik auf P für Parken, verwandle mich in einen Fahrgast zurück, nehme auf dem Sitz gleich hinter dem Einstieg Platz und schnalle mich an. Der Elektromeister im Ruhestand lenkt den Bürgerbus in Richtung der Haltestelle Friedhof, an der bereits Ewald Iborg und seine Frau Olinde warten. „Na, ihr beiden, geht’s wieder nach Hause?“, begrüßt der Bürgerbus-Pilot das Paar aus Velpe. Die Senioren nicken etwas erschöpft und stellen ihre vollen Taschen und die Gehhilfen ab. Hinsetzen. Anschnallen. „Was meinst du, Ewald, kriegen wir in den nächsten Tagen noch Schnee?“, eröffnet Iborg eine muntere Plauderei. Regelmäßig lassen der Velper und seine Frau sich für Arztbesuche oder Einkäufe auf der Linie B1 ins Zentrum chauffieren. „Das funktioniert richtig gut“, ist der Rentner vollauf zufrieden mit dem Service.
Für alle Altersklassen gerüstet
Das Angebot nahezu flächendeckender Mobilität nutzten neben vielen Senioren auch jüngere Erwachsene und einige der in den abgelegenen Unterkünften untergebrachten Flüchtlinge, die am Sprachunterricht im Zentrum teilnehmen, erklärt Westermann. Genau wie ein paar Kinder, die aus weiter entfernten Bauerschaften zur Kita befördert werden müssten. Ein Stapel Sitzerhöhungen zeugt davon, dass der Bürgerbus für alle Altersklassen gerüstet ist. Auch ausreichend Platz für Rollatoren und Kinderwagen ist vorhanden – die müssen allerdings über die Stufen hineingetragen werden. Ein Niedrigflurmodell mit absenkbarem Einstieg würde die zulässige Gewichtsgrenze überschreiten, für die die Beförderungsscheine der Fahrer zugelassen sind. „Deshalb ist der Bus für Rollstühle leider nicht geeignet“, räumt der Vereinsvorsitzende ein, „aber in den mehr als 15 Jahren, die es den Westerkappelner Bürgerbus nun schon gibt, wollte auch noch nie ein Rollstuhlfahrer bei uns mitfahren.“
„Fahrer werden immer gebraucht“
Der aktuelle Bürgerbus ist seit der Vereinsgründung vor 16 Jahren bereits das dritte Exemplar. Weil auch er mittlerweile mehr als 330.000 Kilometer hinter sich gebracht hat, bekommt der Verein voraussichtlich Ende März ein neues Fahrzeug. Dessen Anschaffung belaufe sich auf etwas über 60.000 Euro, erläutert Westermann, und werde vom Land Nordrhein-Westfalen mit 35.000 Euro gefördert. Die Gemeinde Westerkappeln habe das Projekt von Beginn an unterstützt und sich bereiterklärt, entstehende Defizite auszugleichen. Daneben engagieren sich auch private Spender und Sponsoren – und natürlich: die Ehrenamtlichen. „Zwar haben wir gerade erst drei neue Fahrer rekrutieren können“, freut sich Westermann, „aber wer bei uns mitmachen möchte, kann sich jederzeit melden – Fahrer werden immer gebraucht.“ Das Bürgerbus-Handy ist unter 0174 6472429 zu erreichen.
Derzeit kein Halt in Westerbeck…
Als Westerbeckerin bleibt mir zum Schluss nur noch eine letzte Frage: Warum berücksichtigt der Bürgerbus-Fahrplan meine eigene Heimatbauerschaft eigentlich mit keinem einzigen Halt? „Zu Anfang sind wir auch durch Westerbeck gefahren“, stellt Westermann klar, „aber von dort aus wollte keiner mit – und so haben wir nach Absprache mit der RVM und der Bezirksregierung Münster die Tour eingestellt.“ Sobald allerdings die Bewohner derzeit vernachlässigter Ortsteile Interesse an einer Beförderung bekundeten, würde der Verein den Fahrplan selbstverständlich langfristig anpassen, versichert der 68-Jährige: „Es handelt sich ja schließlich um einen BÜRGERbus!“
Zur Sache, Flächengemeinde:
Auf dem rund 85 Quadratkilometer (qkm) großen Gemeindegebiet von Westerkappeln leben derzeit gut 11.000 Menschen. Daraus ergibt sich eine Bevölkerungsdichte von 130 Einwohnern je qkm. Zum Vergleich: Die Gemeinde Lotte breitet sich über knapp 38 qkm aus und ist damit weniger als halb so groß wie Westerkappeln. Mehr als 14.000 Lotteraner sorgen allerdings dafür, dass sich eine Bevölkerungsdichte von 375 Einwohnern pro qkm ergibt. Auch Mettingen ist mit einer Fläche von gut 40 qkm weniger als halb so groß wie Westerkappeln. Von den knapp 12.000 Einwohnern der Tüöttengemeinde verteilen sich im Durchschnitt 291 Personen auf einen qkm. Das Osnabrücker Stadtgebiet dagegen ist deutlich größer als Westerkappeln: Auf knapp 120 qkm leben etwa 160.000 Menschen. Damit kommt die Hasestadt auf eine Bevölkerungsdichte von 1370 Einwohner pro qkm.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 07.03.2018)