‚Betreten‘ wird er ihn wohl niemals. Aber wäre Otto Lilienthal nicht gewesen, könnte Alexander Schwermann seinen Lieblingsplatz nicht einmal ‚besuchen‘. Erst der Pionier der Luftfahrt eröffnete vor rund 125 Jahren mit seinen ersten Flug-Versuchen tollkühnen Männern und Frauen den Weg zu ihren bis dato noch unerreichbaren Luftschlössern. In der Nachfolge dieser Abenteurer steigt auch der 31-jährige Westerkappelner so oft es geht in einen der schnittigen Segelflieger des Osnabrücker Vereins für Luftfahrt und lässt sich von den Aufwinden hinauftragen zu seinem Lieblings-Luftraum hoch über den Dächern von Lotte bis Lengerich, von Eversburg bis Engter – und von Wersen bis Westerkappeln.
Starterlaubnis erteilt
Starterlaubnis erteilt. Die Schleppwinde zieht an. Mit zitternden Tragflächen rumpelt die ASK 21 noch ein paar Meter über die grasbewachsene Ebene, bevor sie sich mit eleganter Konsequenz vom Erdboden löst. In rund 400 Metern Höhe klinkt sich der metallene Haken aus, durch den das Seil der Winde mit dem schlanken Rumpf des Seglers verbunden ist: Klack! Es ist das letzte Geräusch von nennenswerter Lautstärke, das Alexander Schwermann bis zur Landung hören wird. „Ich liebe diese Ruhe“, sagt er und schweigt eine Weile. Lauscht dem Fahrtwind, der über die Kuppel streicht. Lenkt die Maschine in einer sanften Kurve in die Thermik und schraubt sie bedächtig weiter nach oben. „Die Ruhe und die Freiheit, die man hier spürt.“
„Faszination war immer schon vorhanden“
Schwermann, der bis vor kurzem noch in seiner Heimatstadt Lengerich zuhause war, hat vor vier Jahren mit der Fliegerei angefangen. „Die Faszination war immer schon vorhanden“, erzählt er. Die Gelegenheit, den alten Traum vom Fliegen wahr zu machen, stellte sich ganz von selbst ein, als er eine Arbeitsstelle als kaufmännischer Mitarbeiter bei einem Unternehmen in Bramsche antrat. Das Gelände des Osnabrücker Vereins für Luftfahrt in Achmer liegt auf dem Weg.
Wer 14 Jahre alt ist, kann Flugunterricht bekommen
„Der Verein besitzt 17 eigene Maschinen“, erläutert Schwermann. „Darunter befinden sich ein Motorflugzeug, ein Motorsegler und sechs flugtaugliche Oldtimer.“ Offenbar auch selbst noch immer aufs Neue von dieser stattlichen Zahl beeindruckt, stellt er klar: „Das ist eine wirklich große Flotte.“ Ehrenamtlich tätige Lehrer übernehmen in Achmer die Ausbildung der angehenden Piloten. Wer mit dem Unterricht beginnen will, um dann später seine Fluglizenz zu erwerben, muss mindestens 14 Jahre alt sein. Rund 150 Mitglieder zählt der Verein, darunter sind etwa 95 aktive Flieger.
„Ein absoluter Gemeinschaftssport“
„Segelfliegen ist ein absoluter Gemeinschaftssport“, betont Schwermann. „Das passt zu mir.“ Wie er da einsam und in schwindelnder Höhe seine Runden zieht, begleitet nur von einem Paar Bussarde, das träge und nahezu reglos in einigem Abstand durch Schwermanns Lieblingsplatz schwebt, wirkt diese Einschätzung etwas irritierend. Aber: Um ein Segelflugzeug in die Luft zu bekommen, braucht es mindestens vier Personen: Den Flugleiter im Tower, den Windenführer im Windenfahrzeug, den Starthelfer, der die Maschine am Boden in Position bringt – und natürlich den Piloten. Alle diese Aufgaben werden pflichtgemäß von den Mitgliedern des Vereins übernommen. Während der Saison vom ersten Wochenende im März bis zum letzten Wochenende im Oktober herrscht auf dem Platz in Achmer bei entsprechendem Wetter reger Betrieb: Vereinsmitglieder, Gäste und Rundflügler entern geschäftig die Maschinen, um die Region aus der Vogelperspektive zu betrachten. Im Winterhalbjahr trifft man sich zur Pflege und Wartung des Flug-Equipments.
Den Stolpervogel souverän eingeparkt
Die Landschaft unter der ASK 21 scheint größer zu werden, die Baumwipfel kommen näher. Landeanflug. Schwermann steuert die Maschine so unaufgeregt und souverän dem Boden entgegen, als parkte er – wie an jedem Tag – seinen Pkw in die heimische Garage ein. Der Segler setzt mit einem dumpfen ‚Wopp‘ auf der Grasbahn auf. Unbeholfen trudelt er über das Grün wie ein überdimensionaler Stolpervogel, bevor er endgültig zum Stehen kommt. Schwermann öffnet die Kuppel und nimmt den Fallschirm ab: „Immer wieder ein großartiges Gefühl, da oben zu sein“, sagt er und wirft dem Himmel einen freundschaftlichen Blick zu.
(Erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung 23.09.2014; Westfälische Nachrichten, 23.09.2014)